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# taz.de -- Abitreffen: Wie Nachhausekommen
> Unsere Autorin fuhr aus Neugier zum Abitreffen mit „Bravo“-Hits und
> Kleinem Feigling – und trägt seitdem ein wärmendes Gefühl mit sich herum.
Bild: 20-Jahre-Abitreffen! Feiern oder verweigern?
Kürzlich flattert eine Einladung ins Postfach: 20-Jahre-Abitreffen! Bei
Kleinem Feigling und Bravo-Hits will man sich an alte Zeiten erinnern.
„Mich würden da keine zehn Pferde hinkriegen“, sagt eine Kollegin – aber
wenn ich Lust drauf habe, wird’s bestimmt super. Lust? Na ja. Neugier
trifft es eher, und so fahre ich [1][zwei Tage vor Weihnachten] Richtung
alte Heimat.
Ein Glück, habe ich hier damals den Absprung geschafft, denke ich, als ich
mir einen Weg durch die übervolle Fußgängerzone bahne. Triste
50er-Jahre-Bauten, Pferdeäpfel von der berittenen Polizei am Boden, ein
paar Meter weiter dreht sich wie jedes Jahr die hässliche Holzpyramide,
die zugleich Glühweinstand ist.
Ich habe mich mit einer alten Freundin in der Innenstadt verabredet, um
gemeinsam zum Abitreffen zu gehen. Wir mögen uns, obwohl wir mittlerweile
grundverschieden sind. Von unserer politischen Einstellung her, aber auch
outfittechnisch. Während sie sich gerne im Old Money Style kleidet, habe
ich mich mal wieder für existenzialistisches Schwarz entschieden. Der
Subtext: Hey Leute, ich habe zwar keine Kohle, dafür bin ich Kosmopolitin
geworden. Nun ja …
Das Treffen findet in einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt in unserer
ehemaligen Ausgehgegend statt. Ein alter Schulfreund hat das Projekt
initiiert, ein anderer ist samt Familie dazugezogen. Als Freundin W. und
ich ankommen, räumen die beiden Männer gerade das Kinderspielzeug weg. Alle
haben etwas mitgebracht: Bier, Limo, aber auch abgelaufene Chips, die mit
einer speziellen App „gerettet“ wurden.
Ich halte mich an den Crémant von W. Er ist das beste Getränk am Tisch. Ich
bin ein bisschen aufgeregt. Immerhin sitze ich hier mit Leuten zusammen,
die ich zum Teil seit dem Abitur nicht mehr gesehen habe. A. sieht viel
besser aus als früher. C. ist immer noch so süß und schlau wie eh und je.
Gut, vielleicht haben wir alle ein paar Falten und graue Haare bekommen,
aber ich erkenne jede*n Einzelne*n wieder, selbst die, die ich komplett
vergessen hatte.
## Wir trinken, wir rauchen, wir kiffen
Unsere Gespräche drehen sich erst mal um Biografisches: wer was studiert
hat; wo wer arbeitet; [2][wie viele Kinder]; Wohnort; blabla. Einer ist
Unternehmensfotograf geworden, eine andere hat das Landesverdienstkreuz
gekriegt. Auffällig ist die Piercingdichte und dass fast alle einen Ehering
tragen. Die Themen reichen von Vasektomie bis Mülltrennung. „Hast du dir
schon Gedanken um deine Altersvorsorge gemacht?“ – „Geht so …“ Das
Stichwort: „Meditation“ fällt erstaunlich oft.
Doch wir schwelgen auch in Erinnerungen: „Wisst ihr noch die Klassenfahrt,
als B. einfach in unser Zimmer gepinkelt hat?“ Gelächter. Wir googeln F.,
in den damals alle verliebt waren, und stellen fest, wie viel Spaß wir
früher hatten: auf der Obstbaumwiese, im Jugendzentrum, bei den legendären
Brinker-Partys. W. fragt: „Was ist eigentlich aus unserer Bier-Bong
geworden?“ Wir blättern im Abibuch. Lästern.
Wir trinken, wir rauchen, wir kiffen. Dann darf sich jede*r einen Song
aussuchen. Die besten kommen von Z. Er liebte schon immer den
90er-Jahre-Techno, und jetzt hüpft und hüpft und hüpft er und ich hüpfe
mit. Es ist weit nach Mitternacht, als wir uns zum Abschied umarmen und
versprechen, dass wir uns bald wiedersehen. Ob es wirklich dazu kommt:
ungewiss. Trotzdem trage ich seitdem ein wärmendes Gefühl mit mir herum.
Nicht, weil dieses Treffen besonders spektakulär gewesen wäre. Aber es
fühlte sich wie Nachhausekommen an.
3 Jan 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Anna Fastabend
## TAGS
Kolumne Midlife Monologe
Abitur
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Freundschaft
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