| # taz.de -- Nach der Bundestagswahl: Notfallkit für die Seele | |
| > Wahlkatastrophe, Rechtsruck, Endzeitstimmung – was hilft? Unserer Autorin | |
| > Schmerztabletten, Hühnersuppe und sphärische Musik. | |
| Bild: In diesen Zeiten sollte man immer gut ausgestattet unterwegs sein | |
| Zwei Tage nach der [1][Wahlkatastrophe] sitze ich mit meinen Kolleginnen in | |
| der Redaktion. „Hat jemand von euch zufällig eine Schmerztablette?“, fragt | |
| eine. Sofort kramen drei andere einen kleinen Beutel hervor. „Ich hätte | |
| eine Ibu“, sagt die Kollegin mir gegenüber. „Ich eine Buscopan“, höre i… | |
| von links. „Oder willst du lieber eine Dolormin?“ Mich erstaunt, wie gut | |
| sie ausgestattet sind – und schon sprechen wir über ihre Minitaschen, in | |
| denen sie allerhand Dinge mit sich herumtragen, die ihnen das Leben | |
| erleichtern. | |
| Ich finde das Konzept ja super. Warum habe ich nicht längst selbst so ein | |
| Notfallkit, das mir durch diese [2][beschissene Zeit] hilft? Okay, | |
| vielleicht habe ich doch eins. Es ist zwar nicht so quadratisch, praktisch | |
| und gut wie diese kleinen Taschen, aber ähnlich effektiv wie eine | |
| Kopfschmerztablette. | |
| Mein Notfallkit sind die Gespräche mit A., seine selbst gekochte | |
| Hühnersuppe und die Rotz erprobten Umarmungen, wenn ich mal wieder sehr | |
| verzweifelt bin. Daneben muntert mich der unschlagbare Optimismus meiner | |
| Mutter auf. Im Handy das Gruselkabinett der [3][Tech-Bros], aber sie | |
| erzählt mir, dass bei ihr im Garten die Schneeglöckchen blühen. | |
| ## Zweckgemeinschaft mit der Wärmflasche | |
| Bis vor wenigen Tagen hätte mich auch mein geliebtes Dinkelkornkissen | |
| getröstet. Es war eigentlich kein Wärmekissen, sondern in vielen Momenten | |
| mein Rettungsring. Leider hat es den Wahlkampf nicht überlebt. Während | |
| draußen hitzig debattiert wurde, fackelte es in meiner Mikrowelle ab. Jetzt | |
| bilden die Rossmann-Wärmflasche und ich eine neue Zweckgemeinschaft. | |
| Zum Glück habe ich wenigstens wieder Appetit auf Musik. In den | |
| abscheulichsten Phasen, und davon gab es viele, gingen echt nur saure | |
| Gummiwürmchen und Nachrichten-Binging. Aber dann entdeckte ich den | |
| sphärischen Sound von Irène Drésel. Seither schwebe ich einfach ganz viel | |
| über glitzernde Bäche und frisches Moos. Hart gelandet wird zwischendurch | |
| mit Les Vulves Assassines. Bestem französischen Punkgeschrei gegen die | |
| Ungerechtigkeit. | |
| ## Der „Himmel über Berlin“-Mantel | |
| Gut in Sachen „Resilienz“ sind für mich die kilometerlangen Spaziergänge … | |
| meinem „Himmel über Berlin“-Mantel. Er ist meine sanfte Rüstung, wenn ich | |
| mal wieder an einem katastrophalen Neubauprojekt vorbeilaufe und mir die | |
| soziale Kälte aus jeder Ecke entgegenschlägt. | |
| Im Übrigen ist auch Schlafen Widerstand. Bevorzugt in frisch gewaschener | |
| Bettwäsche unter selbst aufgeklebten Neonsternen an der Wand. Ausgeruht | |
| lässt es sich schließlich viel besser für unsere Rechte kämpfen. Denn eins | |
| ist klar, wir werden uns ganz sicher nicht durch eine rückwärtsgewandte | |
| Politik in die 50er Jahre zurückbugsieren lassen. | |
| ## Ein Lachanfall ist die beste Medizin | |
| Aber wo findet man neue Inspiration, um das Patriarchat zu demontieren? | |
| In der Literatur u. a. bei Virginia Woolf und Deborah Levy und im Theater | |
| bei Florentina Holzinger und Falk Richter. Und wenn wir schon dabei sind: | |
| Politisch gibt mir Heidi Reichinnek Hoffnung. Sie hat die Dinge auf den | |
| Punkt gebracht. | |
| Apropos Notfallkit: Ein anderes Täschchen war die Papiertüte, in die ich | |
| neulich gekotzt habe. Es war der vorgezogene Kommentar meines Körpers zum | |
| Wahlausgang. Alles in mir wehrt sich gegen den konservativen Backlash und | |
| eine extreme Rechte als zweitstärkste Fraktion im Bundestag. | |
| Normalerweise bespreche ich so etwas ja mit meiner Schwester, aber die ist | |
| gerade nicht da. Mit ihr kommt es während unserer Gipfeltreffen auch immer | |
| mal wieder vor, dass wir in schallendes Gelächter ausbrechen. Und genau das | |
| ist es, was ich jetzt brauche. Denn ein Lachanfall ist die beste Medizin in | |
| widrigen Zeiten. Er katapultiert die Angst aus dem System. | |
| 28 Feb 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anna Fastabend | |
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