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# taz.de -- Verhaftete Journalistin in der Türkei: Gefangen in der eigenen Ges…
> Die Journalistin Elif Akgül berichtete auch für die taz über inhaftierte
> Medienschaffende in der Türkei. Unter einem Vorwand wurde sie nun selbst
> verhaftet.
Bild: Wurde am 18. Februar 2025 in ihrer Wohnung in Istanbul von der Polizei fe…
Die [1][Journalistin Elif Akgül] kennt alle Songs der Rocky Horror Picture
Show. Eines Tages hatten wir die Idee, die Shadow Cast-Version des
Kultfilms, wo Darsteller:innen vor der Leinwand mitspielen, in der
Türkei aufzuführen. Ich sagte, dass der Ort sofort von einem wütenden Mob
gestürmt würde. Elif antwortete: „Wir würden wegen Volksverhetzung im
Gefängnis landen.“ Aber Elif braucht keine große Besetzung, keine Kostüme
und keinen Tanz vor der Leinwand, um im Gefängnis zu landen – es reicht,
wenn sie ihren Job richtig macht.
Elif Akgül verfolgte in [2][ihrem ersten Text für taz.gazete], die
deutsch-türkische Plattform der taz, die von der taz Panter Stiftung zur
Unterstützung der Pressefreiheit in der Türkei gegründet wurde und die es
von 2017 bis 2020 gab, Fälle inhaftierter Journalist:innen.
Sie schilderte die Schwierigkeiten, als Journalistin aus den Gerichtsfluren
zu berichten und sprach von den Mühen, die sie auf sich nehmen musste –
manchmal wurde sie dort auch Opfer von Gewalt: „Wie man es als
Berichterstattende trotzdem in Gerichtssäle schafft? Diskutieren.
Widersprechen. Schreien und Rufen.“
Elif hat jahrelang unzählige Prozesse im berüchtigten Justizpalast in
Istanbul verfolgt. Nun ist sie selbst zum Gegenstand ihrer üblichen
Berichterstattung geworden. Am 18. Februar wurde sie bei einer
morgendlichen Razzia in ihrer Wohnung in Istanbul von der Polizei
festgenommen – wegen eines Verfahrens, das mit ihrer Teilnahme an einer
demokratischen Versammlung vor 14 Jahren zusammenhängt.
## Vorwurf: Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation
Am 22. Februar dieses Jahres ordnete der Richter ihre Inhaftierung an,
zusammen mit [3][30 weiteren Personen, darunter Journalist:innen,
Künstler:innen und Politiker:innen]. Jetzt sitzt sie in einem
Frauengefängnis im Westen Istanbuls, gemeinsam mit anderen politischen
Gefangenen. Der Vorwurf gegen sie: Mitgliedschaft in einer terroristischen
Organisation. Eine Anklageschrift gibt es zwar noch nicht, doch die Fragen,
die ihr während der Haft gestellt werden, zeigen bereits, wie absurd die
Vorwürfe sind.
Während ihrer Vernehmung musste Elif Fragen zu den Maifeier-Protesten
beantworten, über die sie vor mehr als einem Jahrzehnt berichtet hatte,
sowie zu den [4][Gezi-Park-Protesten]. Damals wurden innerredaktionelle
Telefonate darüber von ihrem Handy abgehört und als Aktivitäten einer
terroristischen Organisation gewertet.
In ihrer Zeugenaussage erklärte Elif, dass die 13 Jahre alten
Abhörprotokolle illegal von denjenigen beschafft worden seien, die später
die Ermittlungen im Korruptionsskandal vom Dezember 2013 leiteten. Dabei
ging es um Ermittlungen gegen den damaligen Ministerpräsidenten Tayyip
Erdoğan, die auf Telefonüberwachungen von Justizbeamten beruhten, die dem
Prediger Fethullah Gülen nahestanden. Nicht nur Erdoğan und seine Minister
wurden damals überwacht, sondern auch Journalist:innen wie Elif.
## Gülenistische Methoden
Tatsächlich sind die auf diesen „Beweisen“ basierenden Verfahren längst
eingestellt, die beteiligten Staatsanwälte sitzen bereits im Gefängnis.
Dennoch setzt die Erdoğan-Regierung weiterhin Gülenistische Methoden und
illegal gesammelte „Beweise“ ein, um die Opposition mit konstruierten
Anklagen zum Schweigen zu bringen.
Die Versammlung, an der Elif damals teilnahm, war der Demokratische
Kongress der Völker (HDK) – 2011 in der Türkei gegründet. Sein Ziel war es,
eine Rolle bei der politischen Lösung der kurdischen Frage, der Demokratie
und dem Kampf für soziale Rechte und Freiheiten zu spielen. Er wurde völlig
legal gegründet – mit der Beteiligung von mehr als vierzig politischen
Parteien, Verbänden, NGOs sowie Journalist:innen, Schriftsteller:innen
und Künstler:innen.
Dass der HDK gerade jetzt ins Visier genommen wird, ist kein Zufall. Die
Regierung hat in den letzten Monaten darauf gedrängt, den jahrzehntelangen
bewaffneten Konflikt mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK zu beenden. Erst
in der vergangenen Woche hatte der inhaftierte historische Anführer
Abdullah Öcalan zur Entwaffnung und Auflösung der PKK aufgerufen.
## Sie war immer zu präsent
Der Staat setzt auf eine asymmetrischere und antidemokratischere
Vorgehensweise – begleitet von einer Verhaftungswelle, die sowohl
demokratisch gewählte Politiker:innen als auch jede Person trifft, die
sich diesem Prozess widersetzen könnte. Der Plan sieht vor, die PKK zur
Kapitulation zu zwingen, ohne vorher Bedingungen für einen Frieden zu
stellen. Im Rahmen der Ermittlungen, unter deren auch Elif verhaftet wurde,
hat die Staatsanwaltschaft eine Liste mit Tausenden von Namen an
regierungsnahe Medien weitergegeben und damit die Atmosphäre der Angst
weiter verstärkt.
So wurde Elif in die jüngste Welle von Regierungsmaßnahmen zur Zerschlagung
der Opposition hineingezogen. Da man ihr keine konkreten Terrorvorwürfe
machen konnte, benutzte man illegal beschaffte Tonaufnahmen ihrer
journalistischen Arbeit. Elif ist jemand, den jeder im Istanbuler
Gerichtshof kennt – Polizist:innen und Richter:innen gleichermaßen.
Sie war immer zu präsent, als sie aus dem Gerichtssaal berichtete.
Elif arbeitet seit 2012 als Journalistin. Als Reporterin für den
Fernsehsender IMC TV, der nach dem gescheiterten Putschversuch 2016 von der
Regierung geschlossen wurde. Danach war sie Redakteurin für Nachrichten zur
Meinungsfreiheit bei der unabhängigen Online-Zeitung Bianet. Für eine
Artikelserie über den 2007 ermordeten armenischen Journalisten Hrant Dink
wurde sie ausgezeichnet. Seit 2018 arbeitet sie dann als freie Journalistin
für verschiedene Medienorganisationen.
## Elif ist zäh
[5][Taz.gazete] war eine der Plattformen, für die sie gelegentlich vor
allem über Frauenrechte schrieb. [6][Am Internationalen Frauentag am 8.
März oder dem internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen
am 25. November verfolgte sie die Proteste der Frauen], die in den Jahren
der Repression mit ihren lila Bannern zu Symbolen der Hoffnung wurden, als
sich in der Türkei niemand mehr auf die Straße traute.
Im Jahr 2023 wurde sie wegen öffentlicher Beleidigung der türkischen Nation
vor Gericht gestellt, weil sie einen Artikel über ein Buch geschrieben
hatte, in dem es um den Völkermord an den Armeniern ging.
Elif ist eine sehr mutige Journalistin. Sie weiß, wie man mit Polizeigewalt
umgeht, denn sie hat sie unzählige Male erlebt. Elif zieht die Kälte der
Hitze vor. Ich erinnere mich, wie sie während eines viermonatigen
Stipendiums von Reporter ohne Grenzen in Berlin über einen ungewöhnlich
warmen Herbsttag klagte, an dem sich alle anderen amüsierten. „Je kälter,
desto besser“, sagte sie vor einem Späti, wo viele
Exiljournalist:innen ihre Zeit verbringen.
## Umgeben von denen, die sie verhaften werden
Elif interessiert sich für Kampfkunst. Ich erinnere mich an eine Nacht in
Istanbul, als sie mir ausführlich erklärte, wie man mit einem Handtuch die
Nackenmuskulatur stärkt, um bei einem harten Schlag auf den Kiefer nicht
ohnmächtig zu werden.
Elif ist zäh. Vor etwa einem halben Jahr ging Elif wegen einer Klage wegen
einiger alter Tweets zur Polizeistation. Dort erfuhr sie, dass ein
weiteres, geheimes Ermittlungsverfahren wegen Terrorismusvorwürfen gegen
sie lief. Trotzdem ging sie fast jeden Tag ins Gericht und nahm in Kauf
umgeben von denjenigen zu sein, die sie später verhaften würden.
Am 1. März ließ Elif über ihren Anwalt einen kurzen Brief nach draußen
schicken, in dem sie schrieb, dass die Moral unter den Verhafteten gut sei:
„Jetzt sind wir an der Reihe, in der Türkei im Gefängnis zu sitzen. Wir
hoffen, dass es das letzte Mal sein wird. Wir sehen uns draußen.“
5 Mar 2025
## LINKS
[1] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/stipendien/berliner-stipendienprogramm…
[2] /Willkuer-im-tuerkischen-Justizpalast/!5422183
[3] /Pro-kurdische-Opposition-in-der-Tuerkei/!6068451
[4] /Neun-Jahre-nach-Beginn-der-Gezi-Proteste/!5858694
[5] https://gazete.taz.de/
[6] /Tag-gegen-Gewalt-an-Frauen/!5552526
## AUTOREN
Ali Çelikkan
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