| # taz.de -- #MeToo nach Gelbhaar-Affäre: Glaubt den Frauen – immer noch | |
| > Die Affäre Gelbhaar ist eine, in der es nur Verlierer_innen gibt. Sie | |
| > sollte jetzt nicht auch noch an feministischen Selbstverständlichkeiten | |
| > wie „Believe the Women“ rütteln. | |
| Bild: In einer patriarchalen Welt sollte man weiblichen Stimmen Achtung schenken | |
| Stellen Sie sich einmal vor, jeder Fehler und jedes Vergehen eines Mannes | |
| würde an der männlichen Vorherrschaft rütteln. Bei so viel Gerüttel wäre | |
| das Patriarchat schon längst in sich zusammengebrochen. Doch dafür gibt es | |
| leider noch keine Anzeichen. Denn selbst wenn es um Verfehlungen wie | |
| Missbrauch oder geschlechtsspezifische Gewalt geht, behandeln wir die Taten | |
| der Männer noch viel zu oft als traurige Einzelfälle anstatt als | |
| Fortschreibung eines Systems. | |
| Ganz anders sieht es aus, wenn (vor allem feministische) Frauen Fehler | |
| machen. Dann wird aus einem Einzelfall ganz schnell ein systemisches | |
| Versagen konstruiert. Und hart erkämpfte feministische Grundsätze werden | |
| ohne Nachdenken über Bord geworfen. Diese Ungleichbehandlung zeigt sich | |
| gerade wieder einmal im Umgang mit der Affäre Gelbhaar. | |
| Im Dezember, kurz vor der Wahl der Berliner Landesliste zur Bundestagswahl, | |
| hatte eine junge Grünen-Politikerin Vorwürfe der sexuellen Belästigung | |
| gegen den Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar erhoben. Sie sprach nicht | |
| für sich selbst, sondern im Namen anderer. Danach folgte eins aufs andere: | |
| Über ein Dutzend Vorwürfe gingen bei der Ombudsstelle der Grünen ein, der | |
| RBB machte mit seinen Recherchen die Vorwürfe öffentlich. Gelbhaar wies | |
| diese von sich, zog aber seine Kandidatur für die Landesliste zurück. An | |
| seiner Kandidatur für das Direktmandat im Wahlkreis Berlin-Pankow wollte er | |
| festhalten, verlor sie jedoch in einer Abstimmung gegen eine nach den | |
| Vorwürfen neu aufgestellte Gegenkandidatin. | |
| Mittlerweile ist klar: Ein Teil, und zwar der schwerste, der Vorwürfe gegen | |
| Gelbhaar ist erfunden. Eine eidesstattliche Erklärung, die dem RBB vorlag, | |
| ist wohl gefälscht. [1][Die Redaktion hat journalistisch unsauber | |
| gearbeitet], weder hat sie die mutmaßlich Betroffene getroffen noch | |
| ordentlich gecheckt, ob sie überhaupt existiert. Recherchen legen nahe, | |
| dass die Politikerin, die alles ins Rollen brachte, hinter der Fälschung | |
| steckt. Mittlerweile ist sie von ihren Ämtern zurück- und aus der Partei | |
| ausgetreten. Sie hinterlässt einen enormen Schaden, den eine ganze Bewegung | |
| nun beseitigen muss. | |
| ## Ein gefundenes Fressen | |
| Denn für die Mehrheit scheint jetzt klar: [2][Gelbhaar ist das Opfer einer | |
| Intrige], die Frauen haben gelogen. Warum? Dafür gibt es vielzählige | |
| Theorien. Doch fest stehe, der Mann habe eine Entschuldigung verdient, | |
| gehöre rehabilitiert und feministische Grundsätze seien überholt. „Believe | |
| the Women“, das zeige dieser Fall, funktioniert nicht. [3][#MeToo sei zu | |
| einer Waffe] der Frauen geworden. | |
| Die Affäre ist ein gefundenes Fressen für alle, die ohnehin nichts auf | |
| Frauenrechte geben. Doch Kritik an feministischen Grundsätzen und dem | |
| Ansatz der Ombudsstelle der Grünen, dass die „Perspektive der Betroffenen | |
| handlungsleitend“ sei, kommt auch von anderer Seite. | |
| Dabei ist in diesem Fall bisher wenig klar. Viele Fragen sind offen. Nur | |
| eine sorgfältige und transparente Aufarbeitung kann wirkliche Klarheit | |
| darüber bringen, ob der Ruf Gelbhaars rehabilitiert gehört oder an den | |
| bestehenden Vorwürfen etwas dran ist. Es muss untersucht werden, welche | |
| Fehler passiert sind und welche Änderungen im Umgang mit | |
| Belästigungsvorwürfen nötig sind, um solche Fehler in Zukunft zu vermeiden. | |
| ## Schlecht ist nicht das ganze System | |
| Der Sender hat eine Aufarbeitung versprochen und auch die Grünen haben eine | |
| Kommission eingerichtet, um den Fall aufzuarbeiten. Und das haben alle | |
| Beteiligten verdient. Denn bislang gibt es in diesem Fall nur | |
| Verlierer_innen. Auf der einen Seite Stefan Gelbhaar selbst, dessen | |
| Karriere im Bundestag vorerst beendet ist und der nun um seinen Ruf kämpfen | |
| muss. Auf der anderen sind da noch sieben Frauen, die laut der Partei an | |
| ihren Vorwürfen gegen Gelbhaar festhalten – aber denen jetzt nun nur noch | |
| Misstrauen entgegenschlägt. | |
| Doch unabhängig davon, zu welchen Ergebnissen die Aufarbeitungen kommen, | |
| sollte am Ende nicht MeToo der große Verlierer sein. Denn nur weil eine | |
| einzelne Person ein Hilfesystem missbraucht, heißt es nicht, dass gleich | |
| das ganze System schlecht ist. Das Narrativ, Frauen würden systematisch | |
| Vorwürfe erfinden, um Männer zu stürzen, ist zwar virulent – hat aber wenig | |
| mit der Realität zu tun. Falschbeschuldigungen kommen nur in den seltensten | |
| Fällen vor. | |
| Die Realität dagegen ist, dass Männer weltweit noch immer ihre Macht | |
| schamlos missbrauchen. Versucht eine Frau sich dagegen zu wehren, schlägt | |
| ihr oft Misstrauen, bösartige Unterstellungen und Hass entgegen. Dem will | |
| der Slogan „Believe the Women“ etwas entgegensetzen. Er will sagen: Wir | |
| könnten das als Gesellschaft auch anders lösen und den Frauen erst einmal | |
| glauben. Nicht mehr und nicht weniger. | |
| „Believe the Women“ rechtfertigt also keine journalistische Schlampigkeit, | |
| setzt keine Unschuldsvermutung außer Kraft, ersetzt keine juristische | |
| Aufarbeitung. Aber „Believe the Women“ versucht in einer Welt voller | |
| männlicher Vorherrschaft, ein kleines bisschen Gerechtigkeit zu bringen. An | |
| diesem hehren Ziel sollte auch die Affäre Gelbhaar nichts ändern. | |
| 24 Jan 2025 | |
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| Carolina Schwarz | |
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