# taz.de -- Außen- und Entwicklungspolitik: Feministischer Reflex trifft auf e… | |
> Es gibt keine ressortübergreifende feministische Strategie der | |
> Bundesregierung. Bei Entscheidungen über Gasdeals und Haushalt zeigt sich | |
> das. | |
Bild: Initiativen von vor Ort stärken: Entwicklungsministerin Svenja Schulze b… | |
Ein feministischer Reflex sollte da sein. Frauen und strukturell | |
benachteiligte Gruppen sollten immer mitgedacht, Machtstrukturen verändert | |
werden. Als die beiden Ministerinnen Annalena Baerbock (Grüne) und Svenja | |
Schulze (SPD) im März 2023 [1][ihre jeweiligen Leitlinien für eine | |
feministische Außen- und Entwicklungspolitik vorstellten], legten sie die | |
Messlatte hoch. Aber was wurde aus ihrer „feministischen Außen- und | |
Entwicklungspolitik“? | |
Den Strategien liegen die drei „R“ zugrunde: Rechte, Repräsentanz und | |
Ressourcen von Frauen und Minderheiten sollen gestärkt werden. Dafür sollte | |
es mehr Geld für entsprechende Projekte geben. Und auch bei allen anderen | |
langfristigen Entwicklungsprojekten und der [2][humanitären Nothilfe müssen | |
Frauen mitgedacht werden]. | |
Dafür sollten bisher benachteiligte Gruppen und die Zivilgesellschaft im | |
Globalen Süden stärker einbezogen und gefördert werden. In den eigenen | |
Häusern sollten mehr Frauen in Führungspositionen gebracht, koloniale | |
Vergangenheit, rassistische Denkmuster und das Machtgefälle zwischen | |
Globalen Süden und Norden kritisch reflektiert werden. | |
## „Es tut mir leid, aber Bildung ist nicht genug“ | |
Papst Franziskus riet Baerbock etwa, „immer viele Frauen an seiner Seite zu | |
haben“. Denn der Vatikan-Chef hatte auf der UN-Klimakonferenz einen Text | |
abgelehnt, dass Frauen einen besonderen Schutzbedarf haben gegen die Folgen | |
des Klimawandels. | |
Und als sich der Chef eines Wirtschaftsverbands und der indische | |
Botschafter in Berlin auf einem Panel einig waren, dass es vor allem auf | |
Bildung für Mädchen ankomme, um Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen, | |
konterte Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD): „Es tut mir leid, | |
aber Bildung ist nicht genug.“ Sie sprach aus eigener Erfahrung: „Auch in | |
Deutschland sind gut ausgebildete Frauen noch nicht an der Spitze der | |
Unternehmen. Es geht um die Strukturen der Macht.“ | |
Die Strategien aus den beiden Ministerien hätten „ein Fenster geöffnet, um | |
neue Maßstäbe an die Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit anzusetzen | |
und ihre Einhaltung auch einzufordern“, sagt Leonie Stamm. Sie forscht zu | |
feministischer Außenpolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige | |
Politik (DGAP). | |
An den „großen Linien der Außenpolitik“, zeigten sich jedoch die | |
Schwierigkeiten: „In den letzten zwei Jahren gab es immer wieder | |
Entscheidungen und auch Richtungsentscheidungen, die absolut nicht zu den | |
Prinzipien einer feministischen Außenpolitik gepasst haben.“ Etwa | |
Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien, [3][Israel im Kontext des | |
Gaza-Krieges], Gasdeals mit Katar. Und auch die Kürzungen von Mitteln bei | |
der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe bei gleichzeitig | |
massiv steigenden Verteidigungsausgaben. | |
## Ressortübergreifende Strategie fehlt | |
Teil des Problems: Es gibt keine ressortübergreifende Strategie der | |
Bundesregierung. Damit gelten die feministischen Ziele eben nur für das | |
Außen- und das Entwicklungsministerium. „Außenpolitische Entscheidungen | |
werden aber bei Weitem nicht nur im Auswärtigen Amt getroffen. Das hat | |
natürlich Einfluss auf die Kohärenz dieses feministischen Reflexes, wie er | |
in den Leitlinien genannt wird“, sagt Stamm. | |
Und wie sieht es im eigenen Haus aus? Generell sei das Bewusstsein für | |
Geschlechtergerechtigkeit im Entwicklungsministerium und im Auswärtigen Amt | |
gestiegen, erklärt die Forscherin. „Das zeigt sich zum Beispiel bei | |
Fachgesprächen oder geförderten Projekten, die sich mit diesem Thema | |
auseinandersetzen.“ | |
Das Auswärtige Amt hat in der kurzen Zeit seine Botschafterinnen | |
aufgestockt: Lag ihr Anteil 2021 noch bei 23 Prozent, wird mittlerweile | |
rund jede dritte Auslandsvertretung von einer Frau geleitet. Das ist aber | |
laut Auswärtigem Amt noch lange nicht genug: „Diese Zahl kann uns nicht | |
zufriedenstellen, wir müssen den Weg zur Parität weiter mit aller Kraft | |
gehen“, heißt es von dort. | |
Nach dem [4][Women in Diplomacy Index] lag Deutschland 2023 im Mittelfeld | |
auf Platz 55 im internationalen Vergleich. Am besten schnitt Kanada mit 51 | |
Prozent Diplomatinnen ab, dicht gefolgt von Andorra, den Malediven, Monaco, | |
Finnland und Ghana. | |
## Mehr Projekte denken Frauen mit | |
In den Leitlinien war außerdem festgelegt, dass 85 Prozent der | |
Projektmittel gendersensibel eingesetzt werden sollen. Das heißt, dass | |
Frauen mitgedacht werden. Sodass etwa beim Wiederaufbau eines zerstörten | |
Dorfes Brunnen gut zu erreichen sind und kein Sicherheitsrisiko für Frauen | |
besteht, die Wasser von dort holen. | |
Die Zahlen für 2024 liegen laut Außenministerium noch nicht vor: „Nach | |
einem aktuellen Zwischenstand wurden rund 70 Prozent der Fördermittel | |
gendersensibel“ eingesetzt, 4 Prozent gendertransformativ verwendet. | |
Angestrebt waren 8 Prozent. Hierbei geht es um Mittel, die | |
Geschlechtergerechtigkeit oder die Teilhabe von Frauen als Ziel haben. | |
Für das BMZ stellte Svenja Schulze auf der Bundespressekonferenz im | |
Dezember Zahlen vor. Während 2022 noch 60 Prozent aller Projekte zur | |
Gleichstellung der Geschlechter beitrugen, werden es 2024 „etwas über 90 | |
Prozent sein“, so Schulze. | |
## Forderung nach besserer Finanzierung und Einbeziehung von lokaler | |
Zivilgesellschaft | |
Zentral im feministischen Konzept ist die Zusammenarbeit mit den | |
zivilgesellschaftlichen Organisationen vor Ort. Denn diese wissen, welche | |
Veränderungen es braucht, und sie sind in der Bevölkerung vernetzt. Nur mit | |
ihnen kann es einen nachhaltigen Wandel geben. Sie sind aber auch am Ende | |
des Geldflusses, erhalten oft nur projektbezogene Finanzierungen über | |
Drittorganisationen. Häufig sind die Anträge kompliziert und Erfolge nicht | |
immer messbar. Viele Aktivist*innen erfahren Repressionen wegen ihrer | |
Arbeit. | |
„Das BMZ prüft Formate für direkte Beteiligung und Mechanismen zur | |
Finanzierung lokaler Zivilgesellschaft, von Graswurzelorganisationen sowie | |
Aktivist*innen“, heißt es dazu in Schulzes Strategie. Eine | |
Ministeriumssprecherin sagte der taz, es gebe dazu bereits Pilotvorhaben. | |
Außerdem würden internationale NGOs mit Sitz im Globalen Süden direkt | |
gefördert. | |
Zumindest in der Erarbeitung der Leitlinien setzten beide Häuser auf Input | |
von Organisationen in Deutschland und dem Globalen Süden. „Hier haben wir | |
einen Wandel gesehen, dass ihre Expertise mehr berücksichtigt wird und es | |
vielfältigere Stimmen gibt.“ Es gebe aber auch Kritik, wie besonders die | |
Konsultation mit Organisationen aus dem Globalen Süden genutzt wird. „Statt | |
punktueller Anfrage müssen langfristige Beziehungen aufgebaut und natürlich | |
auch finanziert werden“, sagt Stamm. | |
Die Notwendigkeit, Zivilorganisationen im Globalen Süden, vor allem in | |
Konfliktregionen, effektiv zu finanzieren und in politische Entscheidungen | |
miteinzubeziehen, ist auch ein wiederkehrendes Thema der [5][umfangreichen | |
Analyse feministischer Außen- und Entwicklungspolitik] von | |
Wissenschaftler*innen der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Und | |
auch die Diaspora und migrantische Zivilorganisationen in Deutschland | |
sollten besser eingebunden werden, heißt es dort. | |
## Tenor im Wahlkampf: Menschenrechte werden hinten angestellt | |
Schulze gab vor Kurzem ein Beispiel, warum Repräsentanz notwendig ist: Als | |
in Sambias Hauptstadt Lusaka der Anteil von Frauen in wichtigen | |
Bezirksausschüssen erhöht wurde, konnte die Wasserversorgung verbessert | |
werden, weil die Frauen das Wissen dazu hatten, sagte sie der Frankfurter | |
Rundschau. „Feministische Entwicklungspolitik ist einfach erfolgreicher als | |
das, was wir vorher gemacht haben. An dieser Strukturveränderung wird | |
niemand mehr so einfach vorbeikommen.“ | |
Im aktuellen Wahlkampf aber ist das Thema hinten angestellt, auch wenn die | |
Grünen und SPD es zumindest ins Wahlprogramm geschrieben haben. | |
CDU-Kanzlerkandidat [6][Friedrich Merz will sogar das Asylrecht aushebeln] | |
und Entwicklungsgelder stärker an die Rücknahme von Geflüchteten koppeln. | |
Der Tenor insgesamt ist eine stärkere Betonung von geostrategischen und | |
Wirtschaftsinteressen als von Menschenrechten. | |
31 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Baerbock-praesentiert-neue-Leitlinien/!5915877 | |
[2] /NGO-Aktivistin-ueber-Gewalt-gegen-Frauen/!5972488 | |
[3] /Deutschlands-Innen--und-Aussenpolitik/!6042970 | |
[4] https://www.agda.ac.ae/docs/default-source/2023/women-diplomacy.pdf?sfvrsn=… | |
[5] https://www.swp-berlin.org/10.18449/2024S07/ | |
[6] /Rechtsdrift-der-Union/!6064676 | |
## AUTOREN | |
Leila van Rinsum | |
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