| # taz.de -- Stück „Der Große Gopnik“ über Putin: Aus dem Leben eines Auf… | |
| > Wie konnte Putin Russlands Autokrat werden? Das Theater Freiburg zeigt | |
| > mit dem Stück „Der Große Gopnik“, wie eine Gesellschaft den Erfolg | |
| > ermöglichte. | |
| Bild: Eine Groteske, die verzerren, übertreiben und dadurch entlarven will: �… | |
| Wo haben sich so richtige Männer vom alten Schlag heute noch etwas zu | |
| sagen? Richtig: in der Sauna. Und so finden auch Putin und Stalin, der | |
| breitbeinig seinen langen Stoffpenis präsentiert, beim gemeinsamen | |
| Schwitzen rasch ein Thema, nämlich die effektivsten Methoden, um ein Volk | |
| zu unterdrücken. | |
| Dass gerade diese beiden Typen im Theater Freiburg aufeinandertreffen, hat | |
| seinen Grund. Denn es geht in der Uraufführung von [1][„Der Große Gopnik“] | |
| um nicht mehr und nicht weniger als um eine Genealogie, des Schreckens und | |
| der Angst, vor allem aber der despotischen Machtstrukturen in Russland. | |
| Zu deren Darstellung setzt der Regisseur Eike Weinreich auf eine | |
| Rondellbühne. Die Botschaft ist klar: Geschichte mit den stets selben | |
| Zyklen und Mechanismen der Gewalt wiederholt sich. Immer wieder werden wir | |
| daher einer weißen Treppe gewahr, auf der Menschen wie nach einer | |
| Erschießung liegen. | |
| An dieses möglicherweise auf die ikonische Kriegsszene aus dem | |
| Filmklassiker „Panzerkreuzer Potemkin“ von Sergei Eisenstein verweisende | |
| Bild schließt sich eine lose Abfolge von Einzelszenen aus dem Leben Putins | |
| (Martin Hohner) an. Mal schauen wir zurück auf seine Kindheit, erleben, wie | |
| er selbst zum Hinterhofschläger, einem Gopnik, wurde, mal begegnen wir ihm | |
| in seiner Regierungszentrale, wo er mit einem Handschlag Menschen umkippen | |
| lässt und sie zu Leichenbergen aufschichtet. | |
| Nachdem der aktuell im deutschen [2][Exil lebende Viktor Jerofejew] in | |
| seinem Roman von 2023 insbesondere den Werdegang des Autokraten ins Zentrum | |
| rückt, weitet er in seiner Stückfassung den Blick auf das System, in dem | |
| der Tyrann erst aufsteigen konnte, also auf die russische Gesellschaft. | |
| Gerade die Bourgeoisie sei, wie es der Schriftsteller in seiner Groteske | |
| zuspitzt, Teil der „Epidemie der Dummheit“, sei zersetzt von Dekadenz und | |
| suche ihr Glück seit Jahrhunderten im Dominanzstreben. | |
| ## Wut eines desillusionierten Denkers | |
| Übrigens bekommen auch wir unser Fett ab, werden wir doch – gemahnend an | |
| den freundlich-naiven Politikkurs von Gerhard Schröder und [3][Angela | |
| Merkel] – von dem „gutmütigen Deutschen“, dem liebsten Adepten des | |
| Kremlfürsten repräsentiert. | |
| Aus all dieser Wut und Polemik eines desillusionierten Denkers hebt die | |
| Regie speziell die Verdrängung hervor: Noch bevor der Hooligan zum | |
| Staatschef avanciert, beobachten wir eine Salongemeinschaft, die sich | |
| gefällig über Modefragen unterhält, blind für all das, was noch folgen | |
| wird. Später, nach dem Verlust sämtlicher Freiheiten, werden wir vor genau | |
| dieser Kulisse nur noch eines Heers von Vermummten gewahr. Ihnen kommt | |
| zudem die Funktion zu, einen Oppositionellen bei seiner Rede zum Aufruhr | |
| abzudrängen und zu eliminieren. | |
| Obwohl es dieser und weiteren Szenen nicht an Drastik mangelt und am | |
| Schluss Grabesblumen die Bühne säumen, haben wir es keineswegs mit einem | |
| Trauerspiel zu tun. Die starke Überzeichnung der Figuren, die stellenweise | |
| Dümmlichkeit des Diktators, der etwa durch Rollschuhfahren die Welt zu | |
| beeindrucken hofft, ein ausgiebig diskutiertes Märchen über einen reisenden | |
| Teigkloß sowie eingeblendete Katzenvideos geben die Story als eine Groteske | |
| zu erkennen. Sie will verzerren, übertreiben und dadurch entlarven. | |
| ## Alle Versuche, Putin zu stoppen, misslingen | |
| Der Schriftsteller nimmt sich dabei selbst nicht aus. Als Alter Ego lässt | |
| sich Jerofejew von Thieß Brammer verkörpern. Zwar positioniert sich jene | |
| Figur nach einigem Hin und Her gegen den Regierungschef, bezeugt jedoch in | |
| letzter Konsequenz nur das Scheitern der intellektuellen Elite an einem | |
| barbarischen Regime. Alle Versuche, Putin zu stoppen, misslingen also in | |
| diesem Stück. | |
| Es siegen die sich rot verfärbenden Schlachtbilder, die mehrfach als | |
| Projektionen über der Treppe erscheinen. Es bleiben die gigantischen Füße, | |
| die über der Mitte der Drehbühne die (männliche) Herrschaft symbolisieren, | |
| unverrückt. Für naive Hoffnung gibt es, so die Botschaft, keinen Raum. | |
| Wer allerdings einen Triumph verzeichnen kann, ist das Theater selbst. | |
| Fulminant und bildstark erfüllt diese stringente Komposition, was Kunst | |
| seit jeher antreibt: falschen Autoritäten, in diesem Fall einer der | |
| schlimmsten, mit Widerstand zu begegnen. | |
| 15 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Björn Hayer | |
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