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# taz.de -- Tabubruch der CDU: Einst eine Partei mit Werten
> Der Vater unserer Autorin war fast sein ganzes Leben lang in der CDU. An
> seinem Todestag paktierte sie mit der AfD. Ob er sie heute wieder wählen
> würde?
Bild: Längst außer Sicht und nicht mehr aufzufinden, die Werte der CDU
Der Tag, an dem [1][Friedrich Merz mit der AfD paktiert], ist der Todestag
meines Vaters. Während sich die Politiker*innen im Bundestag die Köpfe
heiß reden, besucht meine Mutter ihn im Friedwald. Drei Jahre ist er nun
schon tot. Drei Jahre, in denen die Welt eine andere geworden ist. Der
Ukrainekrieg, Israel-Gaza, Trumps Wiederwahl, die Implosion der Ampel, das
Aufbegehren der Rechten, die neue Niedertracht: Manchmal kann ich es selbst
kaum glauben.
Dann muss ich mich kurz sammeln oder mit etwas ablenken, um nicht komplett
die Krise zu kriegen. Und immer öfter frage ich mich: Papa, was denkst du
zu all dem? Vor allem jetzt, wo der Kanzlerkandidat deiner alten Partei
einen solchen Tabubruch begangen hat.
Ihr müsst wissen, mein Vater war fast sein ganzes Leben lang in der CDU. In
seinem Heimatort gründete er die Junge Union mit. Später kandidierte er auf
der kommunalen Ebene für die Christdemokraten. Schon der Vater meines
Vaters war CDU-Mitglied und Katholik. Während andere ihren ersten Joint
rauchten, musste mein Vater das Weihrauchfass schwenken. Er war nicht gerne
Messdiener und rebellierte mit schlechten Noten.
Dann aber richtete er sich im konservativen Milieu häuslich ein: Jura,
Heiraten, vier Kinder, eine mehr oder weniger traditionelle
Rollenverteilung. Als Mann und Familienoberhaupt lebte es sich so ganz
famos. Für mich als Tochter eher weniger. Die kulturelle Eintönigkeit, das
Frauenbild, mit der Zeit wurde ich für meinen Vater zur
„Gleichstellungsbeauftragten“.
## Die CDU war mein stabiler Kratzbaum
Als ich zur taz ging, sagte er: „Wenn du bei diesem linksradikalen Blatt
anfängst, wird es womöglich einmal schwierig für dich sein.“ Damals habe
ich darüber gelacht. Mittlerweile schleicht sich bei mir das Gefühl ein,
dass etwas daran wahr werden könnte.
Wisst ihr, die CDU war nie meine Partei, zu altmodisch, zu bieder, zu
unfrei. Trotzdem war sie zu Lebzeiten meines Vaters so etwas wie ein
stabiler Kratzbaum für mich. Ich arbeitete mich an ihr ab, aber es war
okay, dass sie da war.
Denn die CDU, so wie mein Vater sie mir vorlebte, war zwar antiquiert, aber
sie stand im Gegensatz zu heute [2][für ein wertebasiertes], soziales und,
ja, auch umweltfreundliches Miteinander. Mein Vater war mit uns Kindern
Müll sammeln am See und bei den Sommerfesten der Lebenshilfe. Als Anwalt
kümmerte er sich um Menschen aus allen Gesellschaftsschichten und
Umfeldern. Neoliberale Positionen fand er entsetzlich und die FDP
bezeichnete er als einen Haufen Opportunisten. Nie werde ich vergessen,
dass er mir einmal erklärte, wie wichtig die Antifa sei. „Weißt du, Anna“,
sagte er, „es muss ein Gegengewicht geben, sonst funktioniert es nicht.“
Zufällig sahen sich Friedrich Merz und mein Vater ein wenig ähnlich. Als
ich ihn eines Tages auf seinen Parteikollegen ansprach, zeigte er deutlich,
dass er nicht viel von Merz hielt. Diese „Flachpfeife“ war sein schönstes
Schimpfwort.
## Aus Unmut ausgetreten
Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie es sich anfühlte, als mein
Vater 2001 auf Wahlkampftour ging. Da hieß es dann für mich, gegenüber der
Lokalpresse zu grinsen, obwohl mir danach nicht zumute war, und mit dem
Wahlkampfbus von der Schule abgeholt zu werden, obwohl ich das peinlich
fand.
Draußen auf Plakaten strahlte das Konterfei meines Vaters mit der Sonne um
die Wette, drinnen saß er hinter dem Steuer. Fluchend, oberkörperfrei.
Viele Jahre später trat er aus Unmut über seinen Landesverband aus der CDU
aus. Ob er sie danach noch mal gewählt hat, keine Ahnung. Aber jetzt
würdest du es nicht mehr machen, oder Papa?
14 Feb 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Anna Fastabend
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