# taz.de -- VW in der Krise: Mit der Macht der Geschichte | |
> Beim Autobauer VW war man immer stolz darauf, dass Krisen mit der | |
> Belegschaft gemeinsam gemeistert werden. Kann das wieder gelingen? | |
Bild: Wirtschaftswunderjahre: VW-Arbeiter überqueren den Mittellandkanal, 1962 | |
So eine Krise hatte die VW-Stadt Wolfsburg noch nie erlebt: Der bis dahin | |
erfolgreiche „Käfer“ war veraltet, neue Modelle floppten, die | |
Personalkosten stiegen unaufhörlich, dazu kam die Ölkrise. 1974 geschah | |
dann das Unvermeidliche: VW musste zehntausende Beschäftigte entlassen. | |
„Und das ganz leise, ohne irgendwelchen Krach“, erinnert sich | |
Alt-Gewerkschafter Ernst Lieske und es schwingt Stolz mit, wie geschickt VW | |
damals dem Abgrund entkam. Das Novum: Wer den Aufhebungsvertrag | |
unterschrieb, bekam eine Abfindung. Insgesamt wurden bis März 1975 über | |
32.000 Stellen abgebaut. | |
Sozialpartnerschaft und Mitbestimmung, auf diese Formel wird der „Geist von | |
Wolfsburg“ oft gebracht. Er schwebt über der Stadt wie der Dampf, der | |
drüben vom VW-Kraftwerk aufsteigt. Was anderswo Unternehmen wanken lässt, | |
räumen Vorstand und Betriebsrat ab, und sie tun es gemeinsam. | |
Nach der Krise erreichte der Konzern 1974 mit dem Golf schnell wieder neue | |
Höhen. Lieske hat das Modell mitentwickelt. Der schlanke Herr mit dem | |
schmalen Oberlippenbart, Jahrgang 1947, sitzt heute wie ein Kapitän im | |
Konferenzraum der IG Metall Wolfsburg. Er hält ein wenig Distanz zu der | |
Handvoll Senioren ringsum, doch nicht aus Dünkel. Lieske laboriert noch an | |
einer Erkältung, trotzdem ist er gekommen. Sie wollen über die Krise reden | |
und unbedingt über den Geist, der Stadt und Werk verbindet. | |
Lieske, Arbeiter, Metaller und Unternehmensvertreter in einem, ist so etwas | |
wie die Inkarnation dieses Geistes. Er kam in den 50er Jahren als | |
Flüchtlingskind aus der DDR und hauste in einer der Baracken, aus denen die | |
Stadt Wolfsburg damals bestand. Lieske hat Autoschlosser gelernt, hat sich | |
zum Meister hochgearbeitet, war in der Entwicklungsabteilung des | |
Unternehmens und wirkte später aufseiten des Vorstandes an Tarifrunden mit. | |
Wolfsburg ist wie keine andere Stadt Sinnbild für den Standort Deutschland, | |
und VW ist das Symbol der Wirtschaftswunderjahre und des Wiederaufstiegs. | |
Das weiß auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Am 17. Januar kam er zu | |
seiner ersten „Highlight“-Veranstaltung, so bewirbt der SPD-Wahlkampfstab | |
dieses Event, in die Stadt, rief: „Hallo Wolfsburg!“, und bekräftigte, dass | |
bei dieser Wahl auch entschieden werde, „wie es weitergeht mit Arbeit und | |
Beschäftigung!“ Die Stadthalle war gut gefüllt. | |
Das Gewerkschaftshaus der IG Metall, in dem Lieske und seine Mitstreiter | |
sitzen, ist ein gläserner Bau mit Außenbildschirm in Richtung der | |
VW-Konzernzentrale und der Botschaft: „Wir halten zusammen“. Die Senioren | |
praktizieren das seit Jahrzehnten. Sie haben für VW die Rücken krumm | |
gemacht, sie sind im Konzern aufgestiegen und können auch als Rentner nicht | |
lassen von VW. Die einen sind im Freundeskreis des VW-Museums, andere sind | |
in der Seniorenvertretung der IG Metall, wieder andere bei den Christen bei | |
VW. Anfang Dezember haben sie für ein Ende der Krise gebetet. Man kann | |
sagen, mit Erfolg. Der Tarifvertrag, der vor Weihnachten unterzeichnet | |
wurde, da sind sich alle einig, war, ähnlich wie der Abfindungs-Coup 1974, | |
wieder ein Kunststück. Ernst Lieske hatte den Kompromiss schon Tage früher | |
prophezeit. Wie Verhandlungen bei VW enden, das hat so ein alter Kämpe wie | |
er wohl im Blut. | |
Oliver Blume hat das eher nicht. Blume, seit Herbst 2022 VW-Vorstandschef, | |
hatte im September angesichts schwacher Umsätze, schleppender Verkäufe und | |
Überkapazitäten bei der Kernmarke VW gleich mehrere Tarifverträge gekündigt | |
und eine „Giftliste“ präsentiert, in der er Lohnkürzungen um zehn Prozent, | |
Entlassungen und Standortschließungen androhte. Und das ohne Rücksprache | |
mit dem Betriebsrat, ein Affront. Blume, ein Braunschweiger, hat damit so | |
ziemlich alles ruiniert, was bei VW bisher so sorgfältig austariert war. | |
Viel erreicht hat Blume nicht. Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo, die | |
einzige Frau in dieser Welt voller Egos, hat einen „super Job“ gemacht, | |
findet Karl-Heinz, „Kalle“, Forytta. Und er zählt auf: [1][Keine | |
Werksschließungen, keine Entlassungen], keine Einschnitte beim Tariflohn, | |
und auch die Boni und Tariferhöhungen sind nicht weg, sondern fließen in | |
einen Zukunfts-Fonds und können als Notgroschen dienen, falls die Krise | |
2030 nicht vorbei ist. | |
„Richtig fies ist es nicht geworden“, fasst Siebert Kloster zusammen. | |
Kloster, Jeans, kariertes Hemd, Kumpeltyp, zugewandt. Er ist, wie alle | |
hier, sofort beim Du. „Hier wird einfach eine andere Art der | |
Arbeitnehmervertretung gelebt“, sagt Kloster, der Vorsitzender in der | |
Seniorenvertretung der IG Metall ist. „Die Volkswirtschaft spielt hier noch | |
genau dieselbe Rolle wie die Betriebswirtschaft, weil der Geist da ist, | |
dass Beschäftigung gehalten wird, hier und an den anderen deutschen | |
Standorten.“ Der Grund für diese Einmaligkeit ist das VW-Gesetz von 1960. | |
Es garantiert dem Betriebsrat und dem Land Niedersachsen im 20-köpfigen | |
Aufsichtsrat eine Mehrheit. Wolfsburg scheint für Gewerkschafter ein | |
Leitstern zu sein. | |
Denn „jeder Stein da drüben“, Kalle Forytta deutet Richtung VW-Werk, sei | |
von den Arbeitern bezahlt worden. Was nun folgt, ist ein historischer | |
Exkurs, ohne den vieles hier ein Mysterium bliebe. Der Vorläufer von VW, | |
das KdF-Werk, das Hitler ab 1938 errichten ließ, wurde auch mit dem | |
Vermögen der Gewerkschaften finanziert, die 1933 verboten wurden. Das Geld | |
kam der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) zugute, dem NS-Einheitsverband aller | |
Arbeiter. Kurzum – im VW-Werk steckt jede Menge geraubtes | |
Gewerkschaftsgeld. „Das darf man nicht vergessen!“, findet Forytta. | |
Im Mai 1938 reiste Hitler an und ließ sich zur Grundsteinlegung im | |
KdF-Wagen chauffieren. KdF – „Kraft durch Freude“ – war eine der | |
DAF-Untergliederungen, die „Volksgenossen“ bei Laune halten sollte, sie in | |
den Urlaub schickte und den KdF-Wagen versprach: keine Luxuskarosse, | |
sondern ein bezahlbarer „deutscher Volkswagen“. Das erste VW-Logo, Urbild | |
aller späteren, war von einem stilisierten Hakenkreuz bekränzt. Im | |
KdF-Werk, wo etwa 20.000 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge schufteten, liefen | |
dann leichte Geländewagen, sogenannte Kübelwagen, und die „Wunderwaffe“ V1 | |
vom Band, bis 1945 die Amerikaner vor dem Werk standen. Werksleiter Anton | |
Piëch und sein Schwiegervater Ferdinand Porsche, beide NSDAP-Mitglieder, | |
die immer wieder Zwangsarbeiter heranschaffen ließen, seien damals stiften | |
gegangen, schimpft Forytta, und sie hätten dabei zehn Millionen Reichsmark | |
eingesteckt. | |
Später sei damit die Porsche Austria gegründet worden. „Das geht bis zur | |
Porsche Automobil Holding SE“, dem DAX-Unternehmen. Es gehört dem | |
Porsche/Piëch-Clan, ist größter VW-Anteilseigner und eine Geldmaschine. Im | |
Juni 2024 hat der VW-Konzern 4,5 Milliarden Euro Dividende ausgeschüttet | |
und 2023 eine Sonderzahlung von 9,5 Milliarden Euro. Kurzum, die „Familie“, | |
so nennen sie den Clan hier, lebt gut von VW. | |
Als ab 1945 die Arbeiter Porsches KdF-Wagen, inzwischen zum „Käfer“ | |
verwandelt, montierten, kassierte die „Familie“ pro Auto fünf Mark | |
Lizenzgebühr von VW. Das macht bei 21 Millionen „Käfern“, die produziert | |
wurden, einen gehörigen Batzen Geld. „Kalle“ hat sich in Rage geredet, und | |
der Hoodie, den er trägt, gibt ihm etwas Robustes. Ein „Käfer“ von 1949 | |
steht hier im Foyer des Werks. Die Männer werden ihn gleich streicheln, | |
wenn sie sich zum Foto versammeln. | |
Benjamin Stern ist SPD-Direktkandidat des Wahlkreises Helmstedt-Wolfsburg. | |
In eine Steppjacke gehüllt klingelt er im laufenden Haustürwahlkampf in | |
langen Fluren an jeder Tür. „Hallo, Benjamin Stern, ich bin der | |
SPD-Kandidat für die Bundestagswahl. Ich wollt mich einfach mal | |
vorstellen.“ Stern surrt seine Begrüßung runter. „Hier ein Flyer …“ �… | |
einem anderen Kandidaten würde ich SPD wählen“, entgegnet der Mann. Nein, | |
er meine nicht Stern, aber den Scholz! An der nächsten Tür läuft’s besser. | |
„Wir sind SPD-Wähler“, ruft es aus der Wohnung. „Ja, sehr schön“, ech… | |
Stern. Der Rest ist Lachen. | |
Insgesamt hat Stern einen Lauf in Detmerode, einer Neubausiedlung im | |
Südwesten der Stadt. Detmerode ist im Kleinen, was Wolfsburg im Großen ist: | |
Eine Reißbrettstadt mit Wohnhochhäusern, Magistrale und einem | |
Stadtteilzentrum mit schneeweißem Kirchenbau, entworfen vom Finnen Alvar | |
Aalto, kurzum: Ein Versprechen auf eine lichte Zukunft. Und natürlich lebt | |
so ziemlich jeder von VW, auch Stern, Jahrgang 1981. Als gelernter Koch kam | |
er zu VW Group Services, einem Personaldienstleister. Seit 2018 ist er | |
Betriebsratschef. | |
Wolfsburg ist SPD-Land. Aber eine Hochburg, nein, das weist Stern zurück. | |
Die Stadt mit ihren 127.000 Einwohnern habe einen CDU-Oberbürgermeister und | |
der Wahlkreis 51 reiche tief ins Umland, wo andere Themen dominierten wie | |
Nahverkehr, Internetversorgung, Agrarpolitik. Auf 17 Prozent ist die AfD | |
bei der Europawahl im Juni 2024 dort gekommen. | |
Klinkenputzen ist beschwerlich, aber spannend. „So kriegt man die Stimmung | |
mit.“ Welche? „Es ist erschreckend, wie ich bei vielen die Angst in den | |
Augen sehe, vor Krieg, vor Rechtsruck.“ Auch die Coronamaßnahmen sind noch | |
Thema. „Der Tarifkompromiss bei VW, der hilft uns“, sagt Stern. „Das es | |
weitergeht, ist beruhigend, und dass es keine Standortschließungen gibt, | |
auch, und die SPD hat sich sehr schnell zu VW bekannt.“ | |
Später, an einer Hausecke, fasst Stern zusammen: Strompreis deckeln, | |
Schuldenbremse lockern, Bürokratie abbauen. „Wolfsburg ist bekannt für | |
Fahrzeuge. Wir stehen für gute Wertarbeit und da wollen wir wieder hin.“ | |
Die Medaille habe aber eben zwei Seiten, die Sichtweise des Kapitals und | |
die der Beschäftigten. Erst zusammen ergibt das die Sozialpartnerschaft, | |
auf die VW so stolz ist. „Das ist sehr stark verloren gegangen.“ | |
Am nächsten Morgen jagen Schneeschauer über Detmerode. Axel Bosse, | |
Wollmütze auf dem Kopf, steht auf dem Markt, eine Ladenstraße, die ihren | |
Anfang bei der Kirche von Alvar Aalto nimmt. Und bei Bäcker Leifert. Dort | |
hinein führt Bosse. Eigentlich müsste es eine Kneipe sein, Bosse ist Kenner | |
der Wolfsburger Kneipenszene. Vor Kurzem hat er ein Buch darüber | |
veröffentlicht, „Wolfsburg Kneipengeschichten. Zwischen Tiffany und | |
Hühner-Rudi“. | |
Doch Bosse kennt nicht nur die Tresen, er korrigiert auch manch allzu milde | |
Erinnerung. So still und leise lief es nicht beim Stellenabbau 1974. „Die | |
Ersten, die gingen, waren Italiener“, sagt er. Viele der Gastarbeiter | |
nahmen die Abfindung und kehrten in ihre Heimat zurück. Andere jedoch | |
blieben. „Es ist kein Zufall, dass 1974 die ersten Pizzerien eröffnet | |
wurden.“ Es traf aber nicht nur Italiener, sondern auch Frauen: | |
„Doppelverdiener“ war das Stichwort, mit dem arbeitende Ehefrauen aus dem | |
Werk gedrängt wurden. „Auch Frauen haben die 10.000 Mark genommen und eine | |
Kneipe aufgemacht.“ | |
Bosse hat auch eine VW-Biografie, doch eine krumme. Mit 15, als | |
Maschinenbaulehrling, war Bosse in der alternativen Lehrlingsbewegung | |
aktiv, die im maoistischen KBW aufging, dem Kommunistischen Bund | |
Westdeutschland. Die IG Metall schmiss ihn raus. Die Karriere bei VW war | |
vorbei. Im zweiten Anlauf hat es dann geklappt. Der vom Maoismus geläuterte | |
Bosse wurde wieder in die IG Metall aufgenommen und hat als VW-Ingenieur | |
Roboter konstruiert, den „Lupo“, das Dreiliterauto, mitentwickelt und kann | |
über die Anfänge der E-Autos berichten. Bosse hat unter vier | |
Vorstandsvorsitzenden gearbeitet, hat Krisen kommen und wieder gehen sehen | |
und Einblick erhalten in die Wolfsburger Hofhaltung, die so gar nicht | |
passen wollen zu der hochgehaltenen Mitbestimmung. | |
Bosse hat den beschworenen „Geist von Wolfsburg“ ganz anders kennengelernt. | |
Er hat die Machtfülle erlebt, aus der Vorstände, Abteilungsleiter und | |
Betriebsräte schöpften. Es ging um Statusfragen, wer etwa aufs Werkgelände | |
fahren darf, um Ehrendoktorwürden, Verdienstorden. Vor allem aber hat Bosse | |
gesehen, wie aus Sozialpartnern Kumpane wurden, aus Betriebsräten | |
„Co-Manager“. Und es ging nicht nur um Eitelkeiten, sondern um Korruption, | |
um Untreue, „Sexpartys“ und um viel Geld. 2005 flog der Spuk auf. Die | |
Justiz verurteilte ehemalige Manager und Betriebsräte zu Geld- und | |
Bewährungsstrafen, und der Betriebsratsvorsitzende musste für fast zwei | |
Jahre hinter Gitter. | |
Vorbei war die Hybris aber nicht. „Wo ich hingucke, wächst Gras!“ Diese | |
Selbstherrlichkeit stammt von Martin Winterkorn. Unter diesem Vorstandschef | |
erlebte VW den totalen Absturz. Im September 2015 deckte die | |
US-Umweltbehörde Manipulationen auf, mit denen VW die Abgaswerte von | |
Dieselautos auf Prüfständen drückte. Elf Millionen Fahrzeuge waren | |
betroffen. Der Nimbus von VW, deutsche Ingenieurskunst gepaart mit | |
tadellosem Berufsethos, war zerstört. | |
Bisher hat VW 32 Milliarden Euro an Bußgeldern und Wiedergutmachung | |
gezahlt. Die [2][strafrechtliche Aufarbeitung] zieht sich. Im September | |
2024 hat in Braunschweig der Prozess gegen Winterkorn begonnen, doch die 89 | |
angesetzten Termine verzögern sich. Winterkorn macht gesundheitliche Gründe | |
geltend. | |
Kriegt der Autobauer auch in der aktuellen Krise wieder die Kurve? „Bisher | |
hat es VW immer geschafft“, sagt Bosse. Er konstatiert eine gewisse | |
Zockermentalität. „Manchmal haben sie alles auf eine Karte gesetzt, etwa | |
1974 beim Golf.“ Dann klingt auch Skepsis durch. In früheren Krisen habe VW | |
die Zulieferer kujoniert, hat die Viertagewoche ohne Lohnausgleich | |
durchgesetzt. Doch inzwischen sind viele Zulieferer in Konzernen | |
aufgegangen, die über eine eigene Marktmacht verfügen. Und der Bau von | |
E-Autos erfordert perspektivisch deutlich weniger Personal. | |
Apropos E-Autos. Möglicherweise war es Porsche-Enkel Ferdinand Piëch, der | |
Anfang der 90er eine fatale Entscheidung traf. VW steckte mal wieder in | |
einer Krise, das Geld wurde knapp, neue Modelle mussten her. „Wir waren in | |
der Konzernforschung in der Diskussion, Konzepte zu entwickeln für die | |
Innenstadt“, erzählt Bosse. Schon 1991 gab es einen Lichtblick, als VW mit | |
dem „Chico“ ein Stadtauto mit Hybridantrieb präsentierte. Außerdem sollten | |
sich auf Rügen umgebaute E-Golfs im Alltagstest beweisen. „Und dann war die | |
Frage: Was machen wir? Das Dreiliterauto oder Elektro? Geld war nur für | |
eine Entwicklungsrichtung vorhanden.“ Piëch entschied sich für den „Lupo�… | |
mit Dieselantrieb. Das erste E-Auto von VW kam dann erst 2013. | |
Bosse, Jahrgang 1952, ist bei VW raus. Nach seinem Ausflug zum KBW trat er | |
den Grünen bei. Beliebter machte sich Bosse dadurch nicht. „U-Bahnen und | |
die Grünen sind die Hauptfeinde der Autoindustrie“, zitiert er genüsslich | |
eine Broschüre, die im VW-Management kursierte. | |
Sehr zur Überraschung von Bosse selbst wurde er im November 2024 zum | |
Ortsbürgermeister von Detmerode gewählt, einem Stadtteil, der in die Jahre | |
gekommen ist: sanierungsbedürftige Wohnhäuser, Überalterung, | |
Bevölkerungsrückgang. Wo einst 15.000 Menschen lebten, wohnen noch 7.500. | |
Die Aufgaben sind groß, die Finanzen dürftig, Gewerbesteuereinnahmen | |
rückläufig. Auf VW sollte sich keiner mehr verlassen. Die Strafzahlungen | |
aus dem „Dieselgate“ drücken Gewinn und Gewerbesteuer. Es schneit, als | |
Bosse in die Alvar-Aalto-Kirche führt, ein evangelisches Gemeindezentrum, | |
außen eher langweilig und kühl, innen ein erstaunlich warmes Ambiente. Es | |
könnte die Beschreibung für den VW-Style sein. | |
Vollständig wird das Bild auf dem Klieversberg. Die Männer von der IG | |
Metall und auch Bosse haben empfohlen, die Anhöhe zu besuchen, wo die | |
Porschehütte steht, eine blechgedeckte Baracke. In solchen Buden lebten | |
KdF-Arbeiter, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge, später | |
Vertriebene, Kriegsflüchtlinge, Glücksritter. | |
In besserer Ausstattung logierte hier Ferdinand Porsche, wenn er im | |
KdF-Werk zu tun hatte, das Schwiegersohn Anton Piëch leitete. Dessen Sohn | |
wiederum, ebenfalls ein Ferdinand, verbrachte als Fünfjähriger 1942 hier | |
die Sommerferien. Als VW-Chef habe sich Ferdinand Piëch, so erzählten es | |
die Männer, oft hierher zurückgezogen. Über einer Wiese öffnet sich der | |
Blick auf die Stadt, auf das Schloss Wolfsburg, das der KdF-Gründung 1945 | |
den Namen gab, und auf das VW-Werk, wo über 61.000 Menschen arbeiten, | |
jahrzehntelang die größte Fabrik der Welt. Erst 2022 zog die | |
Tesla-Gigafactory in Texas vorbei. | |
Auf einer Betriebsversammlung Anfang Februar demonstrierten | |
VW-Markenvorstand Thomas Schäfer und Betriebsratschefin Daniela Cavallo | |
nach den Kämpfen im Herbst neue Eintracht. Schäfer präsentierte Studien für | |
ein neues E-Auto, das schon ab 2027 in Wolfsburg vom Band laufen soll, | |
klein, preiswert und solide. Immerhin, die deutschen Verkaufszahlen für | |
alle ID-Modelle ziehen an, VW lässt damit Konkurrent Tesla hinter sich. Das | |
dürfte sich mit den Einstiegsmodellen fortsetzen. | |
Es bleiben enorme Risiken: So treffen die US-Strafzölle VW besonders. Es | |
betreibt ein Werk in Mexiko und muss zudem die Oberklassenmodelle von Audi | |
und Porsche, die sie in den USA verkaufen, aus Europa einführen. Deren | |
Absatzzahlen sind schon eingebrochen, Marktanteile in China bröckeln, und | |
die deutsche Wirtschaft schrumpft weiter. Nach den Einschnitten für die | |
Belegschaft fordert Betriebsratsvorsitzende Cavallo nun, dass auch Vorstand | |
und Aktionäre ihren Beitrag leisten, damit auch die „Familie“. | |
Besonders einladend ist die Porschehütte nicht, die Baracke ist | |
verschlossen. Doch wer im VW-Vorstand ist, sollte den Hügel besuchen und | |
seinen Blick auf die Stadtlandschaft schweifen lassen. Nicht, weil hier | |
oben Ferdinand Porsche weilte. Man kann in einem Augenblick erfassen, worum | |
es bei VW immer geht: Es geht um Macht – und um Verantwortung. | |
18 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Einigung-ueber-die-Zukunft-von-VW/!6058101 | |
[2] /Prozess-um-Dieselskandal/!5986232 | |
## AUTOREN | |
Thomas Gerlach | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
Wolfsburg | |
Volkswagen | |
Porsche | |
GNS | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Wir retten die Welt | |
Volkswagen | |
Dieselskandal | |
IG Metall | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
IG Metall | |
Brasilien | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Rückblick auf Dieselgate: Als die US-Behörden noch Vorbilder für Deutschland… | |
In Deutschland müssen frühere Auto-Manager wegen Betrugs mit Abgaswerten in | |
den Knast. Aufgedeckt hatte den vor zehn Jahren die US-Umweltverwaltung. | |
Urteil im Dieselskandal: Ehemalige VW-Manager müssen ins Gefängnis | |
Prozess zur VW-Dieselaffäre endet mit Haftstrafen für vier Ex-Mitarbeiter. | |
Weitere Prozesse laufen noch, darunter gegen Ex-Konzernchef Winterkorn. | |
Urteil im VW-Diesel-Prozess: Ein bisschen Genugtuung für die Geschädigten | |
Es ist gut, dass gegen verantwortliche VW-Mitarbeiter harte Urteile | |
gefallen sind. Doch die Schuldfrage wird wohl nie vollständig geklärt | |
werden. | |
Aktionstag der IG Metall: Gut 80.000 Menschen fordern sichere Arbeitsplätze | |
Unter dem Motto „Zukunft statt Kahlschlag“ fanden am Samstag Demos in | |
mehreren Städten statt. Die Gewerkschaft begrüßt die schwarz-rot-grüne | |
Einigung auf ein Sondervermögen für Investitionen. | |
Umfragen und Wahlergebnisse: Die Suche nach dem Wählerwillen | |
Das Umfrage-Institut YouGov sieht die Linke bei unwahrscheinlichen 9 | |
Prozent. Doch Umfragen beeinflussen die Entscheidungen der Wähler:innen. | |
Einigung über die Zukunft von VW: Die Sozialpartnerschaft ist vorerst gerettet | |
Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben sich im Streit um die Zukunft bei VW | |
geeinigt. IG Metall und Betriebsrat konnten die schlimmsten Pläne abwehren. | |
Staatsanwaltschaft klagt an: VW muss sich wegen Sklavenarbeit in Brasilien vera… | |
Auf der Rinderfarm einer Volkswagen-Tochter wurden vor vierzig Jahren | |
Arbeiter eingesperrt und misshandelt. Der Vorstand soll davon gewusst | |
haben. | |
Stellenabbau bei VW und Thyssenkrupp: Das war die BRD | |
Stahl aus dem Ruhrgebiet und der VW-Käfer symbolisieren das westdeutsche | |
Wirtschaftswunder. Ist damit jetzt Schluss? Über den Kampf von | |
Beschäftigten. |