# taz.de -- Sozial-ökologische Bauwende: Nichts als Abriss in der Birne | |
> Die Volksinitiative „Bauwende für Berlin“ will Klimaschutz und soziale | |
> Gerechtigkeit zusammendenken. Im Senat stößt das jedoch auf taube Ohren. | |
Bild: Bei der Übergabe der Unterschriften im Oktober 2024 war die Stimmung noc… | |
Berlin taz | Dass soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz kein Widerspruch | |
sein müssen, hat die Volksinitiative „Bauwende für Berlin – ökologisch u… | |
sozial“ diese Woche bewiesen: Nachdem das Bündnis im vergangenen Jahr | |
[1][fast 35.000 Unterschriften gesammelt hatte], haben sie ihre Forderungen | |
am Montag im Berliner Abgeordnetenhaus vorgetragen. | |
Einen Tag später zeigen sich die Vertreter*innen aus der Mieter*innen- | |
und Umweltbewegung sowie der Architektenkammer ernüchtert: Trotz der | |
breiten gesellschaftlichen Unterstützung für eine Bau- und Wohnungspolitik, | |
die Klima schützt, bezahlbaren Wohnraum sichert und Spekulation eindämmt, | |
habe es von „Abrisssenator“ Christian Gaebler (SPD) wenig Entgegenkommen | |
gegeben, so die Präsidentin der Berliner Architektenkammer Theresa | |
Keilhacker am Dienstag. | |
Stattdessen habe er die bisherige Politik des Senats schöngeredet und sie | |
vertröstet. „Je mehr Initiativen sich bilden, desto schneller reißt Gaebler | |
ab, um Tatsachen zu schaffen“, schimpft Keilhacker. | |
Dabei ist das genau jene „Politik von vorgestern“, die die Initiative | |
überwinden will. Während sich die Kanzlerkandidaten von SPD und CDU, Olaf | |
Scholz und Friedrich Merz, in Wahlkampfveranstaltungen dafür aussprechen, | |
[2][gegen den Willen der Berliner Bevölkerung] das Tempelhofer Feld zu | |
bebauen, hat die Initiative mit Zehntausenden Berliner*innen über deren | |
Sorgen gesprochen. | |
„Immer mehr Menschen in dieser Stadt spüren, dass Neubau ihre | |
Wohnungsprobleme nicht löst, sondern oft zu noch teurerem Wohnraum führt“, | |
sagt Gerrit Naber, Sprecher der Volksinitiative. „Wir bauen und reißen ab, | |
als wäre es Lego und nicht Lebensraum.“ | |
## Bestand nutzen statt abreißen | |
Dabei gibt es in Berlin rund 40.000 leer stehende Wohnungen und mehr als | |
eine Million Quadratmeter ungenutzte Bürofläche. „Statt weiter Flächen zu | |
versiegeln und das Klima durch unnötigen Neubau zu belasten, müssen wir | |
endlich den Bestand intelligent nutzen“, so Naber. | |
Dafür stellt die [3][Initiative sechs Forderungen], die sie mit konkreten | |
Maßnahmen unterlegt und den Abgeordneten präsentiert hat. Zentrales | |
Anliegen ist die Einführung eines digitalen Wohnraumkatasters, das | |
Leerstand systematisch erfasst und verhindert. Das sei bei den Abgeordneten | |
aller Parteien auch auf großes Interesse gestoßen, heißt es am Dienstag. | |
Obwohl der Aufbau eines Gebäudekatasters im Koalitionsvertrag von CDU und | |
SPD vereinbart ist, wolle Bausenator Gaebler hier jedoch auf ein | |
entsprechendes Vorhaben vom Bund warten – auch aus datenschutzrechtlichen | |
Gründen. „Die Dringlichkeit wird nicht verstanden“, kritisiert der Sprecher | |
des Bauwende-Bündnisses. | |
„Berlin benötigt das Kataster, um verwahrloste, aber noch nutzbare Gebäude | |
zu erfassen“, sagt der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, | |
Sebastian Bartels. Neben bereits zugänglichen Daten könnten dafür auch | |
Hinweise durch Nachbar*innen oder auch die Müllabfuhr genutzt werden. | |
Das sei schon jetzt datenschutzkonform möglich, meint Bartels und fordert | |
hierfür eine Taskforce. „Es gibt keine Ausrede, das nicht zu tun“, sagt | |
auch Architektin Keilhacker. Es gebe bereits Firmen, die aus öffentlich | |
zugänglichen Daten mit künstlicher Intelligenz so ein Bestandsregister | |
erstellen könnten. „Warum schafft es dann die öffentliche Hand nicht?“ | |
## Immer mehr Mieter*innen von Abriss betroffen | |
Auch mit einem weiteren zentralen Anliegen stieß die Initiative bei Gaebler | |
auf taube Ohren: Durch eine verpflichtende Prüfung der | |
Nutzungsmöglichkeiten von Gebäuden vor jeder Abrissgenehmigung soll Abriss | |
vermieden werden. Das hat gleich zwei Vorteile: Zum einen kann dadurch sehr | |
viel Energie gespart werden – schließlich ist der Gebäudesektor ist für | |
[4][40 Prozent des CO2-Ausstoßes] verantwortlich. | |
Zum anderen ist dies auch finanziell für die Berliner*innen von | |
Vorteil, von denen immerhin zwei Drittel Anspruch auf einen | |
Wohnberechtigungsschein haben. Denn viele der Bauten aus den 1960er, 70er | |
und 80er Jahren, die zur Profitmaximierung abgerissen werden, haben im | |
Vergleich eher günstige Mieten. „Diese abzureißen, ist fatal“, so Bartels | |
vom Mieterverein. „Immer mehr Menschen sind von Abriss bedroht.“ Dabei | |
hätten sie vor Gericht meist gute Chancen, weil ihre Rechte höher wiegen | |
als Verwertungsinteressen. | |
Ein berühmtes Beispiel dafür ist die Habersaathstraße 40–48 in Mitte. Der | |
erst in den 1980er Jahren errichtete Gebäudekomplex mit mehr als 100 | |
Wohnungen ist noch bewohnbar, trotzdem hat der Bezirk dem Eigentümer eine | |
Abrissgenehmigung erteilt. Vor Gericht [5][scheiterte er jedoch mit dem | |
Versuch], Mieter*innen herauszuklagen, um noch mehr Gewinn machen zu | |
können. Dieser Grundsatz müsse sich in der Politik niederschlagen, verlangt | |
Bartels: „Wirtschaftliche Verwertung darf nicht mehr dazu führen, dass man | |
Gebäude abreißen darf.“ | |
Für eine bessere Nutzung des Bestands fordert die Initiative zudem eine | |
Sanktionierung von dauerhaftem Leerstand durch eine Anhebung der | |
Grundsteuer, eine Genehmigungspflicht für möblierte Apartments, CO₂-Budgets | |
für Neubauprojekte sowie ein Zusammendenken von Stadtgrün, Infrastruktur, | |
Wohnen und Freizeit bei der Entwicklung neuer Quartiere. | |
Mitte März werde im Plenum des Abgeordnetenhauses über ihre Vorschläge | |
beraten, so Keilhacker. Um bis dahin mehr Druck aufzubauen, hat sich nun | |
das Bündnis „Unsere Stadt – Klimagerecht Bauen und bezahlbar Wohnen“ | |
gegründet. Insgesamt 45 Initiativen haben sich in der Antiabrissallianz | |
zusammengetan, um eine sozial-ökologische Bauwende einzuleiten. „Wir müssen | |
jetzt handeln“, so Gerrit Naber. | |
18 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Volksinitiative-fuer-nachhaltiges-Bauen/!6042837 | |
[2] /Scheindemokratische-Farce/!6036546 | |
[3] https://klimaneustart.berlin/ | |
[4] https://www.forschungszulage.de/gebaeude-verantwortlich-fuer-40-prozent-der… | |
[5] /Spekulativer-Leerstand-in-Berlin/!5962529 | |
## AUTOREN | |
Marie Frank | |
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