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# taz.de -- Saša Stanišić am Theater Freiburg: Magie wohnt im Original
> Das Theater Freiburg wagt sich an den letzten Roman von Saša Stanišić
> heran. Den Geniestreich sucht man in der großen Nacherzählung aber
> vergeblich.
Bild: Was hätte man aus der Vorlage alles herausholen können! Hier zu sehen: …
Wenn schon die Realität in diesen Jahren wenig Anlass für Utopien gibt, so
ist die Kunst umso mehr gefragt. Viele Intellektuelle – von Gustav Landauer
bis zu Ernst Bloch – sahen in ihr den Ort des Möglichen. Auch der 1978 in
Višegrad geborene Träger des Deutschen Buchpreises, [1][Saša Stanišić,]
reiht sich spätestens seit seinem so aberwitzigen wie ingeniösen Roman
„Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die
Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“ in diese Traditionslinie ein.
Seine Figuren wollen sich partout nicht mit dem Status quo abfinden und
sehnen sich allzu gern nach der Vergangenheit. So etwa die Reinigungskraft
Dilek, die sich noch einmal ihre Jugend in der Türkei ins Gedächtnis ruft.
Oder auch Gisel. Nachdem ihr Mann gestorben ist, lässt sie die gemeinsame
Zeit während ihrer Friedhofsgänge vor ihrem geistigen Auge
wiederauferstehen. Nicht fehlen will in diesem Reigen mit höchst
unterschiedlichen Protagonisten der Autor selbst. Mit ihm gehen wir zurück
zu seinen Schulfreuden und folgen ihm zu einem Besuch Helgolands.
Was an letzterer Story wahr und was Fiktion ist, bleibt offen. Genauso wie
die Frage, wer eigentlich hinter der Erfindung des sogenannten Anproberaums
steckt, mit dessen Hilfe sich die Figuren – und hier macht sich nun
besonders das visionäre Erzählprogramm des Textes bemerkbar – in diverse
alternative Lebensmodelle und Identität hineinprojizieren können.
Schon diese komplexe, literarische Struktur zusammenzufassen, erfordert
einen langen Atem. Wie es da wohl jenen geht, die ihn auf die Bühne bringen
wollen? Tatsächlich hat sich das Theater Freiburg dieser hehren
Herausforderung gestellt, leider nicht mit allzu viel Geschick und
Einfallsreichtum. Schon die minimalistische Kulisse offenbart nur wenige
Akzente: Eine verschiebbare Gerüsttreppe sowie eine über dem Geschehen
hängende Scheibe für Kameranahaufnahme, die sich zugleich als Mond
verstehen lässt, deuten an: Hier geht es um Überschreitung, um die Option,
in einen anderen Kosmos eintreten zu können.
## Platzende Seifenblasen
Gleiches gilt für die den Abend rahmenden Seifenblasen. Sowohl zu Beginn
als auch am Ende gleiten sie von der Decke, übrigens ohne am Boden direkt
zu platzen. Träume, so die Botschaft, können sich erfüllen, sofern man die
Entschlossenheit dafür aufbringt. Dass die Welt überhaupt mehr Licht als
Finsternis birgt, darauf sollen zudem die mobilen Leuchtstäbe hinweisen.
Zumeist nutzen die Darsteller:innen sie, um den Ortswechsel der
ineinander verflochtenen Erzählstränge zu markieren.
Das alles sind zwar treffende, aber auch wenig originäre Bilder. Warum man
in Freiburg ein vor Fantasiefunken nur so sprühendes Prosawerk derartig
reduktionistisch in Szene setzt? Bestenfalls damit doch die
Vorstellungskraft mehr Raum erhält, schlimmstenfalls weil die Kreativität
fehlt.
So oder so zieht sich diese Uraufführung. Dynamik entsteht hier und da
allein durch ein wenig Komik. Zum Beispiel wenn bei einem Doppelkopfabend
die Figur Mo zu sphärischer Musik und in einer Art Raumanzug auftritt.
Dadurch will er sich vor einer neuen Fliegenplage schützen. Dass das von
ihm mitgebrachte Sprühgift dann noch alle Anwesenden in Halluzinationen
versetzt und sie in Zeitlupe dümmlich-beseelt über die Bühne taumeln, hat
durchaus Witz. Auch diverse Raps und kleinere Gesangseinlagen tragen noch
zur Unterhaltung bei.
Nur; was hätte man aus der Vorlage nicht alles herausholen können!? Sei es
der Anproberaum als denkbare künstliche Intelligenz oder die in vielen
Storys präsente Armut – der Text arbeitet sich an genügend
gesellschaftsrelevanten Themen ab. Lediglich ein Sujet spielt eine größere
Rolle, nämlich jenes der Freiheit. Markanter als im Roman stellt Glause
dafür den deutschen Exilschriftsteller Heinrich Heine als Vorbild heraus,
mit dem sich Stanišić, einst mit seinen Eltern vor dem Bosnienkrieg
geflohen, ausdrücklich im Roman identifiziert.
Der Dichter auf der Schwelle zwischen Romantik und Vormärzrevolution, er
erscheint in Freiburg leibhaftig auf der Bühne, als Leitfigur und Vordenker
für eine demokratische und gerechte Zukunft. So wichtig dieser Impuls
anmutet, so schnell verpufft er an diesem Abend wieder. Er erweist sich als
mager und ambitionslos, da er den Text mehr illustriert als ihn in etwas
Eigenes zu überführen. Statt eine frische, ja mutige Idee zu entwickeln,
erzählt die Regie gemütlich nach. Der einzige Rat lautet daher: Greifen Sie
in diesem Fall besser zum Original und lesen Sie, wie Magie funktioniert.
12 May 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Björn Hayer
## TAGS
Theater
Saša Stanišić
Freiburg
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