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# taz.de -- Open-Source-Intelligence bei der Polizei: Fahndung im Datenmeer
> Die Polizeigewerkschaft GdP will frei zugängliche Informationen wie
> Social-Media-Posts stärker nutzen. Fachleute sehen Grundrechte in Gefahr.
Bild: Daniela Klette auf dem Weg in den Knast: Ihre Festnahme hat die Diskussio…
Berlin taz | 30 Minuten brauchte ein investigativer Journalist für das, was
der Polizei in 30 Jahren nicht gelungen war: die untergetauchte
[1][RAF]-Verdächtige Daniela Klette aufzuspüren. Mithilfe einer öffentlich
verfügbaren Software zur Bilderkennung durchforstete er das Internet nach
Gesichtern, die dem alten Fahndungsfoto von Klette ähneln. Und [2][stieß
rasch auf eine „Claudia Ivone“ aus Kreuzberg], die gerne Capoeira tanzt und
Ausflüge ins Grüne unternimmt.
Volltreffer. Tatsächlich handelte es sich bei „Claudia“ um Daniela Klette,
die ein anscheinend sorgloses Leben mitten in Berlin führte und sogar Fotos
von sich in sozialen Netzwerken veröffentlichte. Wenige Wochen später, im
Februar 2024, stand die Polizei bei Klette vor der Tür, die 66-Jährige
[3][sitzt seitdem in Untersuchungshaft].
Der Journalist [4][beteuert, keine Informationen an die Polizei
weitergegeben zu haben]. Die Ermittler wiederum erklären, die Festnahme sei
letztlich nach einem „Hinweis aus der Bevölkerung“ erfolgt. In jedem Fall
aber zeigt die Causa Klette, dass die Polizei bei der Nutzung frei
verfügbarer Daten aus dem Internet weit hinterherhinkt.
Das soll sich in Berlin bald ändern, wenn es nach dem Landesverband der
Polizeigewerkschaft GdP geht. Die Lobbyorganisation fordert eine zentrale
Kompetenzstelle für sogenannte Open-Source-Intelligence (Osint) – also
genau jene Ermittlungen, die auf öffentlich einsehbaren
Social-Media-Postings, Instagram-Fotos, Youtube-Videos und ähnlichem
Material beruhen und oft auf leistungsfähige Algorithmen zur Auswertung und
Verknüpfung von großen Datenmengen zurückgreifen.
## Wie ein Geständnis über fehlende Expertise
„Es fehlt aus unserer Sicht noch immer an entsprechenden Strukturen, sowohl
was den Einsatz als auch das Ausbilden entsprechender Kompetenzen angeht“,
erklärt GdP-Landeschef Stephan Weh. Polizeiarbeit könne „enorm effizient“
gestaltet werden, wenn die Möglichkeiten von Osint-Techniken „bei
entsprechendem gesetzlichen Rahmen“ genutzt würden.
In einem am Dienstag veröffentlichten Positionspapier skizziert die GdP,
wie sie sich eine solche Einrichtung vorstellt. Das Schreiben liest sich in
Teilen wie ein Geständnis über fehlende Online-Expertise: „Wir reden noch
immer über Neuland, obwohl Internetrecherche längst polizeilicher Alltag
sein sollte“, heißt es darin.
Tatsächlich gibt es bei der Polizei Berlin bislang lediglich eine
Zentralstelle im Landeskriminalamt (LKA), die Osint-Techniken beherrscht.
Sie wird einzelfallbezogen zur Unterstützung bei Ermittlungen herangezogen,
stößt aber bei höheren Anforderungen wie Großereignissen schnell an ihre
Grenzen. In anderen deutschen Großstädten ist man da schon weiter. In
München, Dortmund und Osnabrück wurde bereits vor mehreren Jahren in einem
Pilotprojekt getestet, wie Osint-Daten in die tägliche Arbeit integriert
werden können.
Die GdP verlangt nun, dass Berlin auf dem Terrain aufholt. Die
Kompetenzstelle soll alle Osint-Vorhaben in Berlin koordinieren und dabei
auch Ordnungsämter und eine mögliche zukünftige Behörde für
Katastrophenschutz einbeziehen. Außerdem soll ein „professionelles Team“
von Analyst*innen aufgebaut werden, das Behörden etwa bei der Auswertung
von Posts in sozialen Medien während Großereignissen oder in
Katastrophenfällen unterstützt.
Dabei wird die Polizeigewerkschaft schon recht konkret. Auf der Wunschliste
stehen ein kleines Büro sowie „leistungsstarke Laptops, große Monitore und
freies und schnelles Internet“, aber auch die Beschaffung von
Analysesoftware.
Vasili Franco, Innenexperte der Berliner Grünen-Fraktion, begrüßt den
Vorstoß der GdP. „Grundsätzlich sehe ich in der Verwendung von Osint
deutlich mehr Chancen als Risiken“, sagt er am Dienstag zur taz. In den
Polizeiabschnitten sowie im LKA würden andauernd Delikte bearbeitet, bei
denen die kluge Osint-Anwendung einen Mehrwert bieten könnte, so Franco.
Wenn die Behörden frei zugängliche Informationen effektiver nutzen würden,
könnten sie zudem in vielen Fällen auf teure technische Systeme verzichten,
die sich teilweise am Rande der Verfassungswidrigkeit bewegten, betont der
Grünen-Politiker: „Wir [5][diskutieren immer wieder über die Ausweitung von
Befugnissen tief in grundrechtsrelevante Bereiche hinein]. Dabei wäre es
zielführender, zunächst mit Daten zu arbeiten, die ohnehin öffentlich
sind.“
Die konkrete Umsetzung müsse aber natürlich genau beobachtet werden: „Open
Source bedeutet nicht, dass die Polizei allerlei Software nach Belieben
verwenden darf.“
## Einsatz auch bei Asylverfahren?
Der Berliner GdP-Verband hofft unterdessen schon auf ein weiteres
Einsatzfeld der Technik: die Bearbeitung von Asylverfahren. „Wenn wir hier
grundsätzlich eine entsprechende Recherche als Standard etablieren, könnten
wir der Verschleierung wahrer Herkunft, dem Entziehen von Abschiebungen und
sogar einer möglichen Terrorbedrohung etwas entgegensetzen“, argumentiert
Landeschef Weh.
Für die Juristin Simone Ruf zeigt sich hier ein bekanntes Muster: „Wir
sehen immer wieder, dass Befugnisse zur Gefahrenabwehr auch gegen
Geflüchtete eingesetzt werden.“ Ruf arbeitet bei der [6][Gesellschaft für
Freiheitsrechte] unter anderem zum Thema staatliche Überwachung.
Der Nutzung von Open-Source-Intelligence steht sie grundsätzlich offen
gegenüber. „Geht es darum, in öffentlichen Quellen einfach mitzulesen, um
schnell reagieren zu können, ist das kein Problem“, sagt die Juristin der
taz. „Sobald aber eingriffsintensive Techniken wie biometrische
Gesichtserkennung oder künstliche Intelligenz für Datenanalysen eingesetzt
werden, sind wir in einem grundrechtsrelevanten Bereich, den wir sehr
kritisch sehen.“ Ohnehin brauche es dann eine differenzierte
Rechtsgrundlage.
Die gibt es bislang nicht. Auch das offenbart der Fall Daniela Klette. Denn
die bei der Recherche verwendete Bilderkennungssoftware ist rechtlich
umstritten. In einem [7][Beitrag im „Verfassungsblog]“ etwa heißt es,
selbst Privatpersonen würden bei der Nutzung des Tools gegen das
Datenschutzrecht und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
verstoßen: „Bereits die Datenerhebung, die private Nutzer:innen durch
die Bildsuche in Gang setzen, ist rechtswidrig.“ Die Polizei hätte
womöglich eine so gewonnene Information überhaupt nicht nutzen dürfen –
geschweige denn selbst auf solche Weise nach Klette fahnden.
21 Jan 2025
## LINKS
[1] /Rote-Armee-Fraktion-/-RAF/!t5012171
[2] /Festnahme-von-Daniela-Klette/!5992289
[3] /Anklage-gegen-Daniela-Klette-erhoben/!6047839
[4] /Rechercheur-ueber-Aufspueren-von-Klette/!5993206
[5] /CDU-Politiker-ueber-Polizeiarbeit/!5999437
[6] https://freiheitsrechte.org/
[7] https://verfassungsblog.de/pimeyes-user-auf-raf-spuren/
## AUTOREN
Hanno Fleckenstein
## TAGS
Gesichtserkennung
Open Source
Schwerpunkt Überwachung
Polizei Berlin
Rote Armee Fraktion / RAF
Biometrie
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
Gesichtserkennung
Rote Armee Fraktion / RAF
Rote Armee Fraktion / RAF
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