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# taz.de -- Experte über EU-Verteidigungspolitik: „Amerika behandelt uns als…
> Verteidigungsexperte Pierre Servent warnt vor der gefährlich werdenden
> Weltpolitik. Deutschland und Frankreich spielten in Europa eine zentrale
> Rolle.
Bild: Eine Gedenkfeier in Chicago erinnert zum dritten Jahrestag an die Toten d…
taz: Herr Servent, seit über einem Monat sitzt Donald Trump wieder im
Weißen Haus. In welchem Universum bewegen wir uns gerade?
Pierre Servent: Die Europäer, Amerikaner, ja die ganze Welt durchläuft eine
Periode großer Brutalität. Trump reiht sich ein in eine Gruppe von
Charakteren wie Wladimir Putin, Xi Jinping und Recep Erdoğan. Sie gehen
davon aus, dass das Recht etwas für die Schwachen ist und Stärke die Welt
dominieren soll.
taz: Was ist die Ukraine für Trump?
Servent: Ein Nichts. Für Trump gibt es Gewinner und Verlierer. Die Ukraine
ist ein Land der Verlierer. Washington will sich dieses Problems so schnell
wie möglich entledigen und auf dem Weg dorthin maximal abkassieren. Und
dabei wird gelogen wie gedruckt. Trumps Verhalten gegenüber der Ukraine
grenzt an Erpressung.
taz: Was halten Sie vom [1][Rohstoffabkommen zwischen den USA und der
Ukraine]?
Servent: Das Abkommen könnte trotz allem eine gute Nachricht sein, denn
Trump würde zweifellos seine Investitionen schützen wollen. Ich weiß zwar,
dass Moral bei diplomatischen Fragen oder Lösungen von Konflikten selten
eine Rolle spielt, aber ich finde die Haltung der amerikanischen Regierung
besonders unmoralisch, insbesondere wenn wir sehen, dass Präsident Trump
die Narrative von Russlands Präsidenten Wladimir Putin vollständig
übernommen hat. Kurz gesagt: Dies alles symbolisiert eine Welt, die immer
härter wird, in der die Beziehungen immer gewalttätiger werden. Amerika
behandelt uns, die Europäer, nicht als Verbündete, sondern einfach als eine
Beute, als Kunden.
taz: [2][Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sich mit Trump
getroffen]. Hat das etwas bewirkt?
Servent: Es gibt kein konkretes Ergebnis, Trump hat sich zu nichts
Konkretem verpflichtet. Er blieb äußerst ausweichend und deshalb kann auf
dieser Ebene von einem Wendepunkt keine Rede sein. Einen solchen gab es
jedoch trotzdem: Washingtons Abstimmungsverhalten in der UNO. Historiker
werden diesen Punkt in 20 Jahren als eine Form des Verrats seitens unserer
amerikanischen Verbündeten bezeichnen.
taz: Sie sprechen die russlandfreundliche Resolution an, die die USA in den
UN-Sicherheitsrat eingebracht haben, Frankreich hatte sich dabei enthalten.
Macron hatte 2021/22 auch noch eine andere Sicht auf die Ukraine …
Servent: Er hatte Illusionen und ließ sich von der Natur des russischen
Regimes und Putins strategischen Zielen täuschen. Macron hatte vor dem
Ausbruch des Krieges geglaubt, Putin davon überzeugen könnten, nicht
einzumarschieren. Nach dem 24. Februar 2022 hing er noch dem Glauben an,
bei Verhandlungen vermitteln zu können. Das war ein schwerwiegender Irrtum.
Und dann kamen die abscheulichen Verbrechen in Butscha, sie öffneten denen
im Élysée die Augen. Jetzt gibt es kein Vertun mehr: Frankreich unter
Macron gehört zum Lager der Freiheit, dem das Lager der Barbarei, der
Putin’schen Administration gegenüber steht. Und eins noch: Ich denke, dass
die EU Frankreich noch nie so sehr gebraucht hat wie jetzt.
taz: Warum?
Servent: Ich sage das ohne Arroganz, aber Frankreich ist ein ständiges
Mitglied des UN-Sicherheitsrates, eine Atommacht und wir haben eine
einsatzbereite kampferprobte Armee.
taz: Wenn wir auf die Innenpolitik blicken, sitzt die Regierung von
François Bayrou nicht gerade fest im Sattel …
Servent: Das genau ist das Paradox. Seit dem Bestehen der Fünften Republik
hatten wir noch nie so instabile politische Verhältnisse. Sich ständig zu
fragen, ob die Regierung Bayrou am nächsten Morgen noch im Amt ist oder
nicht, das ist ein echter Schwachpunkt.
taz: Was können Sie über Russlands Strategie und Taktik sagen?
Servent: Eine Strategie der Beherrschung dessen, was Moskau sein nahes
Ausland nennt. Dazu gehören die Ukraine, Moldau, Georgien und morgen die
baltischen Staaten. Sollten sich die Amerikaner aus der Nato zurückziehen,
dann wird Putin eine Art neues Zarenreich wiederherstellen wollen. Ein
Ziel, das gottgegeben ist. Was die Taktik angeht, da ist Putin in
Schwierigkeiten. Zwei Beispiele: 700.000 tote oder verletzte russische
Soldaten, ein kolossaler Preis, stehen überschaubaren Gebietsgewinnen
gegenüber, so tragisch diese für die Ukraine auch sind. Der russischen
Wirtschaft geht es schlecht, die Kriegswirtschaft zerstört alle anderen
Wirtschaftszweige des Landes, die Inflation steigt. Aus diesen Gründen
könnte Putin an einem Waffenstillstand interessiert sein.
taz: Zunächst ein Waffenstillstand, dann vielleicht ein Friedensabkommen.
Könnte das über die Köpfe von Kyjiw und den anderen europäischen Staaten
hinweg ausgehandelt werden?
Servent: Selbst wenn Trump versucht sein sollte, das zu tun, halte ich das
für absolut unmöglich. Die Europäer und die Ukrainer werden standhaft
bleiben werden, denn unsere Sicherheit steht auf dem Spiel.
taz: Würde Putin auf ein Friedensabkommen überhaupt eingehen?
Servent: Er braucht einen Waffenstillstand, der ihm einen Wiederaufbau und
die Schaffung einer Armee ermöglicht, die wieder angreifen kann.
Gleichzeitig gilt es zu verhindern, dass europäische Truppen in der Ukraine
stationiert werden, insbesondere wenn diese Soldaten auch von den
Atommächten Frankreich und Großbritannien gestellt werden und die
Einhaltung eines Friedensabkommens durchsetzen müssten. Deshalb wird Putin
ein solches Abkommen nicht unterzeichnen.
taz: Wie könnten Sicherheitsgarantien konkret aussehen?
Servent: Die Sicherheit in der Ukraine könnten europäische Armeen unter
Führung der Franzosen und Briten gewährleisten. Diese Truppen wären in der
Ukraine präsent, nicht auf der alten Konfrontationslinie an der Seite der
Ukrainer. Im Falle eines Friedensschlusses wird es um die aktuelle
Konfrontationslinie geben. Daher werden die europäischen Truppen weiter im
Hinterland stehen, um die Russen davon abzuhalten, den Frieden zu brechen.
Denn niemand glaubt Putins Wort. Der Beitrag der USA könnte darin bestehen,
die Europäer in der Ukraine beim Transportwesen, der Logistik und mit
geheimdienstlichen Erkenntnissen zu unterstützen. Damit würde die
Glaubwürdigkeit der Garantien erhöht.
taz: Welche Rolle spielt Polen, das sich mit Deutschland und Frankreich in
dem [3][Konsultationsforum Weimarer Dreieck] zusammengeschlossen hat?
Servent: Polen erscheint mir außerordentlich wichtig. Mit Donald Tusk gibt
es dort einen Regierungschef, der ein bemerkenswerter Europäer ist. Aber
das Land muss einen ideologischen Wandel durchlaufen.
taz: Nicht nur das Engagement in der Ukraine, sondern auch die Verteidigung
der europäischen Staaten kostet Geld. Kann Europa das ohne die USA leisten?
Servent: Die letzten Militärhilfen unter Biden reichen noch für maximal
sechs bis acht Monate. Danach werden die Hilfen Europas allein nicht mehr
ausreichen. Eine Lösung könnte ein Kredit in Höhe von 500 bis 600
Milliarden Euro sein sowie 250 Milliarden Euro aus eingefrorenen russischen
Vermögen. Bisher werden nur die Zinsen verwendet, aber ich bin für
Konfiskation. Übrigens: Zu Beginn des Krieges hat die Ukraine zwischen 5
und 10 Prozent dessen, was militärisch benötigt wurde, aus eigener Kraft
gestemmt. Heute liegt dieser Werte schon bei 30 Prozent, und da geht noch
mehr. Angesichts des amerikanischen Rückzuges müssen wir trotzdem tun, was
wir nur können. Das wird europäischen Politikern viel Mut und der
Bevölkerung viel Klarsicht abverlangen.
taz: Hat der wohl nächste deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz diesen Mut?
Servent: Lassen Sie mich ein paar Worte zu Olaf Scholz sagen. Sein
Problem war Angst vor einem dritten Weltkrieg und Angst um sein Volk. Er
erinnerte mich eher an einen Notar. Merz scheint das Gegenteil von Scholz
zu sein. Er kann die deutsch-französische Partnerschaft neu beleben. Die EU
braucht den deutsch-französischen Motor, übrigens genauso, wie sie auch die
Briten braucht.
taz: Sollte Deutschland in Europa ein wichtigere Rolle spielen?
Servent: Wir brauchen Deutschland, allerdings mit einer Armee, die fähig
ist zu kämpfen. Und verzeihen Sie mir, ich sage es etwas unverblümt: Das
demokratische Deutschland darf keine Angst vor einer Konfrontation haben,
weil es das Dritte Reich gab. Die nächsten vier bis fünf Jahre werden
entscheidend sein. Entweder werden wir in Stücke gerissen, oder es gelingt
uns, die Werte, an denen wir hängen, zu bewahren.
28 Feb 2025
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## AUTOREN
Barbara Oertel
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