| # taz.de -- Die Mutterrolle im Theater: Die Angst, nie zu genügen | |
| > Für das Nationaltheater Mannheim hat Laura Linnenbaum den großartigen | |
| > Roman von Daniela Dröscher „Lügen über meine Mutter“ auf die Bühne | |
| > gebracht. | |
| Bild: Wäscheleinen versinnbildlichen das straff gespannte Netz, in dem vor all… | |
| Das Buch endet mit der Szene, wie die Mutter nach vielen Jahren geht: | |
| aufrecht, mit leeren Händen und diesem großen Herzen, dem keine Demütigung | |
| etwas anhaben kann. Der Theaterabend endet mit einer Art Märchen, in dem | |
| der endlich entkommene Mutterkörper eine Kometenbahn beschreibt. Und da | |
| erkennt man schon, aus welcher Perspektive Laura Linnenbaum und ihre | |
| Dramaturgin Annabelle Leschke die Geschichte betrachten, die [1][Daniela | |
| Dröscher in „Lügen über meine Mutter“] erzählt. | |
| In ihrem autofiktionalen Meisterinnenwerk in der Tradition von [2][Annie | |
| Ernaux] und Édouard Louis, das 2022 auf der Shortlist für den Deutschen | |
| Buchpreis stand, geht Dröscher ihren Erinnerungen an eine Frau nach, die | |
| alle Erwartungen übererfüllte, die an Frauen in der westdeutschen Provinz | |
| in den achtziger Jahren gestellt worden sind. Eine top Hausfrau, die neben | |
| ihren beiden Töchtern noch das Nachbarkind versorgt, 13 Jahre lang ihre | |
| eigene Mutter pflegt und auch beruflich voranzukommen versucht, kann es | |
| ihrem von eigenen Abstiegsängsten absorbierten Mann nicht recht machen. | |
| „Es ist nie genug“, heißt es einmal, und das bezieht sich nicht nur auf das | |
| Gewicht, dass sie seiner Meinung nach verlieren soll. Es ist wie ein Wahn: | |
| Dass er nicht befördert wird, daran ist wie an allem, was ihm nicht | |
| gelingt, einzig die Nicht-„Vorzeigbarkeit“ seiner Frau schuld. Ihr dicker | |
| Körper ist das Schlachtfeld gesellschaftlicher Zwänge, worauf er mit | |
| chronischen Schmerzen reagiert. Daniela Dröscher feiert sie trotzdem als | |
| Heldin. | |
| [3][Laura Linnenbaum], die mit der Uraufführung von „Lügen über meine | |
| Mutter“ ihr Regie-Debüt am Nationaltheater Mannheim gibt, umzingelt diese | |
| Heldin mit Fragen: „Wie und wann nahm dieses Drama seinen Anfang?“, rufen | |
| Maria Munkert, Ragna Pitoll und Antoinette Ullrich, die meistens alle drei | |
| das Kind Daniela, genannt Ela, sind. Sie leihen aber auch dem Vater, der | |
| Mutter oder Oma ihre Stimmen. | |
| ## Geschickte Vermeidung des Illustrativen | |
| Verkörperung ist nicht, aber sehr viel Körper und Bewegung. Zwischen den | |
| Klippen des Papiernen und der Illustration, an denen theatrale | |
| Romanadaptionen oft zerschellen, navigiert Linnenbaum geschickt gen | |
| opulente Abstraktion. | |
| Für den dicken Körper, der auch im Roman nie beziffert und vermessen wird, | |
| gibt es kein Bild. Nur einmal stopft sich Pitoll hektisch Zettel unter ihr | |
| strumpfartiges Kostüm. Ansonsten tanzen drei sehr schlanke Frauen das | |
| Dilemma der modernen Frau zu Wirtschaftswunder-Jazz, machen Aerobic für das | |
| Zeitkolorit oder lassen Ballons quietschen: Pinkfarbene Stellvertreter des | |
| einen Ballons, den sich die Mutter in den Magen implantieren ließ. | |
| Massen von Kleidern, die vom Schnürboden fallen und an Wäscheleinen gehängt | |
| werden, machen vor allem bildlich was her. Die Leinen selbst aber | |
| versinnbildlichen das straff gespannte familiäre Netz, in dem vor allem die | |
| Töchter zu früh zu viel emotionale Verantwortung übernehmen. In einer | |
| besonders eindringlichen Szene sitzt Ullrich als Kind unter dem langen | |
| Tisch, an dem die beiden anderen große weiße Köpfe aufgezogen haben. | |
| ## Das Kratzen des Bestecks | |
| Der Vater macht gerade mit wenigen Worten alle Aufbruchsfantasien der | |
| Mutter zunichte, orchestriert vom Kratzen des Bestecks in | |
| überdimensionierten Metallschüsseln. Und dann träumt das Kind, wie die | |
| Gedemütigte mit der Gabel auf ihren Demütiger losgeht. | |
| Traum- und Fantasiebilder wie diese, ob in Zeitlupe oder hektisch und fast | |
| albern, rücken die Perspektive der kleinen Ela ins Zentrum, die Mitte der | |
| Achtziger noch keine zehn Jahre alt ist. Aber auch das erwachsene, heute | |
| 46-jährige Autorinnen-Ich bekommt seine Szene, das im Netz aus Angst, Scham | |
| und der Überzeugung, nie zu genügen, hängengeblieben ist. | |
| Damit können sich sicher viele Frauen nicht nur dieser Generation | |
| identifizieren. Dass das Leid und die unsichtbare Überlastung der Mutter | |
| daneben fast zum Begleitrauschen geraten, ist dennoch schade. Beides so | |
| anrührend plastisch gemacht zu haben, ist eine der großen Leistungen von | |
| Dröschers Buch. | |
| 20 Feb 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sabine Leucht | |
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