# taz.de -- Tag gegen Gewalt an Frauen: „Dieses Gesetz ist lebensnotwendig“ | |
> Das Gesetz Nr. 6284 schützt Frauen in der Türkei vor häuslicher Gewalt. | |
> Konservative wettern dagegen. Ein Gespräch mit der Anwältin Deniz Bayram. | |
Bild: Frauenorganisationen setzen sich für das Gesetz Nr. 6284 ein | |
Seit einigen Wochen wird in der Türkei heftig über eines der wichtigsten | |
Präventionsgesetze zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen diskutiert. | |
Auslöser waren die Schlagzeilen um eines der bekanntesten Paare der Türkei: | |
Der Schauspieler Ahmet Kural hatte seine Freundin, die Popsängerin Sıla | |
Gençoğlu verprügelt. Sie erwirkte mit diesem Gesetz Kontaktverbot. | |
Nun ist das Gesetz, das in der Türkei trocken als „Gesetz Nummer 6284“ | |
bezeichnet wird, zur Zielscheibe reaktionärer Plattformen und Zeitungen | |
geworden. Mit Überschriften wie „Das Gesetz 6284 drängt Männer in eine | |
Ecke!“ und „6284 zerstört Familien – Familiärer Zusammenhalt am Ende“ | |
wettern islamistische Zeitungen wie Yeni Akit dagegen. Maskulinisten | |
schließen sich derweil in sozialen Netzwerken zusammen und protestieren | |
gegen die „Zerstörung der klassischen Familienstrukturen“. | |
Das Gesetz Nr. 6284 wurde nach Beratungen mit Frauenorganisationen | |
formuliert und am 8. März 2012 vom türkischen Parlament verabschiedet. Es | |
soll Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt schützen. | |
taz.gazete sprach dazu mit der Anwältin Deniz Bayram, die sich ehrenamtlich | |
für die Frauenschutzorganisation Mor Çatı (Lila Dach) engagiert. | |
taz.gazete: Frau Bayram, w as beinhaltet das Gesetz Nr. 6284, das in der | |
Türkei derzeit so stark in der Kritik steht? | |
Deniz Bayram: Das Gesetz Nr. 6284 ist das Ergebnis eines harten und | |
schmerzhaften Prozesses, es regelt insbesondere die Haltung des türkischen | |
Staates gegen die Gewalt an Frauen. Besonders im Blick steht die häusliche | |
Gewalt. Es regelt den Schutz von Frauen, Kindern und Familienangehörigen, | |
die Gewalt erfahren oder von Gewalt bedroht sind, wie Opfer von | |
Stalkingfällen. | |
Was genau bringt das Gesetz? | |
Das Gesetz stellt alle Mittel zur Verfügung, die Frauen brauchen, um sich | |
in erster Linie vor der Gewalt zu schützen und wieder auf die Beine zu | |
kommen. Es sieht vor, Zentren zur Gewaltprävention zu gründen. Dieser | |
Gesetzestext garantiert Schutzunterkünfte, finanzielle Unterstützung und | |
eine Krankenversicherung. Eine der wichtigsten Reformen war, dass die | |
Polizei mit diesem Gesetz die nötige Handhabe bekam, in Fällen von | |
häuslicher Gewalt einzugreifen. Das Gesetz ist lebensnotwendig. Wer das | |
Gesetz abschwächen oder abschaffen will, der ignoriert die Tatsache, dass | |
Frauen körperlicher wie seelischer Gewalt ausgesetzt sind. | |
Hat dieses Gesetz denn auch Schwächen? | |
Es ist an manchen Stellen schwammig formuliert. Wenn es dort heißt: auch | |
„jedes (weitere) Familienmitglied, das Gewalt erfährt“ dürfe den Täter | |
anzeigen, dann werden Frauen so unsichtbar gemacht. Frauenhäuser, Zentren | |
zur Gewaltprävention und eine Rund-um-die-Uhr-Notruf-Hotline, die im Gesetz | |
festgeschrieben wurden, sind nicht effektiv genug umgesetzt worden. Durch | |
den Ausnahmezustand sind interne Schulungen in den Polizeistationen wegen | |
fehlendem Personal kaum an der Tagesordnung. Die Anwendung des | |
Anti-Gewalt-Gesetzes steht also für die Polizeikräfte nicht an erster | |
Stelle. Beim Gesetzesentwurf sprachen sich führende Frauenrechtlerinnen | |
dafür aus, dass das Kontakt- und Näherungsverbot bei Bedarf auf unbegrenzte | |
Zeit gelten darf – bis eben die Gefahrensituation vorbei ist. In der | |
Schlussfassung wurde diese Dauer jedoch auf maximal sechs Monate | |
beschränkt. In letzter Zeit beschränken sich die Gesetzesvertreter nur noch | |
drei Monate, weil eine Parlamentarische Untersuchungskommission dieses | |
Gesetz als Scheidungsgrund ausgemacht hat. | |
Warum gerät das Gesetz derzeit so sehr unter Beschuss? | |
Den Frauen gibt es ein rechtliches Mittel an die Hand, um sich konkret | |
gegen die Gewalt von Männern zu verteidigen. Es stärkt die Frauen. Sie | |
können selbstbewusst auftreten und sagen: „Ich habe es nicht verdient, | |
geschlagen zu werden, ich akzeptiere keine Gewalt“. Das Gesetz tritt nicht | |
nur in Aktion, um die Gewalt zu beenden, sondern führt auch dazu, dass die | |
Männer finanziell für die Gewalt, die sie verübt haben, haftbar gemacht | |
werden. Vor allem das Erstarken der Frauen, ihre Befreiung, ihre | |
Selbstbestimmung und Kontrolle über das eigene Leben sind den Gegnern ein | |
Dorn im Auge. Und das sind die Männer, die es nicht ertragen können, dass | |
Frauen stärker werden und ihre Rechte verteidigen. | |
Aus dem Türkischen von Judith Braselmann-Aslantaş | |
25 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Elif Akgül | |
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