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# taz.de -- Sci-Fi-Komödie über Mutterschaft: Die Faustin
> Die Hybris hat in „Wollstonecraft“ Folgen. Auf der Bühne des Theaters
> Freiburg entspringt ein künstlicher Mensch dem 3D-Drucker.
Bild: Mutter dank 3-Drucker: Johanna Horstmann als Marie in „Wollstonecraft“
Marie (Janna Horstmann) will ein Kind, um jeden Preis. Nachdem ihre
bisherigen Schwangerschaften allesamt mit Fehlgeburten geendet haben,
scheint nun das Schicksal eine unverhoffte Wende zu bringen. Denn ihre
Freundin Claire (Stefanie Mrachacz) verfügt über einen 3D-Drucker, der
eigentlich der Erzeugung passgenauer [1][Tupperware] dient.
Als die verzweifelte Heldin jedoch im Chaos der Gefühle ihre zuvor
eingefrorenen, toten Föten in das arkane Gerät gibt, passiert es: Ein
Homunkulus entsteht, ganz nach dem Abbild ihres Ex-Partners Perceval
(Victor Calero). Statt des ersehnten Mutterglücks empfindet die
Protagonistin allen Hoffnungen zum Trotz nur Scham und sieht sich mit dem
in der Realität unbeholfenen Wesen bald schon ihrer Freiheit beraubt.
Zweifelsohne hat die aus Québec stammende Autorin Sarah Berthiaume in ihrem
Stück „Wollstonecraft“ nicht nur aus [2][Mary Shelleys] Frankenstein eine
zumindest anfangs nette, planlose Kreatur gemacht, sondern ebenso aus
[3][Goethes Faust] eine Faustin. Und ebenso frei nach dem Weimarer
Schriftsteller wird sie die Geister, die sie rief, nicht mehr los.
Nur zeitigt in der deutschsprachigen Erstaufführung am Theater Freiburg ein
gänzlich anderer Fortschritt als noch in der Vormoderne seine fatalen
Effekte, zumal sich der künstliche Mensch zum mordenden Monster entwickelt.
Gleichzeitig wird die Ambivalenz der Technik betont, insofern sie das
paradoxe Versprechen bereithält, mit ihren Schöpfungen, die den Klimawandel
beförderten, diesen wieder zu bewältigen. Aus einer gigantischen
Plastikfläche im Meer könne man Claire zufolge viele Aufbewahrungsboxen für
die Küche produzieren.
Dialoge voll schwarzen Humors
Unter der Regie von Camilla Dania nimmt diese so verrückte wie brisante
Story einen bitteren Farce-Charakter an. Die Dialoge sind voll schwarzen
Humors. Die Kulisse, ein monochrom grauer Raum mit zwei Türen, hinter denen
sich ein riesiger Kühlschrank mit überdimensionalem Obst und den
Totgeburten befindet, erweist sich als steril und futuristisch.
Aufgebrochen wird die statische Struktur durch einige starke Szenen. So
performen bei der Zeugung der Kreatur mehrere als Bestien verkleidete
Statisten zu harten Beats einen dämonischen Tanz. Wenn indessen eine
Streicherversion von Debussys „Clair de Lune“ erklingt, stellen sich
wiederum poetische Momente ein.
Dann werden wir etwa einer elegischen Klage von Perceval über die
gescheiterte Liebe gewahr. Neben ihm steht dabei ein Baum in einer
Vitrine, der langsam vom Rauch verschluckt wird – ein traurig-schönes
Bild für einen Brand, in den er sich stürzt, nachdem er im Homunkulus
seinen Doppelgänger erblickt. Nicht weniger wühlt das Ende dieser
Geschichte auf. Auf die Bestürzung über die Hybris folgt eine spätödipale
Vereinigung. Marie und ihr Geschöpf küssen sich. Die humane
Selbstübersteigerung, sie birgt, so die Botschaft, sowohl das Potenzial zur
Zerstörung als auch zur Überwindung verfestigter Grenzen.
Abseits der bioethischen Diskurse – von der Ethik des Klonens bis zur
In-vitro-Medizin – stellt diese luzide und virtuose Inszenierung, benannt
nach einer Frauenrechtlerin des 18. Jahrhunderts, die Frage nach einem
weiblichen Schöpfungsmythos. In einem schrägen Werbevideo deutet dazu
Claire die Genese von Tupperware zur feministischen Emanzipationsgeschichte
um. Darüber hinaus repräsentiert natürlich Marie, die durchaus an die
Mutter Gottes denken lässt, die versuchte Überwindung der patriarchalen
Schaffensmacht.
Dass beide damit wenig Erfolg haben, lässt nur den einen Schluss zu: Alle
Erben des Prometheus, ob Mann oder Frau, werden Opfer ihres Übermuts –
eine desillusionierende, wohl aber ehrliche Erkenntnis.
2 Mar 2025
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[3] /Doktormutter-Faust-am-Schauspiel-Essen/!5956541
## AUTOREN
Björn Hayer
## TAGS
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