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# taz.de -- Theater über Klimawandel und Justiz: Wenn Robben klagen könnten
> Karlsruhe ist die Stadt der höchsten Gerichte. Das dortige Theater
> zeichnet einfallsreich die juristische Geschichte des Klimawandels nach.
Bild: Der Diskurs ist schwer zu entwirren: Szene aus „Die Hitze und das Recht…
Schlimmer hätte es tatsächlich nicht kommen können. Nachdem schon die
Klimapolitik der gescheiterten Ampelregierung Luft nach oben ließ, droht
uns der aktuelle Koalitionsvertrag von SPD und CDU auf diesem Feld gänzlich
in die Steinzeit zurückzuwerfen. Als hätte man dieses Debakel bei der
langfristigen Programmentwicklung am Badischen Staatstheater vorausgesehen,
avanciert die dortige Uraufführung „Die Hitze und das Recht“ nun zum
brisanten Werk der Stunde.
Gerade in Karlsruhe, der den Prognosen zufolge irgendwann wärmsten Stadt
Deutschlands und Residenz der [1][höchsten Gerichte,] beleuchtet Matthias
Naumanns Text die spannende Wechselgeschichte zwischen Umweltpolitik und
Judikative. Beginnend mit ersten Prozessen in den 80er Jahren bis hin zum
wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz
zeichnen die Schauspieler:innen (Ute Beggeröhr, Antonia Mohr und
andere) planspielartig sämtliche Verhandlungen und politischen Winkelzüge
nach, und dies mit reichlich Witz und Sarkasmus.
Mal steckt der Lobbyist der Energiekonzerne dem ratlosen Staatssekretär
direkt das Gesetz in die Tasche, mal klagt eine Robbe über ihre fehlende
Klagebefugnis. Unter den spezifischen Typen ragt insbesondere die Anwältin
für Umweltrecht heraus, die uns mit Verve die Komplexität der juristischen
Auseinandersetzungen vor Augen führt. Sie erklärt, bisweilen im Stil einer
Jura-Vorlesung, die sogenannten intertemporalen Freiheitsrechte. Damit sei
die Bundesregierung verpflichtet worden, die Selbstbestimmung kommender
Generationen schon mit Maßnahmen im Hier und Heute zu schützen.
Ebenso spannend fällt die nachgestellte Verhandlung mit
Automobilunternehmen aus. Sie argumentieren, dass sie mit ihren
Produktionen keinerlei Verantwortung für die Treibhausemissionen trügen.
Schließlich obläge es ja allein den Verbraucher:innen, ob sie ihr gekauftes
Fahrzeug auch gebrauchen wollen. Das Recht, so sehr es auf die lange Sicht
hin das Anliegen der Aktivist:innen stützt, es folgt nicht immer den
Regeln von Logik und gesundem Menschenverstand.
## Stellenweise berührend
Viele Spitzfindigkeiten in der Auslegung von Gesetzen kommen also aufs
Tapet, durchaus in der [2][Manier des Diskurstheaters], das der Didaktik
bisweilen den Vorzug gegenüber pointierten Bühnenmetaphern einräumt. Und
doch haben wir es mit einem fesselnden und stellenweise berührenden Abend
zu tun.
Der überragende Moment: Zwischen Bühnennebel und bei Vollmond vor der
ansonsten dunklen Kulisse tritt eine Darstellerin im Kostüm des
ausgestorbenen Dünnschnabel-Brachvogels auf. In poetischem und mahnendem
Ton berichtet er vom Paradox unserer Tage, schleppende Gerichtsverfahren zu
nutzen, um ein rasendes Problem zu bewältigen (das der Gesetzgeber
aussitzt). Dass seine Art der menschlichen Ignoranz zum Opfer fiel, lässt
ihn zwar auf Rache sinnen. Hoffnung hat er jedoch kaum noch. Sein sich
anschließender Verzweiflungsschrei erweist sich als markerschütternd.
Sicherlich hätte Regisseur Johannes Wenzel seine Inszenierung punktgenau
mit diesem Monolog beenden können. Doch die Zähigkeit der absurden und
gleichzeitig immanent wichtigen juristischen Verfahren, sie soll sich
buchstäblich auf das Publikum übertragen. Am Schluss der mehr als
zweistündigen Aufführung überlagern sich auf grelle Weise Zukunft und
Gegenwart. Nicht wenige Klischees geraten dabei ins Wanken.
## Irreversible Konsequenzen
Wird von den Ewiggestrigen und Bremsern noch zuvor mehrfach die „hart
arbeitende Krankenschwester“ erwähnt, die ja auf niedrige Benzinpreise
angewiesen sei, so findet diese sich nun in einer ganz anderen Dystopie
wieder. 2045 leidet sie nicht mehr an zu hohen Kosten. Vielmehr machen ihr
dann die zahlreichen Patient:innen, die wegen dem Hitzekollaps die Betten
belegen, zu schaffen.
Moralische Dilemmata, verschleppte Weichenstellungen, Egoismus und
natürlich die irreversiblen Konsequenzen für Tiere, Pflanzen und Menschen
bilden sich zuletzt in einem großen Knäuel aus beigefarbenen Seilen (Bühne:
Tine Becker) ab. Zum einen zeigt dieses Bild, wie schwierig der ganze
Diskurs buchstäblich zu entwirren ist, zum anderen, wie unser aller
Alltagsverhalten unmittelbar mit Klima und Umwelt verstrickt ist.
Getragen wird dieses Arrangement von einem ingeniösen Ensemble und Text,
der, so ist es von den Richtsprüchen der laufenden Verfahren zu erwarten,
noch viele Wendungen nehmen dürfte.
13 Apr 2025
## LINKS
[1] /Verfassungsgericht-entscheidet/!6075882
[2] /Berliner-Volksbuehne-gedenkt-Pollesch/!6004839
## AUTOREN
Björn Hayer
## TAGS
Theater
Klima
Karlsruhe
Justiz
Premiere
Theatertreffen Berlin
Demenz
Theater
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