# taz.de -- Gemeinderatssitzung in Jamel: Am langen Tisch mit den Nazi-Nachbarn | |
> Das Dorf Jamel ist bekannt für sein Anti-Rechts-Festival „Forstrock“. Im | |
> zuständigen Gemeinderat sitzt der Neonazi Sven Krüger. Ein | |
> Sitzungsbesuch. | |
Bild: Manchmal ist die Drohkulisse subtil, manchmal ziemlich konkret: der Garte… | |
Hamburg taz | Manchmal versteckt sich die [1][Brandmauer] in einem | |
Jugendklub. In Gägelow in Mecklenburg-Vorpommern tagt dort der Gemeinderat. | |
Zwischen gelben Wänden und Regalen mit Brettspielen sitzen seine elf | |
Mitglieder an einem Mittwochabend an einem langen, grauen Tisch. Zwei von | |
ihnen sind bekennende Neonazis: Sven Krüger und Stefan Meinecke, beide aus | |
dem nahegelegenen [2][Jamel, das als „NS-Musterdorf“ bekannt ist]. | |
Krüger ist ein bekannter Neonazi und Abbruchunternehmer. Er war mehrfach | |
inhaftiert, unter anderem wegen Verstoßes gegen das | |
Kriegswaffenkontrollgesetz. Krüger war Mitglied der NPD und saß von 2009 | |
bis 2011 für die Partei im Kreistag Nordwestmecklenburg sowie kurzzeitig im | |
NPD-Landesvorstand. | |
Er gilt als [3][Führungsperson der Hammerskins in Mecklenburg-Vorpommern], | |
einer klandestinen und gewaltbereiten Neonazi-Gruppierung, die mittlerweile | |
verboten ist. Krüger ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass das Dorf | |
Jamel als „Nazidorf“ bekannt wurde, da er dort mehrere Immobilien aufkaufte | |
und rechtsextreme Kader ansiedelte. | |
Eigentlich sollte der Gemeinderat Gägelow heute über eine neue | |
„Entgeltordnung für die Nutzung kommunaler Räume“ beraten. Doch der | |
Tagesordnungspunkt wurde vertagt, weil der Entwurf noch nicht fertig ist. | |
In der Entgeltordnung verbirgt sich auch die Zukunft des bundesweit | |
bekannten [4][Demokratie-Festivals „Jamel rockt den Förster“], das Birgit | |
und Horst Lohmeyer seit 2007 jährlich organisieren. | |
Gemeinde will 10.000 Euro Pacht für Wiesen | |
Ende Januar war bekannt geworden, dass die Gemeinde Gägelow erstmals Geld | |
von den Lohmeyers haben will, weil die für das Festival auch Wiesen nutzen, | |
die der Gemeinde gehören. Im Gespräch ist eine Pacht von 10.000 Euro. | |
Eigentlich sollte die Verordnung bereits am 1. März in Kraft treten. | |
Warum sich eine Gemeinde gegen ein [5][Festival für Demokratie in einem | |
„Nazidorf“] wehrt, ist gar nicht so einfach zu verstehen. Die | |
Bürgermeisterin Christina Wandel von der Wählergemeinschaft „Wir für | |
Gägelow“ (WfG) hatte die Idee, Pacht vom „Forstrock“-Festival zu verlang… | |
Ende Januar in einem schriftlichen Statement mit der finanziellen Notlage | |
der Gemeinde begründet. Allerdings hatte die Gemeinde zuvor ein Angebot des | |
Landes abgelehnt, die Flächen für rund 80.000 Euro zu kaufen. | |
Mit der Presse will die Bürgermeisterin an diesem Mittwochabend nicht | |
sprechen. Sie gebe grundsätzlich keine Interviews, sagt sie vor Beginn der | |
Sitzung. Christina Wandel sitzt an diesem Abend am Kopfende des Tisches. | |
Seit der Kommunalwahl im Juni 2024 hat ihre Wählergemeinschaft vier Sitze | |
im Rat. | |
Die mit Abstand meisten Stimmen hat aber der Rechtsextreme Krüger bekommen. | |
Die zweitmeisten erhielt Simone Oldenburg von den Linken, die auch | |
Bildungsministerin ist. Krügers Wählergemeinschaft „Heimatliebe“ hat eben… | |
wie „Die Linke“ zwei Sitze in der Gemeindevertretung. Die „Aktiven Bürger | |
Gägelow“ (ABG) haben ebenfalls zwei Sitze, je einen für die SPD und die | |
CDU. | |
Der Vorschlag kommt nicht von Neonazis | |
Der Tisch im Jugendklub, an dem der Gemeinderat tagt, hat an diesem | |
Mittwochabend deutlich Überhang. Fast alle Ratsmitglieder sitzen auf der | |
linken Seite, rechts die Neonazis Krüger und Meinecke – und Dirk Stein von | |
WfG. „Aber ich saß auch schon mal auf der anderen Seite!“, sagt der. Dazu | |
fühlt er sich berufen, weil sein Ratskollege Dirk Kolz von den ABG die | |
Sitzordnung im Raum kritisiert. | |
„Wenn Pressevertreter da sind, sitzen alle links, die sonst rechts sitzen“, | |
sagt Kolz. Auch die Bürgermeisterin habe schon mal auf der rechten Seite | |
gesessen. Bürgermeisterin Wandel unterbricht und wirkt ungehalten. „Jetzt | |
bin ich wieder schuld“, ruft sie. Die Diskussion geht durcheinander, Wandel | |
und Kolz werden laut. | |
Die Stimmung im Gemeinderat, das wird an diesem Abend deutlich, ist | |
ziemlich angespannt. Das liegt nicht unbedingt an der Fraktion | |
„Heimatliebe“. Krüger und Meinecke halten sich zurück, sagen wenig, tragen | |
Lesebrillen, blättern in Unterlagen. | |
Der Entwurf für die neue Entgeltordnung, die auch das Forstrock-Festival | |
betrifft, kommt tatsächlich auch nicht von ihnen. Sie würden das Festival | |
lieber gleich ganz verbieten, schreiben sie auf ihrer Facebook-Seite. Einen | |
entsprechenden Antrag lehnte der Gemeinderat Ende vergangenen Jahres jedoch | |
ab. | |
Isoliert ist die Wählergemeinschaft „Heimatliebe“ im Gemeinderat aber | |
keineswegs. Meinecke und Krüger sitzen im Bau- und im Sozialausschuss. Nur | |
dank ihrer Stimmen wurden Dirk Stein und Jens Herrschaft (beide WfG) in den | |
Haupt- und den Finanzausschuss gewählt. Im vergangenen Jahr hatte die | |
Gemeinde auch kein Problem damit, eine Spende von Sven Krüger für das | |
Erntefest anzunehmen. | |
Die [6][Zusammenarbeit mit den Neonazis im Gemeinderat Gägelow] erklärt | |
Daniel Trepsdorf von der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration | |
und Demokratie (RAA) Mecklenburg-Vorpommern auch mit der besonderen | |
Situation im ländlichen Raum. In Gemeinden wie Gägelow seien dominant | |
auftretende Rechtsextremist:innen wie Krüger im Alltag präsent. | |
„Man kennt sich, auch auf persönlicher Ebene, muss ständig einen Umgang | |
finden“ sagt Trepsdorf. Dadurch entstehe eine subtile Drohkulisse. Außerdem | |
spiele im Fall der Lohmeyers eine Art Täter-Opfer-Umkehr eine Rolle. „Nicht | |
wenige fragen sich: Warum müsst ihr immer den Finger in die Wunde legen? | |
Würdet ihr schweigen, hätten wir doch gar kein so großes Problem“, erklärt | |
Trepsdorf. | |
Es ist nicht das erste Mal, dass die Gemeinde den Organisator:innen | |
des Festivals Steine in den Weg legt. Im vergangenen Jahr mussten die | |
Lohmeyers sich mit einer Anzeige wegen einer angeblich „nicht vertragsgemäß | |
hinterlassenen“ Wiese herumschlagen. Das Festival stand kurzzeitig auf der | |
Kippe. | |
Kritik an der Gemeinde | |
Die Idee aus dem Gemeinderat, in diesem Jahr Gebühren vom Festival zu | |
verlangen, wurde von Anfang an scharf kritisiert. Nicht nur von den | |
Lohmeyers, die sie als „Missachtung ihres zivilgesellschaftlichen | |
Engagements“ bezeichneten. Auch die Schirmherrin des Festivals, | |
Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), sagte, die Gemeinde solle das | |
Engagement der Lohmeyers unterstützen und nicht erschweren. | |
Vor einigen Wochen teilte Sven Krüger auf Facebook ein Video, in dem eine | |
Gruppe vermummter junger Männer in Jamel zu Rechtsrock posiert, unter | |
Transpis mit der Aufschrift „Unser Dorf, unsere Regeln“ und „Letzte | |
Warnung“. „Ach, da möchte man auch noch mal jung sein“, schrieb Krüger | |
dazu. | |
In der Gemeinderatssitzung stimmen er und Steffen Meinecke über alles | |
Mögliche ab, Fahrradständer und neue Spielplatzgeräte. Am Ende geht es noch | |
um ein Hundekotproblem. „Was können wir da tun?“, fragt | |
Gemeinderatsmitglied Krüger und lächelt in die Runde. | |
27 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Brandmauer-in-saechsischen-Kommunen/!6064675 | |
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[3] /Verbot-der-rechtsextremen-Hammerskins/!5958227 | |
[4] /Festival-gegen-rechts-in-Jamel/!6059996 | |
[5] /Festival-Jamel-rockt-den-Foerster/!5874165 | |
[6] https://www.nordkurier.de/regional/nordwestmecklenburg/hier-lassen-sich-dem… | |
## AUTOREN | |
Amira Klute | |
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