# taz.de -- Weihnachten mit der Familie: Wir waren uns das größte Fest | |
> Ein abgebissener Christkindkopf, Knutschen mit Polizist*innen, | |
> Brandsorgen. Weihnachten war bei der Autorin stets eine Zumutung, aber | |
> kurzweilig. | |
Bild: Freut Ihr Euch schon auf Weihnachten? | |
[1][Bald ist Weihnachten]. Freut ihr euch schon? Ich nicht so (Sorry, Mami, | |
aber du würdest an den Feiertagen vermutlich auch lieber auf dem Hochsitz | |
chillen, als mit uns Wildgulasch zu essen). Dabei verstehen wir uns in der | |
Familie meistens prima – das ist es also nicht. Vielmehr existierte meine | |
Weihnachtsphobie schon, da konnte ich das Wort „Weihnachten“ noch gar nicht | |
richtig aussprechen. Den Familienchroniken zufolge soll sie erstmals auf | |
dem Weihnachtsmarkt zum Vorschein gekommen sein, als ein Typ mit überlanger | |
Gesichtsmähne sich vor mir aufbaute. Ich schrie angeblich wie am Spieß und | |
von dem Tag an brachte bei uns nicht der Weihnachtsmann, sondern das | |
Christkind die Geschenke. | |
Armes Christkind, by the way. Gerade erst auf der Welt, musste es für meine | |
nimmersatten drei Geschwister und mich Baby Born und Plastikgaragen von | |
Mattel durch den Kamin wuchten, obwohl meine Mutter doch viel lieber das | |
gute alte Holzspielzeug unter dem Weihnachtsbaum gesehen hätte. Eines | |
Heiligabends wurde das Christkind dann tragischerweise von einem unserer | |
Hunde angefressen, und so liegt es seitdem kopflos in seiner Krippe. | |
Viele Jahre unter einem Baum, der nostalgische Christenmenschen in | |
Entzücken versetzt hätte mit seinen echten roten Kerzen und den hübschen | |
Strohsternen, bis er von meinen Eltern irgendwann in einen | |
Coca-Cola-Christmas-Dream transformiert wurde, an dem überdimensionale | |
Schleifen zwischen eisiger LED-Beleuchtung hingen. Man wollte | |
wahrscheinlich mit der Zeit gehen und war es überdies auch leid, jedes Mal | |
Todesängste auszustehen, wenn ungeduldige Kinderhände mit Geschenkpapier um | |
sich warfen, das doch allzu leicht in Flammen aufgeht. | |
Zum Glück waren meine Geschwister und ich irgendwann so alt, dass wir auch | |
vor unseren Eltern bechern durften, und so verwandelten wir die besinnliche | |
Zeit in ein „Feliz Navidad“-schallendes Besäufnis, das mit einem Crémant | |
aus Kristallgläsern begann und regelmäßig im Rotlichtviertel unserer Stadt | |
endete, wo wir lauwarme Tutschis tranken, mit Polizist*innen | |
rumknutschten und Kuscheltiere aus Kiosken klauten. Wäre ich an der Stelle | |
meiner Eltern gewesen, ich hätte uns zur Adoption freigegeben. | |
## Wir waren uns das größte Fest | |
Wir aber waren uns das größte Fest, das spätestens mit dem Tod meines | |
Vaters ausgefeiert war. Nun ist das Elternhaus verkauft, meine Geschwister | |
haben Familien gegründet und ich mir eine Monstera zugelegt (Wish me | |
luck!). Darüber hinaus Pandemie, Kriege, [2][Klimawandel], [3][Rechtsruck], | |
Inflation. Da kann man als westdeutscher Provinz-Millennial schon mal | |
sagen, dass manches früher einfach geiler war – manches! Für wenige. | |
Aber jetzt sind wir in den Sandwichjahren, in denen wir uns selbst um | |
multiple Krisen, die eigenen Eltern, Kinder, Rechnungen und Zimmerpflanzen | |
kümmern und dabei aufpassen müssen, dass es uns nicht so ergeht wie der | |
traurigen Scheibe Tomate. Ein herzhafter Biss vom Leben und schon ist man | |
abgeschmiert. Wobei: Besser runterplumpsen, als vom Stress verdaut werden, | |
sag ich immer, bis ich tödlich beleidigt beim nächsten Weihnachtsessen | |
sitze, weil sich auf dem Land wieder mal niemand für meine | |
Held*innentaten im Großstadtdschungel interessiert. Mit anderen Worten: | |
Auf Familie treffen ist eine Zumutung, aber zumindest in meinem Fall auch | |
ein Quell nicht versiegender Geschichten. | |
Bin schon gespannt, wer dieses Jahr den Vogel abschießt. | |
25 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Anna Fastabend | |
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