# taz.de -- Abschied von der Realität: Im politischen Schnellkochtopf | |
> Möglicherweise war dieser Wahlkampf ein Crashkurs in Sachen | |
> Wirklichkeitsverschiebung – um zu verarbeiten, was Trump mit der Weltlage | |
> gemacht hat. | |
Bild: Präsenz der Köpfe ist die Hauptsache: Wahlplakat mit Robert Habeck in M… | |
So ein Wahlkampf fordert von uns allen Opfer. Man muss schon bereit sein, | |
ein bisschen was herzugeben an Nervengeld, an Seelenheil, an guter Laune. | |
Das ist hier kein Spaßbad! Auch ich nahm sie also hin, die | |
50er-Jahre-Schlagworte auf den Merz-Plakaten – stand da wirklich „Fleiß“, | |
hieß es da echt „Recht und Ordnung“? Hilfe. Und dann die „Zuversicht“,… | |
Robert Habeck leider so gar nicht verströmte auf diesem Foto. Na gut, die | |
mussten das alle machen, Präsenz der Köpfe ist die Hauptsache: Die | |
WählerInnen glauben sonst nicht, dass man überhaupt existiert. | |
Dennoch blieb er unwirklich, dieser Wahlkampf, und das lag nicht an den | |
Plakaten. Über die sollte sich sowieso niemand aufregen, der mehr als zwei | |
Bundestagswahlen bewusst miterlebt hat. Und die Nonstop-Bedröhnung mit | |
Slogans verstärkte ja nur das Gefühl der Jenseitigkeit. Ein Teil davon war | |
der Kürze der Zeit geschuldet, klar. In den paar Wochen nach dem Platzen | |
der Koalition wären fundierte Grundsatzdebatten noch weniger zu erwarten | |
gewesen als in einem endless Wahlkampf-Summer. | |
In diesem politischen Schnellkochtopf aber hatten die Opfer der Anschläge | |
und ihre Angehörigen in Magdeburg, Aschaffenburg und München keine Chance | |
auf würdigen öffentlichen Umgang. Die Gewalttaten, so grausam sie waren, | |
[1][wurden von den Kampagneros in den Parteizentralen geschlachtet wie ein | |
Festtagspaket], um Material für einen Anti-Asyl-, ach was: | |
Anti-Ausländer-Wahlkampf zu gewinnen. Mit der Behauptung, es würden | |
Realitäten beim Namen genannt, spickte Friedrich Merz dabei die ganz große | |
Falschdarstellung, er könne wie ein kleiner Trump an „Tag eins“ per Dekret | |
die Grenzen schließen, werde sich hierzu auch auf „keine Kompromisse“ mit | |
irgendwelchen Koalitionspartnern einlassen und im Übrigen zehntausende | |
Abzuschiebende einknasten. | |
## Machtanspruch gegen Realität | |
Zu Abstimmungen über solche Wahnmodelle lud Merz in der letzten Januarwoche | |
im Bundestag die AfD entgegen eigenen Ankündigungen ein und kündigte damit | |
den antifaschistischen Grundkonsens der Bundesrepublik auf. Unter wie | |
vielen Aspekten Merz und die Union damit nicht nur der Demokratie, sondern | |
auch sich eine Niederlage bereiteten, ist ausreichend beschrieben worden. | |
Insofern ist es naheliegend, dass Merz unmittelbar danach tat, als sei nie | |
etwas gewesen. | |
Wer sich auch nur einen Tag nach der Parlamentswoche des Grauens noch | |
empörte (wie ich), wurde regelrecht geghostet: Was redet die Frau, und vor | |
allem – wovon? Schon am Mittwoch etwa räumte Merz die Einknastung von | |
Ausreisepflichtigen wieder komplett ab: Es seien 40.000, „die können Sie | |
natürlich nicht alle festnehmen“, sagte der Unions-Kanzlerkandidat im | |
letzten „Duell“ gegen Olaf Scholz. | |
Nun waren im schwarz-gelben Bereich – und weiter rechts sowieso – die Leute | |
schon immer unempfindlicher gegen Widersprüche. Sie sind imstande, | |
Seriosität zu vermuten, wo als einzige Konstante doch der eigene | |
Machtanspruch herrscht. Dem muss der Realitätsbegriff dann täglich aufs | |
Neue unterworfen werden. | |
Möglicherweise war der Wahlkampf insofern nur ein Crashkurs in Sachen | |
Wirklichkeitsverschiebung – und damit notwendig für die Verarbeitung | |
dessen, was seit Donald Trumps Amtsantritt mit der Weltlage passiert ist. | |
Die ganz große Verrückung, sie ist ja erst eingetreten mit der Ankündigung | |
der US-Regierung, sie werde mit Wladimir Putin etwas aushandeln, was sie | |
selbst Frieden nennen werden und was von Europa und nicht zuletzt von der | |
Ukraine zu bezahlen ist. | |
Bleibt es dabei – und alles sieht danach aus –, ist hierzulande eigentlich | |
nur noch eine politische Frage von Belang übrig: mit welchem Geld die | |
Republik noch schneller aufrüsten kann. Ich wünschte, es wäre so | |
unwirklich, wie es klingt. | |
22 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Anschlag-in-Muenchen/!6066732 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Winkelmann | |
## TAGS | |
Kolumne Ernsthaft? | |
Schwerpunkt USA unter Trump | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
GNS | |
Kolumne Ernsthaft? | |
Wahlkampf | |
Donald Trump | |
Friedrich Merz | |
Kolumne Ernsthaft? | |
Neuwahl | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Rüstungsausgaben: 2,5 Milliarden für eine Whatever-it-takes-Fregatte | |
Sind vier U-Boote und sechs Fregatten so viel wert wie Heimpflege und | |
Wohngeld? Unsere Kolumnistin hätte die Verteidigungspläne gern | |
aufgedröselt. | |
Wahlkampf in Deutschland: Rotzlöffeldichte auf Rekordniveau | |
Nach dem Wahlkampf herrscht Kopf-Kuddelmuddel. Ob Ampel-Aus, Krise oder | |
Krieg, Politiker zeigen aufeinander – wie Rotzlöffel. | |
+++ Die USA unter Trump +++: Trump entlässt den Generalstabschef der US-Streit… | |
Mit Charles Q. Brown muss der erst zweite Afroamerikaner auf diesem | |
Spitzenposten seinen Stuhl räumen. Die Nachrichtenagentur AP verklagt das | |
Weiße Haus wegen des Rauswurfs ihrer Journalist*innen. | |
Anti-Asyl-Plan der Union: Merz' wichtigstes Argument kommt von Wagenknecht | |
Eine Forderung werde nicht dadurch falsch, dass die AfD ihr zustimme, | |
meinte Sahra Wagenknecht. Friedrich Merz hat sich den Gedanken zu eigen | |
gemacht. | |
Bayrische Sonderrechte: Ein Vorschlag für die weitere Söderisierung der Union | |
Wenn die Weltgesamtlage keine seriöse Planung zulässt, hat ein Meister der | |
Unseriosität einen Vorteil. Zeit für CDU und CSU zu fusionieren. | |
Anbrechender Wahlkampf: Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte! | |
Unserer Kolumnistin fällt es schwer, in den Wahlkampf-Wahrnehmungsmodus zu | |
kommen. Hier versucht sie es trotzdem. |