Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Fragen und Antworten zur Kernkraft: Atomkraft? Wie bitte?
> Die Union will abgeschaltete Atomkraftwerke einfach wieder anknipsen.
> Warum sich das leicht sagen, aber kaum umsetzen lässt.
Bild: Kühltürme des stillgelegten Atomkraftwerks Philippsburg fallen nach der…
Worum geht es?
Aus der derzeitigen Opposition im Bundestag werden Stimmen laut, die das
Abschalten der letzten drei deutschen Atomkraftwerke im April 2023 als
„eine ideologisch motivierte Fehlentscheidung“ bezeichnen. So steht es zum
Beispiel [1][in der „Neuen Energie-Agenda für Deutschland“], einem
Diskussionsentwurf der CDU/CSU-Fraktion. Die Union strebt nun
„schnellstmöglich eine fachliche Bestandsaufnahme“ an, um zu ermitteln, �…
angesichts des jeweiligen Rückbau-Stadiums eine Wiederaufnahme des Betriebs
der zuletzt abgeschalteten Kernkraftwerke unter vertretbarem technischem
und finanziellem Aufwand noch möglich ist“. Die Kernkraft soll der Union
zufolge helfen, Deutschland zum „klimaneutralen Industrieland“ zu machen.
Stehen die abgeschalteten Atomkraftwerke noch?
Isar 2 nahe Landshut in Niederbayern zählt zu den drei im April 2023
stillgelegten Reaktoren. Während der bayerische Ministerpräsident Markus
Söder (CSU) [2][wiederholt erklärte, das Atomkraftwerk wieder in Betrieb
nehmen zu wollen], teilt die Betreiberfirma PreussenElektra (PEL) auf
Anfrage mit, an dem Standort sei „im ersten Rückbaujahr mehr geschehen als
in jeder anderen PEL-Anlage zuvor“.
Am Block 2 in Neckarwestheim wurde laut Betreiber EnBW im Sommer 2024 mit
den ersten größeren Rückbaumaßnahmen begonnen. Ziemlich am Anfang des
Prozesses steht noch der Reaktor Emsland von RWE. Auch die schon früher
abgeschalteten Atomkraftwerke werden demontiert. So ist das PEL-Kraftwerk
Grohnde in Niedersachsen seit Januar 2024 im Rückbau. Im RWE-Reaktor
Gundremmingen C in Bayern wurde der innere Teil des Kühlturms abgebaut,
auch die Generatoren wurden schon demontiert. Im baden-württembergischen
Philippsburg sprengte EnBW bereits im Mai 2020 die beiden Kühltürme. Am
wenigsten passiert ist bisher im PEL-Kraftwerk Brokdorf,
Schleswig-Holstein, wo erst im Dezember der Rückbau begann.
Könnte man einzelne Reaktorblöcke wieder anschalten?
„Rein technisch“, sagt Sven Dokter, Sprecher der Gesellschaft für Anlagen-
und Reaktorsicherheit (GRS), sei eine Wiederinbetriebnahme zwar möglich,
doch sei ein solcher Schritt „je nach Fortschritt des Rückbaus zeitlich und
finanziell sehr aufwendig“. Da bei jedem Reaktor der Rückbau der
Komponenten einem individuellen Ablaufplan folgt, brächte die
Rückabwicklung des Rückbaus je nach Anlage sehr unterschiedliche
Herausforderungen.
Ein Problem könnte zum Beispiel darin bestehen, dass neue technische
Komponenten an Orten eingebaut werden müssten, an denen – anders als bei
einem Neubau – durch den langjährigen Betrieb hohe Strahlung herrscht. Das
ginge an manchen Stellen nur mit ferngesteuerten Robotern, was die Kosten
erheblich treiben dürfte. Es gibt für ein Kernkraftwerk auch ein
definitives Ende: Spätestens, wenn die Zerlegung des Reaktordruckbehälters
begonnen hat, ist es unwiderruflich vorbei mit der betreffenden Anlage.
Einen neuen Reaktordruckbehälter, der bei Neubauten stets im Rohbau
platziert wird, wird man nämlich nicht mehr in eine bestehende
Kraftwerksanlage einbauen können.
Was passiert, falls die nächste Regierung den Weiterbetrieb zulässt?
Durch diesen Schritt alleine wohl gar nichts. Es gilt als ausgeschlossen,
dass einer der drei Betreiber von sich aus das unternehmerische Risiko
eingehen würde, den Rückbauprozess umzukehren. Denn es wäre auch bei einer
atomkraftfreundlichen Regierung die Unsicherheit zu groß, dass nach wenigen
Jahren das Pendel doch wieder in die andere Richtung ausschlägt. Solche
Risiken will kein Unternehmen tragen, das langfristige Investitionen
tätigt.
Was sagen die Unternehmen?
Auf die Anfrage, welche Auswirkungen eine angenommene Änderung des
Atomgesetzes auf den Rückbau der eigenen Anlagen hätte, teilt
PreussenElektra mit, man beschäftige sich nicht „mit derartigen
Gedankenspielen“: „Wir fokussieren uns ausschließlich darauf, unsere
Kraftwerke gemäß den gesetzlichen Vorgaben schnell und sicher
zurückzubauen.“ Auch die beiden anderen Konzerne haben sich in den letzten
Wochen öffentlich von solchen Gedanken distanziert.
Der RWE-Vorstandsvorsitzende Markus Krebber wurde im Handelsblatt mit den
Worten zitiert: „Wir sind hierzulande über den Punkt hinaus, an dem wir
abgeschaltete Atomkraftwerke wieder zurück ans Netz bringen sollten.“
EnBW-Kernkraftchef Jörg Michels sagte vor wenigen Wochen: „Der
Rückbaustatus unserer fünf Kernkraftwerke ist praktisch gesehen
irreversibel.“ Ein EnBW-Sprecher ergänzte nun auf Anfrage: „Eine
hypothetische Änderung des Atomgesetzes hätte keinen Einfluss auf den
Rückbau der EnBW-Kernkraftwerke.“
Rechnet sich eine Reaktivierung?
Nein – es sei denn, der Staat würde Kosten übernehmen und auch alle
finanziellen Risiken der Betreiber absichern. Das aber ist kaum
realistisch, zumal diese Garantien sehr umfassend sein müssten, weil auch
von den künftigen Strommärkten finanzielle Risiken für den Betrieb von
Atomkraftwerken ausgehen. Es wird immer mehr Stunden geben, in denen wegen
der Photovoltaik oder der Windkraft die Strompreise im Großhandel bei null
oder darunter liegen. Deshalb dürften flexible Kraftwerke, die kurzfristig
je nach Bedarf einspringen können, künftig wirtschaftlich im Vorteil sein
gegenüber Grundlastkraftwerken, die auf den Dauerbetrieb ausgelegt sind.
Wie lange würde es dauern, alte Reaktoren wieder herzurichten?
Unklar, aber in jedem Fall viele Jahre. Denn sobald der Rückbau begonnen
hat, ist für die betreffende Anlage die Betriebsgenehmigung erloschen und
kann nicht wieder in Kraft gesetzt werden. Die Genehmigung müsste also neu
beantragt werden, wobei Klagen wahrscheinlich sind. Damit würden aber die
Firmen, wie auch die Genehmigungsbehörden juristisches Neuland betreten.
Wahrscheinlich ist, dass dann Grundsatzfragen das Genehmigungsverfahren zu
einem extrem langwierigen Prozess machen würden. Schon alleine die Frage,
an welchen Stellen des Verfahrens man das aktuelle Regelwerk heranzieht und
wo vielleicht noch Regelungen aus der Bauzeit angewandt werden können,
dürfte zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen. Zumal es auch
international keinen Fall gibt, bei dem ein bereits im Rückbau befindlicher
Reaktor nochmal zurück ans Netz gebracht wurde.
Was ist an den alten Standorten geplant?
Bekannt wurden vor allem zwei Projekte: In Brokdorf prüft PreussenElektra
gemeinsam mit Eon die Errichtung eines großen Batteriespeichers. Er soll
nach aktuellen Plänen in zwei Stufen auf bis zu 800 Megawatt Leistung und
mit einer Speicherkapazität von 1.600 Megawattstunden ausgebaut werden. Er
wäre damit nach Angaben von PEL der bislang größte Batteriespeicher in der
EU. „Unter Berücksichtigung aller Interessen und der bestehenden
Infrastruktur vor Ort ist ein Batteriespeicher derzeit die nachhaltigste
Weiterentwicklung des Areals“, sagt das Unternehmen.
Unterdessen hat der Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW auf dem Gelände
des früheren AKW Philippsburg [3][mit dem Bau einer Station für die
Übertragungsleitung Ultranet begonnen]. Sie soll künftig 2.000 Megawatt aus
Nordrhein-Westfalen nach Baden-Württemberg bringen. Eine solche
Konverterstation für ein Hochspannungsgleichstromübertragungskabel benötigt
eine Fläche von 100.000 Quadratmetern. Um für dieses Projekt zügig Platz zu
schaffen, hatte EnBW bald nach Abschaltung des zweiten Blocks die Kühltürme
gesprengt.
10 Jan 2025
## LINKS
[1] https://www.cducsu.de/sites/default/files/2024-11/241104_Diskussionspapier_…
[2] https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/soeder-akw-isar-bayern-a…
[3] /Atomkraftwerk-Philippsburg-stillgelegt/!5648972
## AUTOREN
Bernward Janzing
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
Klima
CDU/CSU
Social-Auswahl
Schwerpunkt Atomkraft
wochentaz
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Atomkraftwerk
Bündnis 90/Die Grünen
Atommüll
Schwerpunkt Atomkraft
Lesestück Recherche und Reportage
## ARTIKEL ZUM THEMA
Debatte um Risikotechnologie: Dänemarks Opposition will Atomkraft-Verbot kippen
Auch Teile der Regierung zeigen sich dafür offen. Die Energiebehörde sagt
aber: Das Land schafft die Energiewende auch ohne AKW.
50 Jahre „Atomkraft? Nein Danke“: „Wir wollten ein Symbol, das vereint“
Vor 50 Jahren entwarf die Dänin Anne Lund das „Atomkraft? Nein Danke“-Logo.
Das Symbol wurde oft abgewandelt. Im Sinne der Erfinderin ist das nicht.
Atomkraft in der Ukraine: Kyjiw kauft Reaktoren aus zweiter Hand
Im Chmelnizki soll das größte Atomkraftwerk Europas entstehen – mit zwei
Reaktoren aus Bulgarien. Experten warnen vor technischen Herausforderungen.
Ministerin sagt im Ausschuss aus: Abschalten war für nukleare Sicherheit „ni…
Bundesumweltministerin Steffi Lemke verteidigt im Untersuchungsausschuss
zum Atomausstieg das Abschalten der letzten deutschen AKWs im Jahr 2023.
Streit um neue Castor-Transporte: Grüner Minister zieht Notbremse
Erst in letzter Minute verhinderte NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer
Vorarbeiten für Castor-Transporte. Dafür gab es Kritik von
AKW-Gegner:innen.
Umstrittene Castor-Transporte aus Jülich: Gericht erlaubt mehr Atommüll in Ah…
152 Castor-Behälter sollen in Nordrhein-Westfalen umgelagert werden.
Dagegen hatten die Zielstadt Ahaus und einer ihrer Bürger geklagt – ohne
Erfolg.
Rückkehr zur Atomkraft: Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Die Regierung Meloni will wieder in die Atomenergie einsteigen. Die
Voraussetzungen sollen bis Ende des Jahres geschaffen sein.
Leben in der Evakuierungszone: Kinder der Kernkraft
Am Silvesterabend wird der letzte Block des AKW Gundremmingen abgeschaltet.
Erinnerungen an eine Jugend im Schatten der Kühltürme.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.