# taz.de -- Theater von Künstlicher Intelligenz: Sonntags im Cyberspace | |
> Felix Rothenhäusler neues Stück hat eine Maschine geschrieben. Eine gute | |
> Idee, über die „Verfall. Ein Picknick im Grünen“ aber nicht weit | |
> hinauskommt. | |
Bild: Langweilig oder intensiv? Auf der Bühne sind nur minimale Bewegungen zu … | |
Bremen taz | [1][Felix Rothenhäuslers Theater] hat in seiner streng | |
konstruierten Form ein bisschen was von bildender Kunst: wie ein Foto | |
vielleicht, eine Plastik oder so was. Böse Zungen würden vielleicht noch | |
nachlegen, dass im Rahmenprogramm der meisten Vernissagen sogar noch etwas | |
mehr passiert als in Rothenhäuslers Inszenierungen auf der Bühne. Sein | |
neuer Wurf, „Verfall. Ein Picknick im Grünen“, am Bremer Theater, markiert | |
in dieser Hinsicht ein Extrem, mit einer Handlung, die sich auf wenige | |
Sekunden – einen Augenblick – beschränkt. Menschen sitzen, stehen, liegen | |
oder joggen im Park. Manche tauschen zwei oder drei Worte aus. Und das | |
wars. | |
Zumindest scheint es lange so, bis sich im starren Bild zu | |
maschinell-pulsierendem Bassgedröhne erste Unschärfen einstellen. Auf der | |
in Sepiatönen ausgeleuchteten Bühne sind zwar tatsächlich nur | |
Minimalbewegungen zu sehen: Sonnenbrille runter, Sonnenbrille rauf – ein | |
Obsttörtchen zum Mund geführt und doch wieder zurück damit auf die | |
Picknickdecke. Nur gibt es noch diesen Erzähler, der emotionslos aus dem | |
Off beschreibt und manchmal auszudeuten versucht, was da gerade passiert. | |
Und da schleichen sich mit der Zeit kleine Abweichungen ein, Fehler oder | |
Verwacklungen, um im Bild vom Bild zu bleiben. | |
Man kann diesen Abend meditativ erleben oder als extrem nervtötend. Man | |
kann auch zum Schauspiel allerlei finden: dass es extrem verdichtet sei, | |
zum Beispiel, oder meinetwegen auch, dass es gar nicht erst stattfindet. | |
Die Qualität des Rollenspiels scheint so recht keine Rolle zu spielen, wird | |
vielmehr zum Element dieser von Rothenhäusler und Vera Tussing | |
choreografierten Installation. | |
Na gut, Siegfried W. Maschek zum Beispiel holt mit seinem lakonischen | |
Lächeln schon eine unerwartete Erhabenheit aus dem Rentner und Gassigänger, | |
dem sein Hund Gesellschaft und eine Aufgabe verleiht, wie die Off-Stimme | |
weiß. Und auch Pizzabotin Shirin Eissa arbeitet mit außergewöhnlichem | |
Fingerspitzengefühl am Erzählerauftrag ab: eine Kurierfahrerin zu sein, | |
die ihren Job liebt, weil sie gerne in der Natur sei und Menschen möge. | |
Natürlich ist das auf der Oberfläche ein Witz über die hässliche | |
Arbeitswelt, nur dass die Pointe bleibt, dass man sich eben doch die ganze | |
Zeit fragt, wie es dieser Lieferando-Frau wohl tatsächlich geht. | |
Gerade weil hier alles nicht nur falsch ist, wächst das Misstrauen | |
gegenüber dem Autoren dieses Stücks, um den es hier laut Programmzettel ja | |
eigentlich auch gehen sollte. GPT-3 heißt der und ist ein Computerprogramm | |
von der Sorte, die gemeinhin etwas unscharf als [2][„Künstliche | |
Intelligenz“] bezeichnet wird. Diese Maschine haben Regisseur Rothenhäusler | |
und Dramaturgin Theresa Schlesinger mit der Parkszenerie gefüttert, um sie | |
weiterspinnen zu lassen: zu erzählen, was aus Picknickerinnen, Joggerin, | |
Seeschwimmer, Security, Mutter und Pizzabotin wird. | |
Spoiler: Die meisten sterben, wobei sich GPT-3s Hauptsätze à la „Sie läuft | |
durch den Park und sieht stolz aus“ in geradezu lustvolle | |
Sprachkompositionen aus Schimmel, Verwesung und Bienen verwandeln, die | |
durch menschliches Lungengewebe kriechen. Eine Überraschung ist das nicht, | |
schon weil das Stück „Verfall“ heißt. Wie in einem barocken | |
Vanitas-Stillleben war hier im Anfang bereits angelegt, dass alles und alle | |
als Biomatsche enden. | |
Spannend wäre nun gewesen, wie die Maschine darauf kommt, woraus genau das | |
bisschen Code seine Haltung entwickelt zu Leben, Tod, Lohnarbeit und | |
Sonntagspicknick: allesamt Dinge, mit denen es von Haus aus nicht so | |
wahnsinnig viel zu tun haben dürfte. Es ist nämlich schon bemerkenswert, | |
mit welchen Klischees der Maschinentext so selbstverständlich jongliert. | |
Sich ausbreitenden Schimmel beschreibt GPT-3 etwa im Zeitraffer: ein Kniff | |
so alt wie das Kino, der sich über die Sehgewohnheit längst in menschliche | |
Psyche eingeschlichen hat. Manche träumen heute ja sogar so. Und natürlich | |
hat das Relevanz, wenn etwa Netflix’ Algorithmen längst automatisiert | |
beliebte Plotelemente und Motive zu neuen Drehbüchern verdichten. | |
Weil die Inszenierung sich aber ausschweigt über die Entstehung des Stücks | |
– weil dieses „Füttern“ so vage bleibt – kommt am Ende leider doch eher | |
wenig dabei herum. Abgesehen vielleicht vom vagen Unwohlsein über einen | |
Maschinenautoren, der ohne Not menschliche Figuren brennen, ersticken und | |
verrotten lässt. Oder sollte es auch diesmal doch wieder nur um Theater | |
gehen: um Wechselwirkungen und Reibungsflächen zwischen Stoff, Text, Autor, | |
Regie, Schauspiel und Choreografie? | |
Es sieht jedenfalls so aus, auch wenn die Frage schon ein bisschen lustig | |
ist, warum man GPT-3s Originalität eigentlich so viel kritischer beäugt als | |
die von meinetwegen Schiller. | |
Am Ende bleibt es jedenfalls beim Schulterzucken – und bei der vielleicht | |
naiven Hoffnung, dass sich der große Bruder doch erst in Film- und | |
Musikindustrie die Hörner abstößt, bevor er dann wirklich rüber macht ins | |
Theater. | |
5 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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