# taz.de -- #MeToo in deutscher Filmbranche: Das Schweigen hat ein Ende | |
> Schauspielerin Merve Aksoy wirft einem Regisseur Machtmissbrauch vor. | |
> Ihre Klage wurde in erster Instanz abgewiesen, nun ist die | |
> Berufungsverhandlung. | |
Bild: Aksoy und ihr Anwalt: sie lassen sich nicht entmutigen und gehen in Beruf… | |
Berlin taz | Merve Aksoy erscheint am Dienstag mit Sonnenbrille und | |
Springerstiefeln vor dem Landesarbeitsgericht Berlin. Um den Hals trägt sie | |
eine Kette mit Venus-Symbol, sie kaut lässig Kaugummi – und wirkt nicht wie | |
eine, die sich mundtot machen lässt. | |
Dabei scheinen einige genau das zu wollen. Denn [1][Aksoy prangert | |
öffentlich Machtmissbrauch im Film an] und erhebt schwere Vorwürfe gegen | |
einen Regisseur: Sie beschuldigt ihn des Machtmissbrauchs während der | |
Dreharbeiten zu einem Film, der 2021 in der Türkei gedreht wurde. | |
Im Frühjahr 2023 reichte sie Klage gegen den Regisseur und die | |
Produktionsfirma beim Arbeitsgericht Berlin ein. Die Klage wurde in erster | |
Instanz abgewiesen. Am Dienstag wird die Berufung verhandelt. Ein Vergleich | |
kommt nicht zustande: Die Gegenseite, die sowohl die Produktionsfirma als | |
auch den Regisseur vertritt, lehnt ab. | |
Konkret wirft Aksoy dem Mann vor, entgegen einer mündlichen Vereinbarung | |
Nacktaufnahmen, zu denen sie gedrängt worden sei, im Film verwendet zu | |
haben. Vertraglich waren die Aufnahmen nicht vorgesehen. Im Vorfeld der | |
Ausstrahlung des Films bei der Berlinale 2023 wollte sie die Szenen | |
anschauen, das sei ihr verweigert worden. Auf der Berlinale habe sie die | |
Szenen erstmals gesehen. | |
## Kritik wegen unzureichender Schutzmaßnahmen | |
Zudem soll eine Gewaltszene zwischen Aksoy und ihrem Spielpartner nicht | |
choreografiert, sondern echt gewesen sein und habe sie traumatisiert. | |
Vertraglich war zugesichert, dass es keine Gewalt am Set geben sollte. | |
Aksoy kritisiert, dass keine Stunt- oder Intimitätskoordination vorhanden | |
gewesen sei, obwohl die Filmförderung dies vorschreibt. | |
2023 zog sie vor Gericht und reichte Klage ein wegen Vertragsbruch und | |
Gewaltausübung am Set ohne Stuntkoordination. Ihre Forderungen: | |
Unterlassung der Verwertung von Nacktaufnahmen sowie Schadensersatz in Form | |
von Schmerzensgeld. | |
In erster Instanz scheiterte Aksoy. Ihr Anwalt, Ralf Burmester, kritisiert: | |
Es sei „völlig unzutreffend“ entschieden worden. „Das Gericht hat die | |
vorgebrachten Beweise, darunter Bilder von Aksoys Verletzungen, | |
unzureichend gewürdigt“, sagt er der taz. Man müsse sich nur den Film und | |
die Fotos von Aksoys Verletzungen ansehen – „dann ist die Kausalität da“, | |
so Burmester. | |
Das scheinen auch andere so zu sehen: Rund 40 Menschen haben sich am | |
Dienstag vor dem Gericht versammelt, um Aksoy beizustehen. Eine Kundgebung, | |
organisiert von Metoo Germany und [2][Aksoys Kampagne #genuggeschwiegen], | |
macht vor Prozessbeginn auf Machtmissbrauch im Film aufmerksam. Rund 20 | |
Frauen stehen mit Schildern auf der Straße, eine Frau erzählt Aksoys | |
Geschichte: „Ich habe zu lange geschwiegen und das hat mich gebrochen. | |
Heute habe ich meine Stimme gefunden.“ | |
## Viel Unterstützung im Saal | |
Als der Prozess um 11 Uhr beginnt, ist der Saal überfüllt, | |
Zuschauer*innen sitzen auf dem Boden, drängen sich bis auf den Flur. | |
Nach der Schilderung des Sachverhalts schlägt die Richterin einen Vergleich | |
vor: Eine Verpflichtungserklärung, dass die Nacktaufnahmen nicht weiter | |
verbreitet werden, sowie eine Spende an Aksoy, jedoch ohne Anerkennung der | |
Rechtspflicht. | |
Die Richterin schlägt zudem ein Mediationsverfahren vor, das unter | |
Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Aksoy und ihr Anwalt | |
akzeptieren, fordern aber zusätzlich 500 Euro für die 6 Male, die der Film | |
mit den Nacktszenen ausgestrahlt wurde. | |
Die Gegenseite lehnt ab. Zwar bestehe eine „grundsätzliche Bereitschaft“ | |
eine Unterlassungserklärung bezüglich der Nacktaufnahmen abzugeben, da | |
diese „definitiv nicht mehr verwendet“ würden, so der Verteidiger. Dennoch | |
lehnt er ab. Er befürchtet, dass dies als Schuldeingeständnis gewertet und | |
medial ausgeschlachtet werden könnte. „Sie sehen ja den Saal.“ | |
Obwohl die Unterstützung im Saal groß ist, berichtet Aksoy in der | |
[3][Branche seit ihren Äußerungen Ausgrenzung zu erfahren]: Agenturen, die | |
sie ablehnen, Jobangebote, die ausbleiben, Kolleg*innen, die ihr in den | |
Rücken fallen. „Keiner möchte etwas damit zu tun haben. Es ist ein | |
Albtraum.“ | |
Nach der Verhandlung fährt sich Aksoy erschöpft durchs Haar. Auf ihrer Hand | |
steht tätowiert: „Patience“ – Geduld. Die wird sie brauchen. Der nächste | |
Verhandlungstag ist für die Sommermonate angesetzt. | |
1 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Deutsche-Filmbranche-Frauen-verdienen-fuer-die-gleiche-Arbeit-teils-halb-s… | |
[2] https://www.wolf-pr.org/klienten/genuggeschwiegen/ | |
[3] /MeToo-beim-Festival-de-Cannes-2024/!6007842 | |
## AUTOREN | |
Lilly Schröder | |
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