Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Deutschlands Innen- und Außenpolitik: Feminismus als Fremdwort
> Das deutsche Engagement in der Ukraine und im Nahen Osten zeigt: Die
> feministische Außenpolitik ist eine Lüge – und im Innern sieht es kaum
> besser aus.
Bild: Laut UN sind 70 Prozent der Opfer in Gaza Frauen und Kinder: Eine Frau tr…
Neulich verkündete Außenministerin Baerbock, dass [1][zivile Orte im
Gazastreifen ihren Schutzstatus verlieren können], wenn diese von
Terroristen missbraucht würden – und empörte damit alle, die sich weltweit
für die Integration feministischer Ideale in die internationale Politik
eingesetzt haben: Ausgerechnet Baerbock, die Hauptarchitektin der
„feministischen Außenpolitik“ in Deutschland, äußert sich so.
Sie zerstörte so jede Hoffnung auf Feminismus als integrative,
transnationale und transformative Ideologie. Stattdessen verbreiteten sich
ihre Kommentare in den sozialen Medien als weiteres Beispiel für den
westlichen Überlegenheitsanspruch und die Heuchelei darüber, welches Leben
wichtig ist und welches nicht.
Die Doppelmoral in der Reaktion auf die Kriege in der Ukraine und im Nahen
Osten sind unbestreitbar. Nachdem die Koalition aus Grünen, Liberalen und
Sozialdemokraten eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik
beschlossen hatte, brach sie nach Russlands Angriff auf die Ukraine ihre
feministische Zusage, der Abrüstung Priorität einzuräumen.
Trotz einer engen Handelspartnerschaft mit Russland scheint man sich wenig
bis gar nicht um eine robuste diplomatische Alternative bemüht zu haben.
Stattdessen hat Deutschland zusammen mit dem Rest der Nato die
Waffenproduktion und die militärische Aufrüstung hochgefahren und der
Ukraine fast 34 Milliarden Euro an Militärhilfe zur Verfügung gestellt,
zusätzlich zur Aufnahme von über einer Million Geflüchteten. Baerbock
erklärte derweil, dass dies nicht im Widerspruch zu einer feministischen
Außenpolitik stehe, da ukrainische Frauen selber Waffen forderten, um sich
zu verteidigen.
## Waffen für Kriegsverbrechen
Ein Jahr später, am 7. Oktober, wurden bei palästinensisch-angeführten
Guerillaattacken auf israelische Dörfer und Militäreinrichtungen mehr als
1.100 Israelis getötet und über 200 Geiseln genommen. Die Mehrheit der
Palästinenser und viele Menschen im Globalen Süden betrachten dies als
Widerstand gegen die Kolonisierung und das Apartheidregime, das ihnen seit
1948 vom Staat Israel aufgezwungen wird.
Es gibt schwere Anschuldigungen, dass sowohl israelische als auch
palästinensische Frauen grausame Gewalt erfahren hätten. Dazu gehören
Vorwürfe sexueller Übergriffe und die Vergewaltigung israelischer Frauen
während der Hamas-Angriffe sowie Gegenanschuldigungen, palästinensische
Geiseln in israelischen Gefängnissen hätten ebenfalls sexualisierte Gewalt
erlitten.
Israel reagierte auf den Angriff vom 7. Oktober 2023 mit einem Einmarsch in
den Gazastreifen, der seit über einem Jahr unvermindert anhält und derzeit
von internationalen Gerichten auf genozidale Absichten geprüft wird. Er
führte zur Zerstörung des Gazastreifens, zu extremer Gewalt im
Westjordanland und zum Mord an über 40.000 Menschen, [2][von denen etwa 70
Prozent Frauen und Kinder sind.]
Wie hat die deutsche Regierung darauf reagiert? Sie hat ihre Waffenexporte
an Israel seit August massiv erhöht – [3][auf knapp 110 Millionen Euro].
Und wie würde eine Regierung mit einer genuinen feministischen Außenpolitik
reagieren? Sie würde nicht nur sexualisierte Gewalt bei allen
Konfliktparteien verurteilen und die Freilassung aller Geiseln fordern,
sondern auch ein Ende der Besatzung, der kolonialen Enteignung und einen
sofortigen Waffenstillstand fordern, um Leben zu retten.
## Misstrauen bei Frauenbewegungen weltweit
In meiner Forschung untersuchte ich, was eine feministische Außenpolitik
für ein Land selbst, seine Beziehungen zu anderen Ländern und seine
Fähigkeit, sich mit der progressiven Zivilgesellschaft auf der ganzen Welt
zu solidarisieren, bedeutet.
Während Länder wie Schweden, Kanada und die Niederlande die ersten waren,
die eine feministische Außenpolitik verfolgten, schlossen sich ihnen
mittlerweile unter anderem Mexiko, Chile und Kolumbien an, die jedoch
bisher herrschende Grundannahmen und Denkweisen infrage stellen.
Die Situation in Gaza hat die tiefen Widersprüche der deutschen
feministischen Außenpolitik offengelegt und eine glaubwürdige
Positionierung von staatlich finanzierten gemeinnützigen Organisationen,
[4][wie dem Center for Feminist Foreign Policy (CFFP)] erschwert. Denn
keine Regierung kann behaupten, sie wolle „Gewalt gegen Frauen“ beenden,
während sie weiterhin weltweit Kriege finanziert und ganze Gesellschaften
aufrüstet. Und dies in einer Zeit, in der ein Backlash bereits die
Frauenrechte in vielen Ländern bedroht.
Die Unterstützung der deutschen Regierung für Israel hat nun weltweite
Frauenbewegungen, die dringend finanzielle Mittel benötigen, misstrauisch
gemacht, dass der Begriff „feministisch“ instrumentalisiert wird, um eine
westliche, auf Rassismus basierende Agenda durchzusetzen.
## Außen wie innen: Feminismus bleibt auf der Strecke
Politische Kommentatoren stellen bereits seit langem fest, dass die
Außenpolitik eines Landes eine Fortsetzung der Innenpolitik ist. Und just
an diesem Donnerstag wurde eine Antisemitismus-Resolution im Bundestag
verabschiedet, die auf der umstrittenen IHRA-Definition (International
Holocaust Remembrance Alliance) basiert, die „Jüdisches Leben in
Deutschland schützen, bewahren und stärken“ soll. Doch die umstrittene
IHRA-Definition wird häufig so ausgelegt, dass auch [5][Kritik an der
israelischen Regierung als Antisemitismus gilt].
Das ist kontraproduktiv für den gesellschaftlichen Frieden in einem von
Immigration geprägten Land, denn Minderheiten können nicht geschützt
werden, [6][wenn sie gegeneinander ausgespielt werden]. Eine
Zivilgesellschaft, die konstruktiv auf Basis demokratischer Werte streiten
kann, sich vernetzt und vom Staat dafür gefördert wird, [7][wäre der beste
Schutz] und die Garantie für ein „Nie Wieder“ in Deutschland.
Wir wissen aus vielen Ländern, dass Anti-Demokraten immer als Erstes die
Rechte von Frauen einschränken, daher ist die Unterstützung von
anti-demokratischer Politik immer auch eine Unterstützung von
frauenfeindlicher Politik. Zuletzt erinnere ich hier an das Herzstück der
feministischen Außenpolitik: Die [8][menschliche Sicherheit], die durch
Gleichberechtigung und Chancengleichheit erreicht wird und nicht durch eine
Politik der gesellschaftlichen Spaltung, des Hasses und der Aufrüstung, die
unweigerlich zu mehr Krieg, mehr Gewalt und zu weniger Grundrechten
insbesondere für Frauen führt.
## Abtreibungen, Frauenhäuser, Berufsleben
Und gerade deswegen ist es so enttäuschend, dass die
Geschlechtergerechtigkeit in Deutschland selbst innenpolitisch ein leeres
Versprechen bleibt. Schwangerschaftsabbrüche sind formal illegal, und bis
2022 konnten Ärzte und Ärztinnen sogar mit einer Geldstrafe belegt werden,
wenn sie diese öffentlich anbieten. Deutschland ist neben Ungarn eines von
zwei EU-Ländern, das die Pflichtberatung vor einem straffreien
Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche verlangt. Kristina Hänel wies
darauf hin, dass der Zugang für alle eine Herausforderung bleibt.
Insbesondere für geflüchtete Frauen und jene, die wenig Deutsch sprechen,
aber auch für Überlebende einer Vergewaltigung, ist eine Abtreibung oft
unerreichbar.
Es fehlen weiterhin mindestens 14.000 Frauenhausplätze, um Frauen und
Kindern Schutz vor gewalttätigen Partnern zu bieten und der Entwicklung
Rechnung zu tragen, dass in den letzten 5 Jahren, laut Bundeskriminalamt,
die häusliche Gewalt um 20 Prozent gestiegen ist. Auch sehen sich Frauen
mit Hindernissen im Berufsleben konfrontiert, die ihre
Vollzeitbeschäftigung nicht unterstützt, keine ausreichende Kinderbetreuung
bietet und dafür sorgt, dass sehr viele in der Altersarmut landen.
In meinen Gesprächen mit Beamten des Auswärtigen Amts räumten viele ein,
dass es einfacher ist, sich „da draußen“ für den Feminismus einzusetzen,
als mit der zutiefst konservativen Gesellschaft zu Hause. Dazu gehört auch
das Wiedererstarken rechter Parteien und die staatliche Kontrolle (der
Bundesländer) über Themen, die das Leben von Frauen betreffen.
Es bleibt ein Kampf, Geschlechtergerechtigkeit auf der ganzen Welt zu
verwirklichen. Aber solange Deutschland es nicht schafft, sich für die
Rechte von Frauen innerhalb seiner eigenen Grenzen und in allen Teilen der
Welt gleich einzusetzen, wird Feminismus ein Fremdwort bleiben und
Deutschland als internationaler Player, unglaubwürdig.
9 Nov 2024
## LINKS
[1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/newsletter-und-abos/bulletin…
[2] https://www.deutschlandfunk.de/uno-analyse-70-prozent-der-toten-sind-frauen…
[3] https://www.tagesschau.de/inland/ruestungsexporte-deutschland-israel-100.ht…
[4] /Konflikt-um-feministische-Aussenpolitik/!6042920
[5] /Antisemitismus-Resolution-im-Bundestag/!6047369
[6] /Soziologin-ueber-Antisemitismusresolution/!6046643
[7] /Lehren-aus-den-Gaza-Protesten/!6040006
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Menschliche_Sicherheit
## AUTOREN
Kavita Ramdas
## TAGS
Feminismus
Schwerpunkt Islamistischer Terror
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Hamas
Folter
Vergewaltigung
Sexuelle Gewalt
Annalena Baerbock
Paragraf 218
Palästinenser
Feminismus
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Emanzipation
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Kolumne Der rote Faden
## ARTIKEL ZUM THEMA
Abkehr von feministischer Außenpolitik: Wadephul justiert sein Haus neu
Der neue Außenminister hält nicht viel von feministischer Außenpolitik.
Frauenrechtsorganisationen möchten deshalb das Gespräch mit ihm suchen.
Nahost und Feminismus: Reißt euch zusammen, Flinta!
Der Krieg in Gaza spaltet die feministische Bewegung. Bei den
Demonstrationen zum feministischen Kampftag wird er eine große Rolle
spielen.
Außen- und Entwicklungspolitik: Feministischer Reflex trifft auf echte Welt
Es gibt keine ressortübergreifende feministische Strategie der
Bundesregierung. Bei Entscheidungen über Gasdeals und Haushalt zeigt sich
das.
Sexualisierte Gewalt im Ukrainekrieg: Hilfe aus Bukavu für die Opfer
Kaum jemand hat so viel Erfahrung mit Opfern sexualisierter Kriegsgewalt
wie Denis Mukwege. Jetzt hilft der kongolesische Arzt der Ukraine.
Sexualisierte Gewalt der Hamas: Frauentag, my ass
Laut einem UN-Bericht ist es bei dem Anschlag der Hamas sehr wahrscheinlich
zu sexualisierter Gewalt gekommen. Warum wurde das erst jetzt entdeckt?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.