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# taz.de -- Rauchen und schwitzen in Wien: Teddy sucht Utopie
> Wenn die Dragqueen ruft „You are not in Austria anymore“, dann ist unsere
> Kolumnistin am genau richtigen Ort in Wien. So macht Widerstand Spaß.
Bild: So schön kann Sozialstaat sein: Amalienbad in Wien
Ich mute mir in letzter Zeit ein bisschen viel zu. Da ist die allgemeine
Weltlage, und dann halse ich mir auch noch einen kostspieligen
Fitnessstudiovertrag auf. Ich sag nur „Hot Iron“ und fünf Tage Muskelkater,
dabei habe ich lächerliche 2,5 Kilo auf jeder Seite der Hantelstange.
Körperlich kämpfe ich gerade also, geistig leider auch: Neben dem
Krafttraining stehen aktuell nämlich einige Schwergewichte der Kritischen
Theorie auf dem Programm, um besser zu verstehen, inwiefern Superreiche
beim Rechtsruck mitwirken.
Vielleicht spielt die allgemeine Überforderung auch eine Rolle bei meinem
kleinen Ausraster in Wien. Ich fühle mich von A. kritisiert und trete
daraufhin dreimal gegen einen Betonpfeiler, und weil das nicht hilft,
lauere ich einem Woolrichjacke-tragenden Studenten vor dem
Zigarettenautomaten auf. Der Student schenkt mir statt einer gleich zwei
seiner Camel Blue, vermutlich sehe ich in meinem abgeschraddelten
Teddymantel so aus, als ob ich sie gut gebrauchen könnte, und das tue ich
auch. Nichts löst meine Wut so schnell in Luft auf wie [1][das gute alte
Nikotin.] Blöd nur, dass ich eigentlich gerade wieder Nichtraucherin bin.
Am nächsten Morgen haben A. und ich uns dann aber sowieso wieder lieb, wäre
also alles gar nicht nötig gewesen. Oder es war gerade wichtig, denn wir
müssen uns beziehungstechnisch noch ein bisschen einruckeln.
Auch [2][in Sachen Sauna] ist das so. A. liebt es, mit vielen anderen
nackten Menschen gemeinsam zu schwitzen, ich bin da etwas zurückhaltender.
Bei meinem jetzigen Besuch schleppt er mich in den Saunabereich des
Amalienbads. Es gilt als Paradebeispiel für das Rote Wien und als
Wellnesstempel von Stefanie Sargnagel, wie sie [3][in der WOZ] schrieb. Für
Sargnagel ist das Amalienbad gelebte Utopie. Hier darf man erstens nackt
sein, was bei der Errichtung des Bades in den Zwanzigern alles andere als
selbstverständlich war. Und sich zweitens für wenig Geld erholen, womit
sich erstmals auch Menschen aus dem Arbeiter*innenmilieu einen
solchen Luxus leisten konnten.
## Dem Markt zum Fraß vorgeworfen
Das wirkt in Zeiten von prekärer Arbeit und Sozialabbau tatsächlich fast
wie ein revolutionärer Akt. Oder könnt ihr euch an viele neu gebaute
Stadtbäder erinnern? Ich nicht – stattdessen denke ich an
Haushaltskürzungen, aber ich komme ja auch aus Berlin, wo die öffentliche
Infrastruktur kaputtgespart und dem Markt zum Fraß vorgeworfen wird.
Deshalb feiere ich vermutlich auch das Flucc so, einen Club am Praterstern,
der als eines der längsten Zwischennutzungsprojekte in Wien gilt. Er
besteht aus einer Vielzahl von Baucontainern, die nach und nach erweitert
wurden. Die größte Tanzfläche befindet sich jedoch unter der Straße, in
einer ehemaligen Unterführung.
A. und ich entscheiden uns in dieser Nacht aber erst mal für das obere
Stockwerk, dort findet die queere Party „Kissen“ statt. Als wir den Raum
betreten, läuft gerade eine Dragshow. „You are not in Austria anymore“,
ruft die Dragqueen, und spielt damit vermutlich auf die für Österreich
drohende blau-schwarze Koalition an, die Menge johlt. Um uns herum queere
Menschen jeden Alters. Sie haben sich die Haare abrasiert oder Bärte
aufgeklebt, tragen breitschultrige Blazer und kurze Lederröcke und bejubeln
nun den einzigen Dragking der Performance, während der sich einen
Luftballonpimmel aufbläst.
Wir tanzen ausgelassen zu fröhlichen Afrobeats – und plötzlich fragt A.:
„Hörst du, was die Frau singt?“ Ich schüttele den Kopf.
„W-I-D-E-R-S-T-A-N-D!“
31 Jan 2025
## LINKS
[1] /Suchtmittel-in-Deutschland/!6062252
[2] /berliner-szenen/!6058852&s/
[3] https://www.woz.ch/2401/baden-im-luxus/rundherum-flaezende-koerper/!B3D2NAW…
## AUTOREN
Anna Fastabend
## TAGS
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