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# taz.de -- Proteste gegen İmamoğlu-Festnahme: Die Türkei in Aufruhr
> Nach der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters İmamoğlu gehen Tausende
> auf die Straße. Sie kritisieren den „Putsch gegen den Willen des Volkes“.
Bild: Protestmarsch von Studierenden am 20. März im Istanbuler Stadtteil Be�…
Mehrere Tausend Menschen versammeln sich am Donnerstag vor dem Rathaus in
Saraçhane in Istanbul. Der Eingang ist abgezäunt, die Straßen zum Teil
gesperrt. Am Ende der Straße Richtung Taksim-Platz stehen Polizeiautos. Die
Demonstranten kommen aus allen Ecken des Landes, aus Gebze, Mardin und
vielen weiteren Städten. Es sind junge Menschen dabei, Alte, Arbeiter,
Studenten und Rentner sind auf den Straßen, um für Demokratie zu
protestieren.
Aus einem Lautsprecher hört man den inhaftierten Ekrem İmamoğlu
[1][]sprechen: „Die Entscheidungsträger in diesem Land mögen irren, sie
mögen dem Wahn verfallen, sie mögen Verrat an ihrem Amt ausüben. Aber wir
werden nicht aufgeben. Alles wird wunderschön werden.“
Das Zitat stammt aus der Rede, die er am 6. Mai 2019, nachdem seine Wahl
zum Bürgermeister annulliert wurde, hielt. Die Leute applaudieren,
schwenken die türkische Fahne und recken ihre Fäuste in die Luft. [2][Es
ist der zweite Tag des Protests] gegen die AKP und den türkischen
Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Viele sind vermummt, und alle skandieren:
„İstifa Erdoğan, istifa Erdoğan.“ Sie fordern den Rücktritt des
Präsidenten.
Anlass dieser Demonstrationen ist ein Vorgang, den man schon jetzt als
historischen Wendepunkt der politischen Krise in der Türkei bezeichnen
kann. In den frühen Morgenstunden des 19. März umstellten Hunderte
Polizisten das Privathaus von [3][Ekrem İmamoğlu in Istanbul und
verhafteten ihn]. Der Polizeieinsatz mit insgesamt 3.000 Einsatzkräften
markierte den Höhepunkt eines monatelangen politischen Kesseltreibens gegen
den populären Bürgermeister Istanbuls, der als einer der stärksten Gegner
von Präsident Erdoğan gilt.
## Der Versuch, İmamoğlus politische Zukunft zu blockieren
Doch İmamoğlu war nicht der Einzige, der an diesem Tag ins Visier der
Behörden geriet. Zeitgleich wurden mehr als hundert weitere Kritiker der
Regierung festgenommen, darunter zwei Bezirksbürgermeister Istanbuls, der
bekannte Journalist İsmail Saymaz sowie Murat Ongun, İmamoğlus
Medienberater. Auch prominente Aktivisten, Akademiker und weitere
Journalisten fanden sich unter den Verhafteten.
Die Regierung begründete die Festnahmen mit angeblichen Verbindungen zu
terroristischen Organisationen, ein Vorwurf, der in der Vergangenheit
häufig gegen Oppositionelle erhoben wurde. Die Verhaftung war ein weiterer
Schritt in einer Reihe von Maßnahmen gegen İmamoğlu, darunter die
Aberkennung seines Diploms durch die Istanbuler Universität – ein klarer
Versuch, seine politische Zukunft und eine mögliche
Präsidentschaftskandidatur zu blockieren.
Trotz des verhängten viertägigen Versammlungsverbots und der
Einschränkungen in den sozialen Medien war [4][der Widerstand der
Bevölkerung] nicht zu stoppen. In den Stunden nach der Verhaftung strömten
Tausende auf die Straßen, um gegen die Festnahme zu protestieren und für
die Demokratie zu kämpfen.
Auffällig war der Widerstand der Studierenden, die sich nicht durch die
Sperrungen der Metrostationen oder die Polizei abschrecken ließen. Sie
marschierten am Mittwoch bereits aus der Mensa der Istanbuler Universität,
skandierten den Protestslogan „Direne, Direne, Kazanacağız“ – „Nur du…
Widerstand werden wir gewinnen“.
## „Putsch gegen den Willen des Volkes“
Die Zahl der Demonstranten wurde schnell größer, als immer mehr Menschen
aus verschiedenen Stadtteilen in Richtung Saraçhane, dem Sitz der
Stadtverwaltung, strömten. Die türkischen Medien bezeichneten diese
Entwicklung als einen „Schneeball“, der sich zu einer Lawine entwickelt
habe.
Gleichzeitig finden auch in der Hauptstadt Ankara Demonstrationen statt.
Dort schlossen sich Parlamentsabgeordnete einem Marsch an. Laut
Medienberichten und Oppositionspolitikern wurden Plastikgeschosse gegen
Demonstrierende eingesetzt. In Izmir versammelten sich ebenfalls zahlreiche
Menschen.
Am Donnerstagabend, als die Proteste weiter an Intensität gewannen, äußerte
sich auch die Co-Vorsitzende der DEM-Partei, Tülay Hatimoğulları. In einer
Rede vor den Demonstranten in Saraçhane sagte sie, dass die Verhaftung
İmamoğlus als „Putsch gegen den Willen des Volkes“ zu betrachten sei und
dass solche Maßnahmen inakzeptabel seien.
Hatimoğulları kritisierte scharf die Methoden der Regierung, die politische
Gegner mit Zwangsverwaltungen, Massenverhaftungen und der Aberkennung von
akademischen Abschlüssen bekämpfe. Sie betonte, dass die DEM-Partei die
repressiven Maßnahmen niemals akzeptieren werde und forderte die sofortige
Freilassung von İmamoğlu und allen weiteren Verhafteten. „Wir brauchen
keine Verhaftungen, sondern demokratische Reformen und Gerechtigkeit“,
erklärte Hatimoğulları.
Der Protest, der bereits jetzt eine breite Bevölkerungsschicht umfasst,
wird vor allem von der Republikanischen Volkspartei (CHP) unterstützt. Ihr
Vorsitzender Özgür Özel hatte die Bevölkerung für die nächsten Tage zu
weiteren Protesten vor dem Rathaus aufgerufen.
## Wasserwerfer stehen bereit
Am Donnerstagabend kommen dann auch die Studierenden der Galatasaray
Universität und der Technischen Universität Yildiz, angeführt von den
Studierenden der Istanbuler Universität, dazu, um den Widerstand zu
verstärken. Sie marschieren mit Slogans wie „Diplomasis Erdoğan, Diplomasis
Erdoğan“ (Erdoğan hat selbst kein Diplom) und fordern ihn auf, seinen
Abschluss zu zeigen. Sie werden von den Demonstranten bejubelt und
beklatscht, eine Frau ruft ihnen zu: „Ihr seid unsere Hoffnung.“ Unter
Rufen nach Demokratie und Gerechtigkeit schließen sich an diesem Abend
immer mehr Menschen dem Protest an.
„Ich kenne keine andere Regierung, ich kenne nur den Zerfall unserer
Demokratie, die Rechte, die uns Frauen entzogen wurden. Ich will eine
Zukunft haben und sie gestalten – das geht nur in einem Land, in dem
Gerechtigkeit herrscht“, sagt eine Studentin der Istanbuler Universität.
Ihr Appell: Der Widerstand für eine demokratische Zukunft sei notwendig,
und er müsse jetzt beginnen. Die Studierenden entscheiden, an diesem Tag
spontan Richtung Taksim-Platz zu gehen, und rufen alle auf mitzukommen.
Die Proteste gehen im Saraçhane Park weiter. Die Atmosphäre zwischen den
Demonstranten und der Polizei ist angespannt. Die Wege sind gesperrt,
Wasserwerfer stehen bereit, Gummigeschosse werden geladen. Einige stehen
den Polizeibarrikaden gegenüber und rufen: „Liebe Polizei, verkauft doch
lieber Simit, das ist würdevoller.“
## Bundesregierung kritisierte die Verhaftung
Eine weitere Sache ist für die Studierenden klar: Es gehe bei diesen
Protesten nicht um die Parteien, sondern um sie selbst und alle, die unter
der Korruption und der Ungerechtigkeit der autoritären AKP-Regierung
leiden. Die Zukunft des Landes und somit ihre eigene stehe auf dem Spiel:
„Wir wollen und wir können nicht mehr. Wir sind und wir bleiben hier auf
den Straßen, um Widerstand zu leisten. Und wenn es sein muss, machen wir es
wie damals zu Gezi-Zeiten. Einen Park haben wir auch“, sagt ein Student
lachend und zeigt auf den Saraçhane Park, der sich direkt gegenüber der
Stadtverwaltung befindet.
Internationale Organisationen, darunter der Europarat, äußerten sich
besorgt und verurteilten die Festnahme İmamoğlus als einen Eingriff in den
demokratischen Willen des türkischen Volkes. Menschenrechtsgruppen
bezeichneten die Maßnahmen als antidemokratisch und forderten die sofortige
[5][Freilassung von İmamoğlu] sowie die Wahrung der Meinungsfreiheit.
Auch die deutsche Bundesregierung kritisierte die Verhaftung als „schweren
Rückschlag für die Demokratie“. Wirtschaftliche Folgen ließen nicht lange
auf sich warten: Die türkische Lira fiel auf ein Rekordtief, während die
Aktienbörse enorme Verluste verzeichnete. Analysten befürchten, dass dieses
Vorgehen die Bemühungen der Türkei, die Beziehungen zu Europa zu
verbessern, nachhaltig beschädigen könnte.
## Gegen die autoritären Tendenzen der türkischen Regierung
An diesem Donnerstagabend tritt CHP-Chef Özgür Özel vor die Menge und hält
eine entschlossene Rede. Er fordert Erdoğan zum Rücktritt auf. Für Özel
steht fest: Der wichtigste Tag sei der kommende Sonntag. Die CHP hat ihre
1,7 Millionen Mitglieder aufgerufen, via Urnenwahl ihren
Präsidentschaftskandidaten für 2028 zu nominieren. Zusätzlich soll eine
sogenannte Solidaritätsurne aufgestellt werden, damit alle Bürgerinnen und
Bürger ihre Stimme symbolisch abgeben können.
„Die Straßen gehören uns“, ruft die Menge. Die Hoffnung liegt für viele …
der Studentenbewegung und der CHP: „Wir müssen auch nach diesen Tagen
weiterhin auf die Straße. Ich hoffe, die CHP macht keinen Rückzieher,
ansonsten würde das unsere Niederlage bedeuten“, sagt eine 70-jährige
Demonstrantin, die aus Bodrum angereist ist.
Saraçhane ist offenbar der neue Ort des Widerstands. Die Proteste zeigen
eine breitere Bewegung, die nicht nur gegen die Verhaftung von İmamoğlu,
sondern auch gegen die autoritären Tendenzen der türkischen Regierung
gerichtet ist. Die Frage ist, wie sehr diese Welle des Widerstands noch
wachsen wird – und ob sie in den kommenden Tagen und Wochen eine politische
Veränderung herbeiführen kann.
21 Mar 2025
## LINKS
[1] /Oberbuergermeister-mamolu/!5998879
[2] /Istanbuler-Buergermeister-in-Haft/!6077052
[3] /Festnahme-von-Ekrem-mamolu/!6073353
[4] /Festnahme-des-Istanbuler-Buergermeisters/!6073533
[5] /Verhaftung-von-Istanbuls-Buergermeister/!6073314
## AUTOREN
Freya Vargmann
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