Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kiel will Migrant*innen zur Wahl bewegen: „Ihre Stimme zählt“
> Im Wahlkampf kümmert sich kaum jemand um Menschen mit
> Migrationsgeschichte. Über den Versuch, es im migrantisch geprägten
> Kiel-Gaarden anders zu machen.
Bild: Menschen mit Migrationsgeschichte gehen seltener wählen als andere: In K…
Eine gute Woche vor der [1][Bundestagswahl] sitzt Mohammed in einem
Seminarraum im Kieler Stadtteil Gaarden und überlegt, welche Partei er
wählen soll. Für den 19-jährigen Abiturienten ist es das erste Mal, dass
er abstimmen wird – bei den Landtagswahlen habe er noch kein Interesse an
Politik gehabt, sagt er. Der gebürtige Kieler ist einer von rund acht
Millionen volljährigen Deutschen mit Migrationshintergrund, die bei der
Bundestagswahl stimmberechtigt sind. Allerdings ist die [2][Beteiligung an
Wahlen in dieser Bevölkerungsgruppe] niedriger als bei Menschen ohne
Einwanderungsgeschichte. An diesem Tag in Kiel soll es darum gehen, das zu
ändern.
Mohammeds Eltern stammen aus der Türkei, sein Vater kam in den
1990er-Jahren zum Arbeiten nach Deutschland, seine Mutter folgte 2004. Ihr
Sohn wurde 2005 geboren. Rassismus habe er eigentlich nie erfahren – doch
das ändere sich, berichtet er: „Neulich stand ich mit Freunden in einem
Laden an der Kasse, und eine Frau beschimpfte uns, wir sollten in unser
Land zurück.“ Welche Partei er wählen wird, wisse er noch nicht: „Es gibt
zwei, die ich gut finde.“ Um mehr Informationen zu sammeln, ist er an
diesem Sonnabendnachmittag in die Räume der Türkischen Gemeinde
Schleswig-Holstein im Zentrum von Kiel-Gaarden gekommen.
Das Viertel ist geprägt von Migration – gegenüber liegt das Café Al Basha,
jenseits der Straße der Sultan Markt. Vor türkischen Restaurants schlürfen
Männer Tee, Frauen mit Kopftuch laufen mit Einkaufstaschen vorbei an den
vielen Wahlplakaten, die in Kopfhöhe an den Laternen hängen. Die meisten
sind von der Linken und der MLPD, der Marxistisch-Leninistischen Partei
Deutschlands.
Ein Plakat mit CDU-Logo entpuppt sich auf den zweiten Blick als Satire von
„Die Partei“. Die SPD lädt zu Bürgergesprächen ein. Wolfgang Kubicki von
der FDP lächelt von einer Litfaßsäule. Bei der [3][Bundestagswahl 2021]
siegte in diesem Viertel die SPD, gefolgt von Grünen und der Linken.
Allerdings war die Wahlbeteiligung gering: In einigen Straßenzügen lag sie
bei unter einem Drittel.
Auch die Veranstaltung zur Wahl, zu der die Türkische Gemeinde
Schleswig-Holstein und der [4][Afghanische Stammtisch] eingeladen haben,
ist nicht gut besucht, viele der blauen Stühle bleiben frei. „Warum
erreichen wir so wenige Menschen mit Migrationshintergrund?“, fragt Samet
Yilmaz, der für die Grünen in der Kieler Ratsversammlung sitzt und zurzeit
Bundestagswahlkampf macht. Die Antwort gibt er selbst: „Die Politik hat es
nicht geschafft, den Leuten zu zeigen, dass sie Teil der Gesellschaft sind
und dass ihre Stimme zählt.“ Das Ergebnis sei, dass „viel über uns, aber
[5][nicht mit uns gesprochen wird]“. Das müsse sich ändern, fordert Yilmaz.
Beide Seiten, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, seien
aufgerufen, daran mitzuwirken.
Der [6][Rechtsruck in der Gesellschaft], die [7][Forderungen nach
„Zustrombegrenzung“] und Abschiebungen machen vielen Menschen mit
Migrationshintergrund Angst – egal, ob sie in Deutschland geboren wurden
oder erst wenige Jahre im Land sind. „Politik betrifft uns alle“, sagt
Madina Arshkayan. Die angehende Lehrerin gehört zu den Sprecherinnen des
Afghanischen Stammtisches. „Diese Wahl ist historisch.“
Cebel Küçükkaraca von der Türkischen Gemeinde Schleswig-Holstein vermeidet
es in seiner Rede, einzelne Parteien zu benennen. Er warnt aber vor
Politiker:innen, die „mit drei Sätzen auf Tiktok“ Jugendliche überzeugen
und ihre wahren Absichten verschleiern. Wie gut solche Posts wirken,
[8][berichtet Lava Mohammadi] vom Afghanischen Stammtisch. Die Studentin
arbeitet in einem Mädchentreff, und dort hätten 13- und 14-Jährige, selbst
mit Migrationshintergrund, auf einmal von der AfD geschwärmt. „Als ich
fragte, warum, erzählten sie von deren tollen [9][Statements auf Tiktok].“
## Falsche Behauptungen
Was wirklich in den Programmen der Parteien steht und wie mit Zahlen
Stimmung gemacht wird, erklärt der Journalist Reinhard Pohl. Etwa, dass im
Jahr 2023 zwar rund 1,9 Millionen Menschen nach Deutschland einwanderten,
aber die wenigsten als Asylsuchende kamen, sondern als Studierende oder
Arbeitskräfte. Ihnen gegenüber stehen 1,2 Millionen Auswander:innen. Auch
die Behauptung, Messerangriffe würden vorwiegend von Ausländer:innen
begangen, wies Pohl als falsch zurück: „Die AfD hat in allen Bundesländern
gefragt, welche Vornamen die Angreifer trugen. Es zeigte sich, dass der
häufigste Name „Michael“ lautet.
Am Rande der Veranstaltung berichtet Zerkariya von seinem Problem: „Ich bin
seit einigen Tagen eingebürgert, aber habe noch keinen deutschen Ausweis.“
Am 23. Februar wird der Politikwissenschaftler, der gerade an seiner
Doktorarbeit schreibt, mit seiner Einbürgerungsurkunde ins Wahllokal gehen.
„Ich hoffe, dass ich mitwählen darf.“
17 Feb 2025
## LINKS
[1] /Die-Bundestagswahl-in-Zahlen/!6062600
[2] https://mediendienst-integration.de/integration/politische-teilhabe.html
[3] https://www.kiel.de/de/politik_verwaltung/wahlen_abstimmungen/_ergebnisse_b…
[4] /Die-afghanische-Community-in-Kiel/!6063282
[5] /Migrationsgeschichte-und-Wahlkampf/!6066719
[6] /Jugendliche-in-Deutschland/!6066748
[7] /Antrag-gegen-Migration-im-Bundestag/!6062259
[8] /Die-afghanische-Community-in-Kiel/!6063282
[9] /Die-AfD-auf-Tiktok/!6035899
## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
Migration
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Einwanderung
Kiel
Wahlkampf
Migranten
Briefe
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Migration
Schwerpunkt Stadtland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Rechte Drohbriefe in Schleswig-Holstein: Gerüstet gegen die „Sturmfront“
In Schleswig-Holstein kursieren anonyme Drohbriefe der „Sturmfront“ mit
Maschinengewehr und AfD-Logos. Die Empfänger:innen lassen sich nicht
einschüchtern.
Migrationsgeschichte und Wahlkampf: Unterschätzt und vernachlässigt
Nah am Menschen sind die Parteien im Wahlkampf, wenn es um Ängste vor
Migration geht. Um Menschen mit Migrationsgeschichte kümmern sie sich kaum.
Migrationsdebatte im Wahlkampf: „Die Migrationsforschung ist gerade nicht gef…
Die Soziologin Helen Schwenken vom Rat für Migration kritisiert
schrumpfende Debattenräume und fordert die Rückkehr zu
wissenschaftsbasierter Politik.
Die afghanische Community in Kiel: „Wir müssen zu Menschlichkeit und Empathi…
Lava Mohammadi ist Sprecherin des Afghanischen Stammtischs Kiel. Ein
Gespräch über das Ankommen und die Angst vieler Zugewanderter vor dem
Rechtsruck.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.