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# taz.de -- Theaterstück „Trüffel Trüffel Trüffel“: Raffinesse mit Voll…
> Theaterregisseur Felix Rothenhäusler hat schon lange vor Corona auf
> Abstand inszeniert. Darum sieht's am Bremer Theater auch nicht nach
> Notlösung aus.
Bild: Berühren verboten: Auch am Bremer Theater gilt die Abstandsregel
Ist das schon Corona – oder doch noch Felix Rothenhäusler? Infiziert ist
jedenfalls mindestens der Blick auf seine frisch ans Bremer Theater
überführte [1][Inszenierung von Eugène Labiches Lustspiel „Trüffel Trüff…
Trüffel“]. Streng auf Abstand stehen die acht Schauspieler:innen in Reihe,
berühren einander nie – und rücken sich dafür umso energischer mit Worten
auf die Pelle.
Klar passt das Rothenhäusler’sche Kompakttheater wie angegossen in die
Hygieneverordnungen von heute. Richtig toll ist der Abend aber, weil’s eben
kein Zugeständnis an die Zwänge ist, sondern der konsequente nächste
Schritt einer sich seit Jahren ausdifferenzierenden Regiearbeit. Und das
gleich vorweg: Es ist eine Freude, diese Theatermaschine endlich wieder in
Aktion zu erleben.
Inhaltlich geht es um die Verkupplung zweier junger Menschen, die sich
sogar ein bisschen mögen; vor allem aber um ihre Eltern, die einander mit
Luxus auf Pump und abgeguckter Etikette Wohlstand vorgaukeln. Nach außen
also wenig Reibungsfläche, weil das im Publikum ja jede:n irgendwie abholt:
ob man nun vorn im Parkett über Trüffel fressende Hochstapler schmunzelt,
oder weiter hinten über Etepetete und Heititei der Möchtegern-Superreichen.
Letztlich stehen aber gleich beide Ressentiments auf wackligen Füßen, weil
Katharina Pia Schütz ihre Bühne mit einer haushohen Spiegelwand abschließt
und das coronamäßig vereinzelt sitzende Publikum so mitten reinholt in das
vermeintliche Klassengerangel.
Schnell ist also von individuellen Menschen die Rede, und die fallen
allesamt herzallerliebst aus. Die Kinder sowieso: Matthieu Svetchine wahrt
angesichts der steildrehenden Eltern in Fußballtrikot und
Grusel-Corpsepaint eine stoische-knuffige Bodenständigkeit – genau wie
Deniz Orta als Braut in spe mit Flügelchen am Rücken und monströs-schiefen
Plastikzähnen im Mund. Wie gesagt: Es ist keine Milieustudie, sonst wäre
die Visage der Armut als Witz ein Unding.
Hier jedoch kann man aufs Gebiss nicht wütend sein, sondern muss sich im
Gegenteil sogar ein bisschen darin verlieben. Auch weil Deniz Orta so
lustig an ihm vorbei singt: [2][„Someone Like You“ von Adele] und [3][Sias
„Chandelier“], Herzschmerz und auch ohne Plastik im Mund ambitioniert. Es
ist so schief wie schön, wie sie da mit großen Augen nickend die Takte bis
zum nächsten Einsatz abzählt.
Sie sind alle gut und es macht kirre, wie sich die gesamte Besetzung so
rasend schnell sprechend, aber präzise an den Bruchstellen ihrer Figuren
arbeitet. Beim surrealen Kammerkonzert direkt nebenan steht Nadine
Geyersbach als verzweifelt-mitfiebernder Papa mit zitternd geballten
Fäusten stumm mitsingend.
Vielleicht, weil das Töchterchen (jedenfalls aus seiner Banausensicht)
profitträchtig abliefert – oder doch auch aus echter Liebe zum Kind? Man
weiß es nicht, fragt es sich aber doch die ganze Zeit. Und eben darum ist
diese rasante Stunde nicht nur brüllend komisch, sondern im Kleinen auch
ganz großes Schauspiel.
18 Sep 2020
## LINKS
[1] https://theaterbremen.de/de_DE/programm/trueffel-trueffel-trueffel.1278189
[2] https://www.youtube.com/watch?v=hLQl3WQQoQ0
[3] https://www.youtube.com/watch?v=2vjPBrBU-TM
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
Bremer Theater
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