| # taz.de -- Kulturkampf: Zurück an die Arbeit | |
| > Die Zeit ist reif für eine kulturelle Gegenoffensive. Statt Kultur | |
| > abzubauen, müssen wir uns im Kulturkampf positionieren: gegen Polemik und | |
| > Hetze. | |
| Bild: Breiter Protest gegen die Kürzungspläne des Berliner Senats im Kulturet… | |
| Als Donald Trump die Wahl zum US-Präsidenten gewonnen hatte, war vielen | |
| demokratisch gesinnten Menschen dieser Welt klar: Nicht vor diesem | |
| bösartigen Politclown muss man sich fürchten, sondern vor den | |
| Amerikanerinnen und Amerikanern, die ihn gewählt haben, und vor den | |
| mächtigen [1][Tech-Milliardären à la Elon Musk], denen seine Agenda nur zu | |
| sehr zunutze kommt. | |
| Und nun, nach einer Zeit, in der beinahe täglich neue groteske Meldungen | |
| über seine kommende Entourage veröffentlicht werden, fällt noch etwas | |
| anderes Schreckliches auf: die vorauseilende Unterwerfung, die Feigheit, | |
| der Opportunismus, die tiefe moralische Korruption so vieler, die Besitz, | |
| Einfluss und Posten zu verlieren oder zu gewinnen haben. In der Wirtschaft, | |
| in der Justiz, beim Militär und auch in der Kultur. | |
| So einer wie Trump kommt vielleicht durch die Irreführung des unteren | |
| Drittels an die Macht, doch sie zu erhalten und auszubauen, dazu benötigt | |
| er exakt die, die er zuvor denunzierte, die korrupte und eigennützige | |
| „Elite“. Und wie sieht das bei uns aus? Die großartige [2][Patti Smith] | |
| beendete für sich die Schockstarre, in die alle nach der Wahl von Trump | |
| verfallen waren, die irgendetwas mit Kultur, Kritik und Freiheit zu tun | |
| haben, mit den Worten „Back to work“. | |
| Richtig: Es gilt, die liegengebliebene oder blockierte Arbeit an Kunst, | |
| Kritik und Kommunikation wieder aufzunehmen. Mit trotzigem Mut. Der | |
| demokratische Staat und die liberale Gesellschaft sind beauftragt, die | |
| Kultur zu demokratisieren und die Demokratie zu kultivieren. Es ist ganz | |
| einfach die Pflicht und es ist zugleich eine der wichtigsten Legitimationen | |
| von demokratischer Regierung. | |
| ## Bankrott der Politik | |
| Sie soll sich nicht nur um einen sozialen Ausgleich, um Gerechtigkeit – am | |
| Ende sogar um das Glück der Menschen – kümmern, sondern auch um die | |
| Versorgung mit Kultur. Man könnte auch sagen: die Möglichkeit einer | |
| Gesellschaft, über sich selbst nachzudenken. Kultur und Soziales | |
| gegeneinander auszuspielen, ist eine Bankrotterklärung der politischen | |
| Klasse. | |
| Die Kultur, für die weder der Markt noch die Klasse Auftraggeber sind, | |
| sondern die demokratische Gesellschaft, ist alles, was öffentlich | |
| zugänglich, unabhängig von kommerziellem Nutzen und unzensiert an | |
| ästhetischer und kritischer Produktion ist, was die Sache schon mal | |
| ziemlich einengt. Und demokratische Kultur ist, was nicht ohne Weiteres in | |
| den Besitz von einzelnen Reichen als Luxusware übergehen kann. So besehen | |
| gibt es ohnehin schon verdammt wenig Kultur dieser Art. | |
| Und nun gibt es fast überall im Westen auch noch einen massiven | |
| Kulturabbau. Dieser Kulturabbau – willkürlich, undurchsichtig und | |
| symbolpolitisch – kommt wahrlich zur rechten Zeit, nämlich zur Ausrufung | |
| des „Kulturkampfs“, mit dem die extreme Rechte bis in die „konservative“ | |
| Mitte der Gesellschaft hinein nach Zustimmung fischt. Es ist der Kampf | |
| gegen alles, was als „fremd“, als „queer“ oder „[3][feministisch“ (… | |
| „genderwahnsinnig]“), modern, „volksfeindlich“ oder „links“ identif… | |
| wird. | |
| Und geführt wird dieser Kulturkampf mit den Mitteln der Polemik, der Hetze, | |
| der Drohung und der manifesten Gewalt. Wie also soll man das nennen, wenn | |
| eine demokratische Regierung angesichts eines „Kulturkampfs“, der ganz | |
| offen als vorpolitisches Schauspiel eines kommenden Bürgerkrieges angesehen | |
| wird, statt eine Form der kulturellen Gegenoffensive zu initiieren, an der | |
| Kultur spart? Und hier stellt sich immer auch die Frage an die Produzenten | |
| und Produzentinnen von Kultur selbst. | |
| ## Zwischen Integrität und Überlebenskampf | |
| Wie halten wir es mit veränderten Machtverhältnissen? Wie kriegen wir | |
| persönlichen Überlebenskampf und moralische Integrität unter einen Hut? | |
| Welche Fehler aus der Vergangenheit gibt es zu beheben? Wo liegen die | |
| Grenzen zwischen diplomatischem Geschick und struktureller Korruption? Und | |
| welche Aussichten hat Kultur, die ohne die Hilfen von Staat und | |
| Gesellschaft zu überleben lernen muss? | |
| Mitten im von rechts ausgerufenen Kulturkampf sparen Regierungen und | |
| Verwaltungen an Kultur, und damit ist nicht das Staatstheater, das | |
| touristische Museum und die Vorzeigekunst gemeint, sondern auch die | |
| Jugendarbeit, das Hinterhof-Projekt, die Demokratie-Initiative und das | |
| unabhängige Journal: Gespart wird genau da, wo sich Kultur und Gesellschaft | |
| am direktesten begegnen. Für eine Reihe von kulturellen Berufen ist das | |
| „Zurück an die Arbeit“ nach Patti Smith so gar nicht möglich. | |
| In der politischen Ökonomie der Postdemokratie werden ja nicht nur Formen | |
| von Produktion, eben die Kultur, die etwas ganz anderes ist als | |
| „Kreativwirtschaft“, sondern auch eine Reihe von Arbeitsplätzen abgebaut. | |
| Man verabschiedet sich entweder ins untere Prekariat oder aber man muss auf | |
| Freiheiten, auf Unabhängigkeit und Experiment verzichten. Man weiß nicht, | |
| was schlimmer ist. | |
| Die kulturelle Verachtung der „konservativen“ Bürger, die Borniertheit der | |
| reichen Kulturbesitzer, die Uneinigkeit der Leute, die Kultur als Beruf und | |
| Aufgabe ansehen, und der Kulturkampf von rechts erzeugen eine Situation von | |
| kulturellen und sozialen Verlusten, die im Übrigen mit gutgemeinten | |
| spezifischen Aktionen und Appellen nicht aufzuhalten sind. Meine Galerie, | |
| mein Theater, meinen Film, meine Kulturkneipe soll man doch bitte nicht | |
| wegkürzen. | |
| Aber es gibt leider noch kein politisches Subjekt, das den doppelten | |
| Kulturkampf, gegen die Sparmaßnahmen der Politik und gegen die Attacken von | |
| rechts, aufnehmen könnte. Würden wir von einer Solidarität von Kunst, | |
| Kritik und Kommunikation – als Berufsbild wie als soziale Haltung – | |
| sprechen wollen, müssten wir die Funktion der Kultur erst neu definieren. | |
| Kultur unter Druck ist etwas anderes als Kultur im Überfluss. | |
| „Back to work“ kann für uns daher nur bedeuten: Zurück zur Solidarität. | |
| Zurück zum Widerstand. Zurück zur Kritik. „Kulturkampf“ ist ein furchtbar… | |
| Wort. Aber noch furchtbarer ist es, so zu tun, als gäbe es das nicht. | |
| 15 Jan 2025 | |
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| [1] /Elon-Musks-politischer-Feldzug/!6058331 | |
| [2] https://www.ndr.de/kirche/Patti-Smith-Die-Welt-gehoert-euch-und-nicht-Trump… | |
| [3] /Gendern-als-Ausschlusskriterium/!5782080 | |
| ## AUTOREN | |
| Georg Seeßlen | |
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