| # taz.de -- Science Fiction im Theater: Früher war nicht alles schlecht | |
| > In Bremen, Hamburg und Hannover kommen mittelalte Science-Fiction-Stoffe | |
| > auf die Bühne – mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen. | |
| Bild: Das Ende der Menschheit: Die „Replikantenoper“ am Theater Bremen | |
| Bremen taz | Wir werden alle am [1][Klima] sterben, oder weil [2][die | |
| Maschinen die Macht übernehmen] – je nachdem, was schneller kommt. Und das | |
| bald, wenn die drei norddeutschen Theater richtig liegen, um die es hier | |
| gehen soll: Wie abgesprochen werden in Bremen, Hamburg und Hannover | |
| eigentlich eher bühnenferne [3][Science-Fiction]-Stoffe bearbeitet. Und das | |
| muss doch irgendwas bedeuten, oder? | |
| Die drei Stücke – vielmehr: die Vorlagen – sind klassisch insofern, als sie | |
| nicht die eben erst von der Realität überholten Cyberpunk-Erzählungen der | |
| späten 1980er- und folgenden Jahre durchnudeln, sondern die Phase davor: | |
| als die Welt noch offline unterging. | |
| Losgelegt hatte das Schauspielhaus in Hamburg mit „Picknick am Wegesrand“: | |
| ein wunderschönes Buch von Arkadi und Boris Strugazki aus den frühen | |
| 1970ern, das seine Verehrer*innen hat, auch wenn ihm 1979 „Stalker“, die | |
| Verfilmung von Andrei Tarkowski, den Rang abgelaufen haben wird. Texte von | |
| Philip K. Dick (1928–1982) stehen in Bremen und Hannover im Spielplan, | |
| einerseits die Kurzgeschichte „Träumen Androiden von elektrischen | |
| Schafen?“, ebenfalls als „Blade Runner“ [4][sehr frei fürs Kino | |
| aufbereitet] und das enorm erfolgreich; andererseits „Zeit aus den Fugen“. | |
| Der jeweilige Umgang mit der Zukunft von gestern fällt in den drei Fällen, | |
| an den drei Häusern sehr unterschiedlich aus. | |
| ## Demontierter Nerd-Stoff | |
| Was Bremen angeht, muss man vorweg einräumen: Ganz so unerwartet kam | |
| „[5][The End. Eine Replikantenoper]“ auch wieder nicht auf die Bühne. | |
| Regisseur Felix Rothenhäusler und Autor Jan Eichberg arbeiten am | |
| Goetheplatz schon lange an der Demontage kultivierter Nerd-Stoffe, ein | |
| Verwandter ihrer aktuellen „Blade Runner“-Adaption dürfte Rothenhäuslers | |
| [6][aufsehenerregende Theaterfassung der TV-Serie „Mr. Robot“] gewesen | |
| sein. | |
| Radikaler reduziert fällt nun „The End“ aus: Nahezu unbewegt stehen fünf | |
| Schauspieler*innen vor einem sonderbar organisch wirkenden Vorhang im | |
| Sprühregen und moderieren sich selbst immer wieder formelhaft an: „Und der | |
| Replikantenjäger Rick Deckert sprach“, heißt es dann, worauf zum Beispiel | |
| folgt: „Danke.“ | |
| Zu erkennen ist besagter Replikantenjäger bereits vor seinem ersten Satz, | |
| weil die Kostümierung bis hart an die Grenze der Parodie dem Film mit | |
| Harrison Ford nachempfunden ist – mit klitschnassem Schmuddeltrenchcoat und | |
| Blinkepistole. Während der Text sich wie eine vielstimmige, aber stofflose | |
| Maschine immer wieder in die menschliche Misere schraubt, löst sich im | |
| Hintergrund der Vorhang auf: Immer größere Brocken klatschen zwischen den | |
| Schauspieler*innen ins Wasser. Das erweist sich als hochgradig treffsicher, | |
| sowohl was die melancholische Stimmungslage angeht als auch den | |
| philosophischen Gehalt des Textes: Was unterscheidet noch mal den Menschen | |
| von seinem Abbild? Und ist es am Ende mehr Mensch als er selbst? | |
| Ganz anders gerät in Hamburg „[7][Stalker – Picknick am Wegesrand]“ unter | |
| der Regie von David Czesienski. Zwar stehen auch hier große Fragen im | |
| Programmheft, auf der Bühne wird dann allerdings erst mal ganz viel Luft | |
| raus gelassen. Das Stück handelt von sogenannten Stalkern, Menschen, die | |
| eine vom Alien-Besuch zerklüftete Landschaft nach fremdartiger Technologie | |
| durchsuchen und dabei ihr Leben riskieren, weil die Realität dort in der | |
| „Zone“ nicht mehr intakt ist. | |
| ## Vermeintlichen Genrequatsch ernst genommen | |
| Das Bühnenbild zeigt eine arg windschiefe Stalker-Kneipe, die sich durch | |
| geschickte Lichtwechsel immer wieder in diese „Zone“ verwandelt. Eine | |
| Zeitschleife hält die Figuren gefangen: Da werden noch gar nicht verlorene | |
| Dinge gefunden, der Kater kommt vor dem Suff – und wenn man sich gerade | |
| daran gewöhnt hat, funktioniert es doch wieder ganz anders. Das ist sehr | |
| schön gerade darin, vermeintlichen Genrequatsch ernst zu nehmen. Man könnte | |
| sagen: Wo Rothenhäusler in Bremen aufs Skelett seiner Vorlage blickt, | |
| bringt Czesienski in Hamburg die Oberfläche zum Tanzen. | |
| In Hannover wiederum reanimiert Laura Linnenbaum mit „Zeit aus den Fugen“ | |
| in sehr konkreter Bildsprache das Kommunisten-paranoide Amerika der 1950er. | |
| Hier beginnt der Rätselexperte Mister Gumm an der Realität zu verzweifeln | |
| und hinter Nachbarn, Freunden und Geliebten die Agenten finsterer Mächte zu | |
| vermuten. | |
| Der Alltag als Scheinwelt, das ist eines der stärksten Dick’schen Motive, | |
| zigfach aufgegriffen, von „Star Trek“ bis zur „Truman Show“. Dass solche | |
| Geschichten bis heute oft in die 1950er verlegt werden, dürfte mehr sein | |
| als Traditionspflege: Die Gemengelage aus erwachendem Pop-Lifestyle, | |
| frischen Kriegserinnerungen und atomarer Bedrohung: dass solches Fundament | |
| heute wieder funktioniert – bemerkenswert. | |
| ## Zeit und Außenseiter | |
| In ihrem ganzheitlichen Nachbau-Versuch ist „[8][Zeit aus den Fugen]“ die | |
| am wenigsten entschlossene der drei Inszenierungen. Sehenswert ist sie | |
| trotzdem, weil die Mixtur aus Zeitstudie und Außenseiter-Psychogramm immer | |
| noch zündet. | |
| Insgesamt lässt sich feststellen, dass keines der drei Häuser in | |
| unmittelbarem Untergangstaumel feststeckt, sie alle die bis weit ins | |
| Feuilleton vorgedrungene Angst vor Klima und KI spielerisch nehmen. Wenn | |
| das Theater nun Ernst macht bei der Reflexion solcher Stoffe, ist das doch | |
| erfreulich. | |
| Kein Zufall ist wohl, dass die drei Regisseur*innen ihre Jugend in den | |
| 90ern zubrachten, als von SF keiner etwas wissen wollte, solange es nicht | |
| irgendwie Mash-up war, Ironie oder gleich Dekonstruktion. Also ja: Es ist | |
| Rückbesinnung und Wiederentdeckung im Spiel – weil ja früher nicht alles | |
| schlecht war. | |
| 6 Oct 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan-Paul Koopmann | |
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