Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters: Die Straße entscheidet
> İmamoğlu galt als aussichtsreicher Herausforderer von Präsident Erdoğan.
> Dann wurde er festgenommen. Warum Wahlen die Demokratie nicht retten
> können.
Bild: Trotz Demonstrationsverbots auf der Straße: eine Frau in Istanbul; auf i…
Die Türkei hat seit den Gezi-Protesten im Jahr 2013 viele Wendepunkte
erlebt. Die Verhaftung von Abgeordneten und Journalisten nach dem
Putschversuch von 2016, die Verfassungsänderung von 2017, die das
Präsidialsystem einführte, die Parlamentswahlen 2018, die Kommunalwahlen
2019 und die Ernennung von Zwangsverwaltern für Gemeinden in den östlichen
Provinzen.
Diese politischen Entwicklungen wurden von zahlreichen
Korruptionsskandalen, unzähligen Verfassungsverletzungen, einer andauernden
Wirtschaftskrise, Femiziden, Kindesmissbrauchsfällen, Grubenunglücken, von
Umweltzerstörung und einem verheerenden Erdbeben begleitet. Doch eine
zweite Gezi-Bewegung hat es nicht gegeben. Die Republikanische Volkspartei
(CHP), die größte Oppositionspartei, verwies auf Wahlen als einzigen Weg
für Veränderung.
Bei den Parlamentswahlen 2023 sollte die Opposition zusammenkommen und
Präsident Recep Tayyip Erdoğan besiegen. Trotz der langjährigen Praxis der
Regierung, in kurdischen Gemeinden Zwangsverwalter einzusetzen, erschien es
aus westlicher Perspektive immer noch realistisch, in der Türkei Wahlen zu
gewinnen.
Doch 2023 gewann Erdoğan wieder. Zuletzt wollte die Opposition vorgezogene
Wahlen erwirken und Ekrem İmamoğlu nominieren – den Bürgermeister, der
2019 nach 25 Jahren AKP-Herrschaft Istanbul eroberte. Doch [1][İmamoğlu
wurde am frühen Mittwochmorgen festgenommen]. Ihm werden Terrorismus und
Korruption vorgeworfen.
## Schmerzhafte Lektion, die Kurden schon lange kennen
Der Westen der Türkei hat nun die schmerzhafte Lektion gelernt, die
kurdische Wähler schon lange kennen: Die türkische Justiz hat sich in ein
politisches Machtinstrument verwandelt und kann jede demokratische Wahl
verhindern und gewählte Vertreter aus dem Amt entfernen.
Sollte nun ein Zwangsverwalter für die Stadt Istanbul eingesetzt werden,
würde das bedeuten, dass Wahlen in der Türkei de facto abgeschafft sind:
ein letzter Höhepunkt auf dem Weg in die Autokratie. Trotzdem will die CHP
am Sonntag im ganzen Land Wahlurnen aufstellen, um in einer rein
symbolischen Aktion über İmamoğlus Kandidatur bei den nächsten Wahlen
abzustimmen.
Offensichtlich liegt es nicht nur an der Opposition, dass es kein zweites
Gezi gibt. Der Staat hat drastische Maßnahmen ergriffen, um
sicherzustellen, dass es nicht wieder zu ähnlichen Protesten kommt. [2][Die
Gezi-Proteste] wurden als Putschversuch gebrandmarkt und Protestierende
wurden zu absurd harten Strafen verurteilt. Das Recht auf demokratische
Versammlungen in der Türkei wurde praktisch abgeschafft.
Die Frauenbewegung ist die einzige, die noch Massen mobilisieren kann. Mit
den neuen Internet- und Desinformationsgesetzen können schon
Social-Media-Beiträge dazu führen, dass Menschen in den ohnehin überfüllten
Gefängnissen landen. Derzeit sitzen knapp 380.000 Menschen in türkischen
Gefängnissen, was die Kapazitätsgrenzen weit überschreitet.
## Wo ist der Protest in Europa?
Trotz alledem durchbrachen in den letzten Tagen Studierende in Istanbul und
Ankara Polizeisperren. Am [3][Mittwochabend versammelten sich trotz
Demonstrationsverbots] Zehntausende vor dem Istanbuler Saraçhane-Rathaus,
um İmamoğlu zu unterstützen. Diese Proteste können wachsen. Am Ende könnte
es entscheidend sein, ob das Regime in der Lage ist, die Kontrolle über die
Stadtverwaltung von Istanbul zu übernehmen oder nicht.
Viele Menschen in Deutschland fragen sich gerade, warum nicht mehr Menschen
in der Türkei auf die Straße gehen. Aber was ist die Ausrede dafür, dass
sich die türkische Opposition in Deutschland nicht wirklich auf der Straße
bemerkbar macht?
Am Mittwochnachmittag versammelten sich ein paar Dutzend Menschen in Berlin
am Kottbusser Tor. Über einen Lautsprecher, der immer wieder ausfiel,
forderten sie die Freilassung von Ekrem İmamoğlu. Einige Teilnehmer konnten
ihre Überraschung darüber, wie wenige Menschen gekommen waren, nicht
verbergen.
Wenige Stunden später fand eine weitere Demonstration am Brandenburger Tor
statt, wo sich nur einige Hundert Menschen versammelten. Es gab ein paar
Reden von Politikern, Slogans, die Erdoğans Rücktritt forderten. Die Gruppe
zog eine kleine Runde über den Platz mit türkischen Flaggen. Aber da geht
noch mehr.
Sollten diese Proteste wachsen, könnte das Druck auf Deutschland und andere
europäische Staaten ausüben, Erdoğans Regierung zur Rechenschaft zu ziehen.
Und nur durch eine geeinte Bewegung kann die Demokratie in der Türkei eine
letzte Chance haben. Denn das Hoffen auf die nächsten Wahlen, das sehen wir
nun, ist vergeblich.
20 Mar 2025
## LINKS
[1] /Tuerkische-Regierung-gegen-Opposition/!6076877
[2] /Fuenf-Jahre-nach-Gezi/!5506792
[3] /Istanbuler-Buergermeister-in-Haft/!6077052
## AUTOREN
Ali Çelikkan
## TAGS
Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan
Gezi
Wahlen in der Türkei 2023
Ekrem İmamoğlu
Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan
Annalena Baerbock
Türkei
Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan
Ekrem İmamoğlu
Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan
Ekrem İmamoğlu
Istanbul
Ekrem İmamoğlu
## ARTIKEL ZUM THEMA
Reaktionen auf İmamoğlus Festnahme: Im Würgegriff des Erdoğan-Regimes
Deutsche Politiker finden nur wenig kritische Worte zur Verhaftung
İmamoğlus. Der Staatsstreich in der Türkei wirkt sich jedoch auch auf
Europa aus.
Baerbock, al-Scharaa, Erdoğan: Ist das noch Empowerment?
Boss Baerbock für die UN-Generalversammlung, Kurden als ständiger
Störfaktor, Erdoğans praktische Geisel. Und Femizide, die im Verborgenen
bleiben.
Protestbewegung in der Türkei: Taksim ist überall
Der Protest in der Türkei wächst weiter. Hunderttausende wollen nach der
Verhaftung İmamoğlus verteidigen, was von ihrer Demokratie übrig ist.
Protestbewegung in der Türkei: Alle hinter İmamoğlu
Dem jungen CHP-Chef Özgür Özel ist es gelungen, das ganze Land in
Solidarität und Widerstand zu einen.
+++ Türkei unter Erdoğan +++: Jetzt entladen sich Wut und Frust der letzten J…
Entzündet haben sich die Demos an der Festnahme von Ekrem İmamoğlu. Der
CHP-Politiker wird am Samstag einem Gericht vorgeführt. Doch es geht um
mehr.
Repression unter Erdoğan: Die demokratische Türkei nicht alleinlassen
Die EU wird sich entscheiden müssen, ob sie aus durchsichtigen Motiven
einen Autokraten unterstützt oder sich wirklich für die Demokratie
einsetzt.
Proteste gegen İmamoğlu-Festnahme: Die Türkei in Aufruhr
Nach der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters İmamoğlu gehen Tausende
auf die Straße. Sie kritisieren den „Putsch gegen den Willen des Volkes“.
Istanbuler Bürgermeister in Haft: Massive Proteste nach Inhaftierung von İmam…
Als Reaktion auf die Festnahme des Istanbuler Oberbürgermeisters İmamoğlu
gehen tausende Menschen auf die Straße. Dutzende Personen wurden
festgenommen.
Türkische Regierung gegen Opposition: Erdoğan-Rivale İmamoğlu festgenommen
Unter dem Vorwand, er unterstütze die PKK, wird Istanbuls Oberbürgermeister
am Morgen verhaftet. Soziale Medien werden gesperrt, Versammlungen
verboten.
Fünf Jahre nach dem Protest in der Türkei: Die, die nach Gezi kamen
Die Gezi-Proteste in der Türkei weckten Hoffnungen für LGBT*. Heute leben
viele von ihnen in Berlin – und haben mit neuen Problemen zu kämpfen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.