# taz.de -- 26. Ausgabe des Berliner CTM-Festivals: Krampflösende Klanggewalten | |
> Nach zehn Tagen endet das CTM Berlin. Es bleibt die Erinnerung an | |
> maunzige Stimmen, wummernde Wellen und hämmernde Beats gegen die | |
> Gesamtsituation. | |
Bild: Marta Torrella und Helena Ros als Duo Tarta Relena auf dem 26. CTM-Festiv… | |
Gefüllte Kuchen haben es so an sich, dass man, bevor man hineinbeißt, nie | |
ganz sicher sein kann, was einen erwartet. In gewisser Weise verhält es | |
sich mit [1][dem Berliner CTM] ähnlich. Neben bekannteren Acts gibt es | |
stets viele weitere zu entdecken, von denen man noch nie zuvor gehört hat. | |
So passt es schon allein linguistisch sehr gut, dass die 26. Ausgabe des | |
Festivals für „abenteuerliche Musik“ am Abend des 24. Januars mit einem | |
Konzert eines Duos eröffnet wurde, das so heißt: Tarta Relena, Katalanisch | |
für gefüllter Kuchen. | |
Traditionelles Liedgut der erweiterten Mittelmeerregion gehört zu den | |
Backzutaten der Musikerinnen Helena Ros und Marta Torrella. Archaisch und | |
futuristisch, avantgardistisch und traditionell zugleich klingt das. Etwas | |
schade vielleicht, dass man, wenn man im Spanischen, Katalanischen, | |
Altgriechischen, Ladinischen nicht ganz firm ist, nicht gleich versteht, | |
was die beiden da polyphonisch, sirenenhaft singen. | |
Sie zitieren Sappho – da sage noch mal jemand, mit Kenntnissen alter | |
Sprachen könne man nichts anfangen –, Hildegard von Bingen und | |
gregorianische Gesänge. Allein schon ihre Stimmen könnten rein akustisch | |
die Betonhalle im zum Kulturzentrum umgebauten Krematorium Silent Green in | |
Berlin-Wedding füllen. | |
## Paradoxie in der kulturellen Haushaltsplanung | |
Ros und Torrella, ganz in Rubinrot und Aquamarinblau gekleidet, untermalen | |
das Ganze aber noch elektronisch-rhythmisch und schwingen dazu so grazil | |
die Trommelschlägel, als handle es sich um eine Tanzperformance. Ihr | |
letzter Song „Las alamedas“, die Vertonung eines Gedichts von Federico | |
García Lorca, endet – so viel versteht man sogar mit minimalem | |
Spanischvokabular – im Wort corazón. Das Herz des Publikums haben die | |
beiden da längst erobert. | |
Möglicherweise war dieses aber schon vorab weichgekocht durch die Rede, die | |
Jan Rohlf, einer der beiden künstlerischen Leiter, zuvor gehalten hatte. In | |
dieser berichtete Rohlf davon, [2][wie sie im vergangenen Herbst, als die | |
Sparpläne des Berliner Senats bekannt wurden, auf einmal nicht mehr | |
wussten, ob es überhaupt ein CTM im Jahr 2025 geben könnte]. Von riesigen | |
organisatorischen und ökonomischen Herausforderungen sprach er. | |
In Wahrheit, so sagte er, wisse er selbst jetzt noch nicht, wie diese | |
Ausgabe ausgehen werde. Paradox sei es, dass der Kultursenator Berlins | |
zeitgleich zur unkoordinierten Haushaltsplanung zu mehr Unternehmertum in | |
der Kultur aufrufe. Dafür bräuchte es eigentlich Bedingungen, die die | |
Initiative fördern, statt sie zu erschweren. Noch ist [3][das CTM] selbst | |
von den neuen Kürzungen nicht direkt betroffen. In zwei Jahren aber läuft | |
die vierjährige spartenoffene Förderung für das Festival aus. Und was dann? | |
Schon jetzt mussten viele Acts in der letzten Minute gebucht werden. Dem | |
Programm war das nicht unbedingt anzumerken, Gesang wie bei Tarta Relena | |
und alles, was man sonst noch einer menschlichen Stimme entlocken kann, | |
stellte sich als Schwerpunkt heraus. Handgemachte Musik, analoge oder | |
hybride Instrumente ebenso. So zog sich am folgenden Abend der Geigenbogen | |
als Element durch die Konzerte. | |
## Extremer Noise am Ende der Endmoräne von Noise | |
Der kasachische Soundartist Eldar Tagi etwa, der in der Kuppelhalle die | |
Vokalistin Saadet Türköz bei ihrer wirklich sagenhaften Performance an | |
Daxophon und einer Art E-Tar begleitete, was mit all dem, was Türköz | |
anstellte – singend, schreiend, fauchend, prustend, maunzend –, zum | |
eklektischen Sounderlebnis verschmolz. | |
Der Mittwoch darauf im Berghain steht im Zeichen von Noise. Extremer Noise. | |
Extremer Noise am Ende der Endmoräne von Noise. Wenn der Eintritt ins | |
Berghain sich auch jenseits vom CTM wie ein Grenzübertritt anfühlt – | |
schafft man es hinein, ist es drin normalerweise behaglich. Nicht so an | |
diesem Abend. Unbehaglich ist das neue Normal, denn die Welt draußen, ein | |
Land am Rand von rechten Tabubrüchen und schon darüber hinaus, lässt sich | |
nicht einfach an der Garderobe abstreifen. | |
Umso besser, dass nun die politische Gesamtscheiße wenigstens für einige | |
Stunden mit roher Klanggewalt exorziert wird. Krampflösend wurde es | |
zunächst beim norwegischen Deathmetal-Droneduo Runhild Gammelsæter und | |
Lasse Marhaug. Gammelsæter, Biologin, Sängerin, eher Lautpathologin. | |
Marhaug, Computernerd, Grafikdesigner, Schwerstarbeiter im Weinberg des | |
infernalischen Krachs zwischen Freejazz, Impro und Glitch. | |
Marhaug schuf ein metaphysisches Britzeln, ähnlich den Geräuschen von | |
Starkstromkabeln nach Oberleitungsschaden, dazu wummerten schockartige | |
Basswellen und fiepten fiese Hochtoneruptionen; quer dazu Gammelsæters | |
Stimmfetzen, Röcheln, Würgen und Madenschmatzen aus den gruseligsten | |
Horrorfilmen. Viel zu erkennen war nicht, die superstrenge Lichtregie | |
knippste die Silhouetten des Duos meist weg. Stattdessen wurde das Publikum | |
mit Stroboskop gequält, grelle Lichtkegel brachten einzelne Personen in | |
eine Verhörsituation. | |
Klangphilosophie nach Art von Stanley Kubrick | |
Merci, dass es dich gibt! Vergleichsweise zugewandt klang es dann fast beim | |
zweiten Set der italienisch-schweizerischen Komponistin Caterina De Nicola. | |
Plötzlich war man auf der Hannover-Messe in einem Industrieshowroom | |
gefangen. Hydraulische Pump- und Fahrgestellausfahrgeräusche, | |
Schallmauerexplosionen, Düsenbrausen, Dampfstrahlen und Heizungbollern, | |
vergeblich suchte man den Ausknopf. | |
De Nicolas Klangphilosophie „zerlegt ideologische Paradoxa der | |
zeitgenössischen Existenz, indem sie die kulturelle Zirkulation von | |
Symbolen […] aufs Strengste hinterfragt“, steht im Programmheft. Klar, wo | |
bei Karl Marx die Ware dem Geld sehr poetisch „mit Liebesaugen winkt“, | |
bahnt sich De Nicola nach Art von Stanley Kubrick mit der Klangaxt einen | |
Weg durch die DIN-genormte Warenwelt. | |
Andere Baustelle, ähnlicher Auftrag donnerstags im Radialsystem, wo Emme, | |
der zweite Akt des Abends, mit seiner Einpersonen-Oper „Heaven Help Me“ | |
nahtlos an den Mittwochskrach anknüpft. In der Mitte der Bühne ein weißes | |
Himmelbett, drumherum ein Paravent, bis an die Bühnendecke. Die Vorhänge | |
zerlöchert. PerformerIn Emme, ebenfalls in Weiß, winkt anfangs, dass das | |
Publikum aufstehen soll. | |
Es folgt eine Brachialoper mit Deathmetal, Blastbeatgebolze und | |
Röchelgesang. Moshen in der Oper. Ein bisschen wie Harmony Korine, aber mit | |
mehr Disharmonie, nicht nur der Paravent ist am Ende zerfetzt, Emme walzt | |
sich schreiend und kehlig klagend durchs Publikum, hinauf auf die | |
Zuschauerränge, von denen er sich schreiend und röchelnd wieder | |
runterrollt. Der Krach war angenehm befreiend und konnte den unangenehmen | |
Pfeifton, den Friedrich Merz im Ohr auslöste, wenigstens kurzzeitig stumm | |
stellen. | |
## Reduktion und Konzentration gegen die Reizüberflutung | |
Kontrastprogramm in der Volksbühne ein paar Tage später, am Samstag wo die | |
schwedische Komponistin, Musikerin und Klangkünstlerin Ellen Arkbro der | |
Reizüberflutung Reduktion und Konzentration entgegensetzte. Zunächst schob | |
sie selbst flächige Trompetenwolken über helikopterhaftes Knattern hinweg, | |
im Anschluss übernahm ein Tuba-Trio, das 20 Minuten lang Töne an- und | |
aushielt, Blechbläser-Drone für aufmerksam Lauschende, für einen Samstag | |
doch etwas eintönig, zumindest wenn man vorhatte, jenen bei der Clubnacht | |
im RSO ausklingen zu lassen. | |
Dort wiederum heizte die Frankokanadierin Marie Davidson so sehr ein, dass | |
man die Radiatoren getrost hätte auslassen können. Ihr Ende Februar | |
erscheinendes Album „City of Clowns“ hatte sie dabei, mit dem sie eben da | |
weitermacht, wo sie mit dem Vorgänger „Renegade Breakdown“ aufgehört hat: | |
bei dancefloortauglichem Synthie-Pop einer Chansonnière, die sich auf einen | |
90s-Rave verirrt hat. | |
Wie eine Aerobic-Animateurin dirigierte sie die Anwesenden, offerierte | |
ihnen ihr Herz „on a selfie-stick“ („Sexy Clown“), und haute ihnen ihre | |
hämmernden Beats und englisch-französischen Lyrics mit Wonne um die Ohren. | |
Die von „Demolition“ etwa: „I do what I do /And I do it well / Well, well, | |
well, on the train to hell“. Spaß machte die Zugfahrt in die Hölle ungemein | |
und den brauche es derzeit ganz besonders, wie Davidson betonte. „It’s | |
important to have fun“, so entließ die Königin der Nacht ihren Hofstaat in | |
selbige. Manchmal muss man sich daran erinnern lassen. | |
3 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /CTM-Festival-in-Berlin/!5987252 | |
[2] /Berlin-spart-an-der-Kultur/!6048501 | |
[3] /CTM-Festival-Berlin/!6060129 | |
## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
Julian Weber | |
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