Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Politisches Theater in Bremen: Mit Brecht im Leerstand
> In einem leer stehenden Bremer Haus inszeniert Antigone Akgün einen
> zornigen Theaterabend. Verhandelt werden aktuelle Wohnraumdebatten.
Bild: Dosiertes Pathos: Schauspieler Christian Freund interveniert im Bremer St…
Leerstand ist ein grausames Wort. Oder doch wenigstens eine fiese
Verwaltungsvokabel, mit der sich auch über allergrößte Schweinereien
nüchtern, sachlich und informiert sprechen lässt, während politische
Gegner:innen mit jedem „aber“ noch hysterischer klingen. „Leerstand“
nennt man eben einen Zustand und kein Geschäftsmodell. Und damit rückt auch
dieser Befund hier ganz schön weit weg: Die einen leben auf der Straße, die
anderen lassen Wohnraum brachliegen und verbuchen steuerlich rentable
Verluste, während sie weiter auf noch höhere Mieten und Preise spekulieren.
Theaterregisseurin Antigone Akgün ist den Spuren linker Wohnraumdebatten
über Besetzung, Zwischennutzung und Verelendung ganz bis zu Brecht gefolgt:
zu seinem Stückfragment „Der Brotladen“, das für gewöhnlich als Vorarbeit
für „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ eingeschätzt und abgetan wird.
Akgün hat den Text ernster genommen. Mit Brecht’schen Theorietexten hat sie
ihn zu einer Performance verdichtet und sie am Wochenende in Bremen nun als
„Leer/Stand – Der Brotladen oder: Wem gehört der Stadtraum?“ auf die Bü…
gebracht.
Wobei das mit der Bühne so eine Sache ist: Tatsächlich ließ Akgün ihr vor
dem Stadttheater wartendes Publikum erst mal einsammeln und etwas
[1][weiter runter ins Steintorviertel] führen: in ein unscheinbares leer
stehendes Haus zwischen all den Traditionsgeschäften,
Partytourist:innen und den Altbauwohnungen gutsituierter
Linksalternativer. Und da sitzt man schließlich mit Brecht im Leerstand,
während draußen Fußgänger:innen, Straßenbahnen und die feministische
Walpurgisdemo am Schaufenster vorbeiziehen.
Das Stück selbst versteht Akgün als „Fragment im Fragment“, als ein
Theaterexperiment mit eingestreuter Theorie und Brecht’schem V-Effekt, wie
man ihn so buchstabengetreu nur selten zu Gesicht bekommt.
Vor einem grob aufgemalten Brotregal räsonieren Christian Freund und
Patrick Balaraj Yogarajan über Rollen, Personal und ihre Regisseurin. Sie
wiederholen Szenen, lassen andere aus – und probieren sich in verschiedenen
Versionen der Hauptrolle Witwe Qeck. Das alles ist sehr meta – sagt wohl
mehr über Theater über die Gesellschaft –, ist dabei aber ausgesprochen
unterhaltsam bis hin zur gerappten Antwort auf die Frage, wie sich das
„Theater der Subalternen“ mit der „Musik der Subalternen“ verträgt.
## Im Schwitzkasten der Banken
Inhaltlich bleibt derweil die besagt Frau Qeck auf teurem Feuerholz sitzen,
weil ihr Chef vom Hauseigentümer unter Druck gesetzt wird, den wiederum die
Banken im Schwitzkasten haben. Kurz gesagt: Es geht ums
institutionalisierte Nach-unten-Treten in einem noch sehr klassischen und
modellhaften Kapitalismus und eher nebenbei um die Plot- und Diskursfäden,
die sich von hier aus zu Kleingewerbe, Zeitungsjungen, Immobilienfirmen und
der Heilsarmee entspinnen.
Wie gesagt: Meistens ist das lustig und bisweilen auch tatsächlich
aufrüttelnd, was vor allem an Christian Freunds bis punktgenau am Rand des
Erträglichen dosierten Pathos liegt.
Dass es beim Lehrstück über Lehrstücke aber nicht bleiben soll, war das
ausdrücklich erklärte Ziel der Veranstaltung. Darum wird man nach dem Stück
aufgefordert, das Haus vom Keller bis in den dritten Stock in Ruhe
abzulaufen. Zwischen atmosphärischen Lichtinstallationen, krudem Interieur
und in der Badewanne gespielten Szenen stehen hier vor allem Lavinia
Moroffs Interviewvideos im Mittelpunkt: Gespräche mit Menschen aus der
Stadtgesellschaft, die sich mit den im Stück angerissenen Themen in der
Praxis auseinandersetzen.
## Arg viel Theorie
Doch so interessant die Gespräche im Einzelnen auch sein mögen: Sie
schütten dann letztlich doch auch arg viel Theorie auf einen diskursmäßig
bereits übersättigten Theaterabend. Und das in mitunter auch ärgerlicher
Unschärfe. So kann man sich bei allem berechtigten Zorn über Bremer
Wohnungspolitik schon fragen, ob die hiesigen Wohnungsnöte tatsächlich so
viel mit den Leerständen zu tun haben. In den Videos ist meist von
Geschäftsräumen die Rede, von Zwischennutzung durch Künstler:innen und
Start-ups.
Tatsächlich haben Studien dem Bremer Senat auch gerade erst bescheinigt,
seine eher dröge klingenden Instrumente wie [2][Wohnraumschutzgesetz,
Kappungsgrenze, Mietpreisbremse,] Sozialquote und so weiter unterm Strich
doch weitgehend sinnvoll einzusetzen. Und Spekulation mit leer stehendem
Wohnraum: sei in Bremen nahezu nicht gegeben.
Ob Theater solche Fragen im Detail verhandeln muss, wenn es über den
Kapitalismus urteilen will: wahrscheinlich nicht. Es steckt ja auch mehr
als genug Zündstoff in Grundeigentum und Armut. Darüber muss man streiten
und tut es ja auch ständig – auch auf Theaterbühnen. Den Brotladen aber hat
die transparente Recherche wohl eher angreifbarer gemacht als
überzeugender.
2 May 2022
## LINKS
[1] /Streit-um-Kopfsteinpflaster-im-Viertel/!5479397
[2] /Hamburger-Mieten-steigen-stark/!5819037
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
Theater
Wohnungspolitik
Bremen
Politisches Theater
Mietpreisbremse
Stadtentwicklung
künstliche Intelligenz
Politisches Theater
Lesestück Recherche und Reportage
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ein Kaufhaus für Hamburgs Kreative: Bilder statt Bälle
Gratis? Nur beinahe: Künstler*innen bekommen ein halbes Jahr lang 8.000
Quadratmeter Leerstand in Hamburgs Innenstadt überlassen.
Theater von Künstlicher Intelligenz: Sonntags im Cyberspace
Felix Rothenhäusler neues Stück hat eine Maschine geschrieben. Eine gute
Idee, über die „Verfall. Ein Picknick im Grünen“ aber nicht weit
hinauskommt.
Theater ohne Hoffnung: Zwischen den Knästen
Beklemmendes Porträt einer kaputten Gesellschaft: Elsa-Sophie Jach
inszeniert am Theater Bremen Ottessa Mosfeghs Roman „Eileen“
Projekt gegen spekulativen Leerstand: Ein Zuhause auf Abruf
Zweimal haben Obdachlose ein leerstehendes Haus in Berlin-Mitte besetzt.
Der Bezirk hat mit dem Eigentümer eine Zwischennutzung vereinbart.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.