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# taz.de -- Festnahme von Ekrem İmamoğlu: „Die Regierung will ihre Gegner s…
> Sozialwissenschaflterin Sinem Adar sieht die Festnahme İmamoğlus als Teil
> einer Strategie. Die EU sieht sie in einer schwachen
> Verhandlungsposition.
Bild: Proteste gegen die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamo…
taz: Frau Adar, wie bewerten Sie [1][die Vorwürfe gegen Ekrem İmamoğlu?]
Sinem Adar: Gegen ihn laufen zwei separate Ermittlungen: Einerseits wird
ihm vorgeworfen, der Anführer einer kriminellen Vereinigung zu sein. Der
zweite Fall betrifft Vorwürfe, dass er die PKK und eine ihrer
Schwesterorganisationen unterstützt habe.
taz: Als wie substanziell sehen Sie diese Vorwürfe?
Adar: Ich habe die ganzen Anklagen nicht gelesen. Aber es ist sehr
deutlich, dass die regierenden Eliten in Ankara entschlossen sind, İmamoğlu
aus dem Präsidentschaftsrennen zu entfernen. Um die Rechtsstaatlichkeit in
der Türkei ist es nicht gut bestellt. Die Vorwürfe müssen vor diesem
Hintergrund betrachtet werden.
taz: Haben Sie seine Festnahme erwartet?
Adar: Wir erleben eine extreme Eskalation. Hinter seiner Festnahme steckt
für die derzeitige Regierung eine Logik: Sie will an der Macht bleiben.
İmamoğlu ist in der aktuellen politischen Landschaft der stärkste Rivale
von Präsident Erdoğan bei den Präsidentschaftswahlen 2028. Wir sprechen
hier von dem prominentesten Kandidaten der größten Oppositionspartei der
Türkei. Die CHP hat etwa 1 Million Mitglieder [2][und erzielte bei den
letzten Kommunalwahlen den höchsten Stimmenanteil.]
taz: Sehen Sie eine Verbindung zwischen İmamoğlus Festnahme und der
Entlassung [3][von Bürgermeistern in überwiegend kurdischen Städten im
Südosten des Landes?]
Adar: Ja, es gibt einen erheblichen Anstieg der Repression. Seit 2015
werden stetig kurdische Bürgermeister von ihren Posten abgesetzt. Was wir
allerdings in den letzten Monaten beobachten, ist, dass die Repression nun
nicht mehr nur die Kurden betrifft. Der Vorsitzende der
ultranationalistischen Siegespartei wurde verhaftet und sitzt immer noch im
Gefängnis. Bürgermeister von İmamoğlus CHP werden wegen ihrer
Zusammenarbeit mit der prokurdischen Partei DEM entlassen.
taz: Warum?
Adar: Das fällt in die größere Strategie der Regierungsallianz, ihre
politischen Gegner zu spalten, während sie gleichzeitig versucht, die
Opposition nach ihrem eigenen Bild zu formen.
taz: Aber ist das nicht paradox? Die Regierung selbst hat ihre Kontakte zu
den Kurden intensiviert und den ehemaligen [4][PKK-Führer Abdullah Öcalan
dazu gebracht, die PKK zur Entwaffnung aufzufordern.]
Adar: Ich sehe das nicht als Widerspruch. Es gibt eine große Ambiguität,
denn es waren die türkischen Nationalisten und ihr Führer Devlet Bahçeli,
die diesen Prozess vorangetrieben haben. Einige sehen dies als einen
Schritt zu mehr Demokratie, andere betrachten es als einen Verrat an
türkischem Nationalismus. Diese Ambiguität hat es den herrschenden Eliten
ermöglicht, Unterstützung von konservativen Kurden zu gewinnen, die auch
schon in der Vergangenheit die AKP unterstützt hatten. Gleichzeitig konnte
die Regierung Unterstützung von Teilen der Liberalen gewinnen.
taz: Aber glauben Sie nicht, dass İmamoğlus Popularität durch die
Repression gegen ihn nur steigen wird?
Adar: Ja, das ist fast ein Naturgesetz, dass dies zu einer sehr starken
Gegenreaktion gegen die Regierung führen wird. İmamoğlu ist eine sehr
charismatische Figur und beliebt. Aber die Frage, die sich für mich stellt,
lautet: Die Leute könnten rausgehen, demonstrieren, aber was kommt danach?
Ohne größere Strategie der Opposition gäbe es keine oder wenige
Auswirkungen auf Repression und das autoritäre System. Darüber hinaus: Wenn
er nicht an den Wahlen teilnehmen kann oder verhaftet wird, könnte er zu
einem Helden werden.
taz: Welchen Effekt hat die Festnahme auf die türkische Zivilgesellschaft?
Adar: Es gibt ein starkes Gefühl der Unzufriedenheit innerhalb der
Bevölkerung, sei es wegen der wirtschaftlichen Missstände oder wegen der
schlechten Regierungsführung insgesamt. Trotz der Bemühungen der Regierung
in den vergangenen 23 Jahren, eine Zivilgesellschaft nach ihrem eigenen
Bild zu schaffen, haben sie das nur teilweise geschafft. Sie erleben immer
noch Widerstand. Ob dieser Widerstand große Auswirkungen auf das politische
System insgesamt haben wird, ist fraglich. Aber ich denke, die Regierung
ist sich dessen bewusst: Als İmamoğlu und 106 andere Personen heute Morgen
festgenommen wurden, gab es sofort eine Ankündigung des Gouvernats von
Istanbul, Demonstrationen für die kommenden vier Tage zu verbieten.
taz: Was erwarten Sie angesichts dieser Repression von der Europäischen
Union?
Adar: Klar ist, dass es eine starke Verurteilung dessen geben muss, was
passiert. Es geht hier um demokratische Normen. Angesichts der vielen
Krisen im Sicherheitsbereich scheint jedoch eine Kooperation mit der Türkei
nicht zur Diskussion zu stehen. Für die EU ist es wichtig, ein besseres
Verständnis darüber zu haben, welche Art von Beziehungen sie langfristig
mit der Türkei aufbauen möchte. Ohne das wird sie immer in einem Konflikt
zwischen kurzfristigen Wünschen und ihren Werteverpflichtungen stecken
bleiben.
20 Mar 2025
## LINKS
[1] /Tuerkische-Regierung-gegen-Opposition/!6076877
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[3] /Tuerkisch-kurdischer-Konflikt/!6069785
[4] /Oecalan-will-PKK-Kapitulation/!6072437
## AUTOREN
Cem-Odos Güler
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