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# taz.de -- Femizide und Antifeminismus: Die Resilienz der Frauen
> Der antifeministische Backlash ist in vollem Gange. Doch Frauen sind
> keine wehrlosen Wesen, die sich in die Vergangenheit zurückkatapultieren
> lassen.
Bild: Frauenpower nicht nur am 8. März
Frauen dürfen in der Bundesrepublik wählen und gewählt werden, sie können
studieren, sie gehen arbeiten. Sie bekommen Kinder oder keine, sie
heiraten, lassen sich scheiden, lieben Frauen und können ihr Geschlecht
wechseln. Sie treiben ab, haben eigene Konten, man findet sie in
Chefetagen. Gewissheiten wie diese stellt hierzulande längst niemand
infrage. Und doch wird viel über den drohenden Backlash feministischer
Errungenschaften debattiert.
So droht die geplante Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu
scheitern, jeden zweiten Tag wird eine Frau ermordet, weil sie eine Frau
ist, mehr Plätze in Frauenhäusern gibt es trotzdem nicht. Es gibt vermehrt
Angriffe gegen Transpersonen, und in Ländern wie Bayern, Sachsen,
Sachsen-Anhalt, Hessen und Schleswig-Holstein ist das Gendern an Schulen,
Hochschulen oder in Behörden verboten oder ein Verbot angekündigt.
Friedrich Merz hat angekündigt, im Falle eines Sieges bei der
Bundestagswahl sein Kabinett nicht zwingend paritätisch zu besetzen. Denn
Frauen seien nicht so selbstbewusst wie Männer – und mit hohen
Regierungsämtern täte man ihnen keinen Gefallen. Und wenn die AfD-Männer
tönen, [1][dass Feminismus „Krebs“ sei], weil er Weiblichkeit zerstöre und
Kinder verhindere, ist klar: Der Antifeminismus ist salonfähig geworden.
Das alles klingt dramatisch. Und ja, es ist dramatisch. Doch je öfter diese
Dramatik heraufbeschworen, je stärker betont wird, wie schicksalhaft die
kommenden Jahre für Frauen und vulnerable Gruppen werden könnten, desto
stärker spricht man ihnen Stärke und Kampfesgeist ab und stellt sie als
wehrlose Wesen dar. Und das ist dramatischer.
## Kitaplätze fehlen
Denn Frauen lassen sich 2025 nicht mehr zurückkatapultieren in eine Zeit
mit einem Geschlechterbild, das sie vor allem bei den Kindern und in der
Küche verortet und von Männern abhängig macht, vor allem finanziell. Einen
Rückwärtsgang in die 1980er Jahre macht eine große Mehrheit der Frauen
nicht mit. Wie stark Rechtspopulisten das auch noch forcieren mögen. Und
sie haben die Rechnung ohne die Frauen gemacht.
Allein die Berufstätigkeit: Immer mehr Frauen sind erwerbstätig. Laut
Statistischem Bundesamt stieg der [2][Anteil berufstätiger Frauen von 1997
bis 2023 von 58 auf knapp 75 Prozent.] Das ist so hoch wie selten in
Europa, davon lassen sich die meisten Frauen auch nicht mehr abbringen.
Berufstätige Partnerinnen treffen im Übrigen auch auf den [3][Anspruch der
Männer,] die längst nicht mehr allein für das Familieneinkommen sorgen
wollen. Junge Familien setzen längst nicht mehr auf die Einverdiener- oder
Zuverdienerbeziehung, sondern auf eine egalitäre Verteilung des
Familienunterhalts und der Care-Arbeit – wenngleich die immer noch ungleich
verteilt ist, zuungunsten der Frauen.
Dass der Gleichheitsanspruch nicht immer umgesetzt werden kann, liegt unter
anderem an fehlenden Kitaplätzen und der Tatsache, dass Mütter, die nach
der Elternzeit in den Job zurückkehren, häufig auf Teilzeitstellen hängen
bleiben. Die [4][Hälfte der berufstätigen Frauen arbeitet in Teilzeit,]
viele Frauen würde jedoch gern mehr arbeiten, selbst Mütter mit kleinen
Kindern. Die ungleiche Verteilung der Care-Arbeit ist zudem dem Umstand
geschuldet, dass in nicht wenigen Unternehmen mehr als die üblichen zwei
Vätermonate nicht gern gesehen werden.
Frauen sind nicht, wie Merz proklamiert, grundsätzlich weniger
selbstbewusst als Männer, im Gegenteil: Immer mehr Frauen werden Chefinnen,
in Politik und Wirtschaft ebenso wie in der Kultur, in den Medien, der
Wissenschaft. [5][Ende 2023 waren 18 Prozent der Vorstände in den 200
umsatzstärksten Unternehmen weiblich, bei den Aufsichtsrären lag der
Frauenanteil bei 32 Prozent]. Ja, Männer dominieren bei den Topjobs noch
immer, aber in einem anderen Verhältnis als vor 20 Jahren. Damals saßen
Anzugträger am Tisch und trafen Entscheidungen, während Frauen im Vorzimmer
die Akten sortierten. In den vergangenen 35 Jahren haben Frauen enorm viel
erreicht.
Die meisten Unternehmen haben längst verstanden, dass sie Frauen nicht nur
als Arbeitskräfte brauchen, sondern auch als Diversitätsfaktor: Gemischte
Teams bringen bessere Ergebnisse – ein mittlerweile alter Hut. Auch der
[6][Gender Pay Gap,] die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern, ist von
einst 23 auf 18 Prozent geschrumpft. Das ist immer noch ungerecht, denn
Frauen und Männer in gleichen Jobs haben dasselbe zu verdienen, Punkt. Aber
es tut sich eben was.
## Bewegung und Gegenbewegung
Frauen sind in allen gesellschaftlichen Bereichen sichtbarer und
erfolgreicher geworden, mit dem einen prominenten Ergebnis der 16-jährigen
Kanzlerschaft der Ostdeutschen Angela Merkel. Vielleicht lässt es sich so
zuspitzen: Frauen zeigen enorme Resilienz, wenn es darum geht, das eigene
Leben (und das ihrer Kinder) vor einem Rollback zu schützen. Der
Antifeminismus heute verdeutlicht, wie stark die feministische Bewegung in
den vergangenen Jahrzehnten geworden ist – bis hin zu dem Phänomen, dass
selbst in [7][rechtspopulistischen Parteien Frauen das Sagen haben: Giorgia
Meloni in Italien, Marine Le Pen in Frankreich, Alice Weidel in
Deutschland.]
Das klingt nach einem Paradox, ist aber ein Klassiker: Auf jede
erfolgreiche Bewegung folgt eine Gegenbewegung. Beim Backlash mit einer
Besonderheit: zu den antifeministischen Männern gesellen sich Frauen, die
von dem feministischen Anspruch – jede Frau sollte so leben können, wie sie
will – profitieren: die Tradwifes, die traditionellen Hausfrauen. Das hat
einen doppelten Boden: Sie verraten den Feminismus und müssen zugleich die
Konsequenzen für ihr auf Abhängigkeit aufgebautes Lebensmodell tragen,
sollte das schiefgehen.
Tradwifes sind eine Form männlicher Identitätspolitik. Die bislang nur eine
weibliche Minderheit anspricht. Das zeigen die Demos für Demokratie und
gegen Rechtsruck in den vergangenen Wochen, darunter eine [8][Großdemo von
Feministinnen] in Berlin mit mehreren Tausend Menschen.
31 Jan 2025
## LINKS
[1] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/afd-weltfrauentag-frauen…
[2] https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit/Tab…
[3] https://www.diw.de/de/diw_01.c.908180.de/publikationen/wochenberichte/2024_…
[4] https://www.bpb.de/themen/arbeit/arbeitsmarktpolitik/329120/teilzeitbeschae…
[5] https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2024/heft/2/beitrag/fortschrit…
[6] https://www.dgb.de/geld/equal-pay/
[7] /Rechtspopulistinnen-in-Europa/!6048543
[8] /Feministische-Demo-in-Berlin/!6059756
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
Emanzipation
Frauen
Beruf und Familie
Gleichstellung
Gender Pay Gap
Care-Arbeit
GNS
Feministinnen
Feminismus
Resilienz
Schwerpunkt Femizide
Stefan Gelbhaar
Schwerpunkt Europe's Far Right
Gleichstellung
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