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# taz.de -- Dokumentarfilm „Wie die Liebe geht“: Eine wandelbare Größe
> Judith Keil und Antje Kruska haben vier Liebespaare sieben Jahre lang mit
> der Kamera begleitet. Ihr Film ermöglicht eine oft erstaunliche Nähe.
Bild: Wollen dringend ein Kind: Patty und Sarah
Der neorealistische Filmemacher Roberto Rossellini hat einmal gesagt, Film
bedeute, „dem Tod bei der Arbeit zuzusehen“. Aber ist das nicht wie bei der
Frage, ob ein Glas Wasser halb leer oder halb voll ist? Und ist es deshalb
nicht ebenso wahr, wenn man sagt, beim Film könne man dem Leben bei der
Arbeit zusehen?
Letzteres gelingt den beiden Berliner Filmemacherinnen Judith Keil und
Antje Kruska in ihrem Dokumentarfilm „Wie die Liebe geht“ und für den sie
vier Paare sieben Jahre lang mit ihren Kameras begleiteten. Ursprünglich
waren es fünf, doch eines der Paare beendete die Zusammenarbeit. Aber auch
dies zeigt ja, worum es bei diesem Projekt geht: die Unberechenbarkeit des
Lebens. Und die Zerbrechlichkeit der Liebe, denn im Laufe der Zeit
verändern sich die Beziehungen zwischen den Menschen in diesem Film
grundlegend.
Sarah und Patty sind ein lesbisches Paar aus Waltrup bei Dortmund, das wir
bei seiner Hochzeit kennenlernen und das unbedingt ein gemeinsames Kind
haben will. Nicola und Mirko leben in Bremen. Wir sehen sie zum ersten Mal
mit ihrer zwei Tage alten Tochter Ida. Nicola himmelt Mirko an, aber wenn
sie erzählt, dass der schon vier Kinder von drei verschiedenen Frauen hat,
wird gleich zu Beginn ein Spannungsbogen aufgebaut.
Michi und Louis wiederum gehören zur jungen KünstlerInnenszene von Berlin
und wollen unbedingt ein Kind miteinander haben. Doch Michi besteht darauf,
dass sie in einer [1][freien Beziehung] leben und auch „mit anderen Leuten
Sex“ haben will. Benni und Nici sind ebenfalls Berliner*innen und leben
eher in geordneten Verhältnissen. Auch sie heiraten zu Beginn des Films,
und auch sie wollen unbedingt Kinder haben, aber Bennis blau gefärbte Haare
sind ein Zeichen dafür, dass hier die traute Zweisamkeit durch eine
antibürgerliche Punk-Attitüde gewürzt wird.
Was aus diesen Paaren in den sieben Jahren wird, sollen die
Zuschauer*innen in den 153 Minuten des Films Schritt für Schritt selbst
entdecken. Und deshalb wird hier möglichst wenig verraten, auch wenn im
offiziellen Trailer so heftig gespoilert wird, dass wir hiermit eine
„Trailerwarnung“ geben.
Tatsächlich gibt es neben einer erwartbaren einige überraschende und eine
tragische Entwicklung. Die meisten der Protagonist*innen werden über
die Jahre so vertraut mit den Filmemacherinnen, dass sie eine oft
erstaunliche Nähe gestatten. So gibt es Aufnahmen von einer Geburt, bei der
die Kamera lange das Gesicht der Gebärdenden fokussiert und so sehr
eindrucksvoll das tiefe Erstaunen in ihren Augen zeigt, als sie zum ersten
Mal ihr Kind sieht.
Denn Judith Keil und Antje Kruska wollen unbedingt das „echte Leben“
einfangen, und so arbeiten sie mit einer begleitenden Kamera. Sie greifen
also möglichst wenig in das Geschehen ein, aber natürlich sind die
Situationen, in denen sie drehen, arrangiert.
Da gibt es viele Feiern, einige gemeinsame Mahlzeiten mit
Lieblingsgerichten (die norddeutsche Nicola kocht [2][Grünkohl]). Auch
Spielplätze sind beliebte Drehorte.
Manchmal wird direkt in die Kamera erzählt, denn da es keine Erzählstimme
im Off gibt, müssen alle Informationen über die Protagonist*innen
selbst vermittelt werden. Doch in vielen Situationen scheinen die Gefilmten
so natürlich zu agieren, als hätten sie die Kamera vergessen. Und dadurch
gibt es immer wieder Momente in dem Film, in denen die [3][Körpersprache]
deutlicher ist als alles, was gesagt oder bewusst gezeigt wird. Und man
kann sehen, wie sich die Menschen körperlich verändern.
Für diesen immer wieder faszinierenden Vorher-Nachher-Effekt ist der
[4][Film] das ideale Medium. Noch deutlicher erkennt man an den Kindern,
wie die Zeit vergeht. Nicolas und Mirkos Tochter Ida ist in den ersten
Aufnahmen ein gerade geborenes Baby. Als die Kamera sie das letzte Mal
zeigt, wird sie eingeschult.
Und wie „geht“ nun die [5][Liebe]? Der Titel ist ja zweideutig, und wie die
Liebe „funktioniert“, konnte noch keines der unzähligen Kunstwerke, in
denen diese Frage gestellt wurde, ergründen. Aber wie sie sich weiter
bewegt, zeigt „Wie geht die Liebe“ sehr anschaulich. Und so wird hier
anhand der Entwicklungen von vier [6][Paaren] eine universelle Geschichte
erzählt. Judith Keil bringt es in einem Interview auf den Punkt: Für sie
ist „Liebe eine wandelbare Größe, und sie geht wie beim
Energieerhaltungssatz nicht weg“.
16 Feb 2025
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## AUTOREN
Wilfried Hippen
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