# taz.de -- Super Recognizer bei der Polizei Berlin: Claudia sieht alles | |
> Die Berliner Polizei will dauerhaft „Super Recognizer“ einsetzen: | |
> Menschen, die Gesichter besonders gut wiedererkennen. Sie sollen sogar KI | |
> überlegen sein. | |
Bild: Erkennt alle wieder, soll aber nicht erkannt werden: Polizistin „Claudi… | |
Berlin taz | „Claudia“ will nicht erkannt werden. Die Berliner Polizistin | |
sitzt am Mittwochvormittag zwar gut sichtbar auf dem Podium einer | |
Pressekonferenz der Polizei in Spandau, tritt aber nur unter ihrem | |
Decknamen auf. Und Fotos von ihrem Gesicht dürfen auf keinen Fall | |
unverpixelt veröffentlicht werden. | |
„Claudia“ selbst wiederum ist besonders gut darin, Gesichter | |
wiederzuerkennen: Sie ist eine sogenannte Super Recognizerin. Weil sie etwa | |
bei Großveranstaltungen Ausschau nach sogenannten Gefährdern hält, möchte | |
die Polizei verhindern, dass sie dort bemerkt wird. „Vielleicht hat ja auch | |
die Gegenseite Super Recognizer“, argwöhnt der stellvertretende Chef des | |
Berliner Landeskriminalamts (LKA), Stefan Redlich. | |
Super Recognizer sind Personen, die eine – nachweislich – | |
[1][überdurchschnittliche Fähigkeit zur Gesichtserkennung besitzen]. Auch | |
wenn sich die Frisur, der Haarwuchs oder die Gesichtsfülle verändert haben, | |
machen sie bereits bekannte Personen mit hoher Treffsicherheit auch in | |
größeren Gruppen, bei schlechter Beleuchtung oder auf verwackelten Fotos | |
aus. „Was ich sehe, das sehe ich“, sagt „Claudia“ dazu. Es sei ein | |
intuitiver, unbewusster Mechanismus: „Wir liegen eigentlich immer richtig.“ | |
Die Berliner Polizei möchte diese Fähigkeiten nutzen und richtet nun nach | |
zwei Jahren Probelauf dauerhaft eine Dienststelle im LKA mit fünf Super | |
Recognizern ein. Sie unterstützen die übrigen Dienstbereiche der Polizei | |
bei Ermittlungen und Einsätzen. | |
## Wenig Erkenntnisse über Erfolgsquote | |
Dabei geht es vor allem darum, Videoaufnahmen von Straftaten auszuwerten | |
und bekannte Personen zu identifizieren – oder zu entdecken, dass es sich | |
bei verschiedenen Taten um dieselbe Person handelt. Im Außeneinsatz suchen | |
die Spezialkräfte in Menschenmengen nach Personen, gegen die Auflagen | |
vorliegen. So waren sie etwa während der Fußball-EM 2024 am Eingang der | |
Fanzonen postiert und hielten Ausschau nach polizeibekannten Hooligans. | |
Das habe sich bewährt, bilanziert am Mittwoch Ann-Cathrin | |
Spranger-Rittmann, stellvertretende Dezernatsleiterin beim LKA, die an der | |
Entwicklung der neuen Einheit mitgewirkt hat. „Mit dem Einsatz von Super | |
Recognizern können wir Einsätze deutlich effizienter gestalten.“ Das zeige | |
auch die anhaltend hohe Nachfrage nach den Kolleg*innen: Im vergangenen | |
Jahr habe es durchschnittlich 94 Aufträge im Monat an die Dienststelle | |
gegeben. Von Ordnungswidrigkeiten bis hin zu Kapitaldelikten sei alles | |
dabei gewesen. | |
Der Effekt ihres Einsatzes ist dabei nur schwer messbar. Laut einer | |
[2][Senatsantwort auf eine Grünen-Anfrage] aus dem Jahr 2024 gilt jeder | |
abgeschlossene Auftrag als Erfolg: egal, ob dabei jemand identifiziert oder | |
Ähnlichkeit festgestellt wurden – oder potenzielle Tatverdächtige | |
ausgeschlossen wurden. | |
## „KI stellt keine Konkurrenz dar“ | |
Für Spranger-Rittmann steht dennoch fest, dass die Super Recognizer bei | |
Einsätzen mehr Nutzen für die Polizei haben als [3][Gesichtserkennung | |
mittels künstlicher Intelligenz (KI)]. „Bei operativen Einsatzlagen stellt | |
KI keine Konkurrenz dar für die Fähigkeiten der Super Recognizer“, so die | |
LKA-Beamtin. Das liegt allerdings nicht nur am Stand der Technik, sondern | |
auch an der derzeitigen Rechtslage, die anlasslose Videoüberwachung und | |
automatisierte Live-Auswertung verbietet. | |
Beim zweiten Einsatzbereich der Spezialkräfte, den Ermittlungen nach | |
Straftaten, ergänzen sie oft softwarebasierte Erkennungsverfahren. Letztere | |
sortieren vor allem Gesichter aus, die nicht gesucht werden, stoßen bei | |
Aufnahmen in schlechter Qualität aber früh an ihre Grenzen. | |
Dass es in der Hauptstadt jetzt die LKA-Dienststelle gibt, ist das Ergebnis | |
eines jahrelangen Forschungs- und Testzeitraums, in dem die Berliner | |
Polizei unter anderem eng mit der Schweizer Neurowissenschaftlerin Meike | |
Ramon zusammengearbeitet hat. Dabei ging es auch darum, valide Kriterien zu | |
entwickeln, nach denen Super Recognizer identifiziert werden können. | |
## Seitenhieb gegen die Konkurrenz | |
Auf das Ergebnis, den als eingetragene Marke geschützten Test „beSure“, ist | |
man ziemlich stolz. „Wir haben den weltweit einzigen wissenschaftlichen | |
Test mit authentischem Material aus erkennungsdienstlicher Behandlung und | |
Fahndung erarbeitet“, sagt Ramon am Mittwoch auf dem Podium. Bei der | |
Berliner Polizei haben ihn 1.500 Beamt*innen durchlaufen. 22 Super | |
Recognizer wurden identifiziert, darunter die fünf, die nun in der | |
Dienststelle arbeiten. | |
In Ramons Aussage verbirgt sich auch ein Seitenhieb gegen die Konkurrenz. | |
Denn auch in sechs weiteren Bundesländern – Nordrhein-Westfalen, Hessen, | |
Bayern, Sachsen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg – sowie der bei | |
Bundespolizei werden Super Recognizer eingesetzt. Eine [4][umfassende | |
taz-Recherche aus dem Jahr 2023] hat jedoch Zweifel an dem Auswahlverfahren | |
geweckt, das in den meisten Ländern angewendet wird – und damit auch an der | |
Eignung der Spezialkräfte. | |
Am Mittwoch erneuert Ramon ihre Kritik an dem Testverfahren in anderen | |
Bundesländern. Die Prozesse seien nicht veröffentlicht worden, es habe kein | |
Peer-Review-Verfahren gegeben; die Ergebnisse seien so nicht | |
reproduzierbar: „Wesentliche Kernaspekte der Wissenschaft sind in diesem | |
Verfahren nicht gegeben“, so die Forscherin. | |
Derzeit arbeiten Ramon und ihr Team an einer Neuauflage des Tests, damit | |
dieser auch für andere Bundesländer einsetzbar ist; bislang sei das aus | |
datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich. Die Polizei NRW habe großes | |
Interesse, auch in Rheinland-Pfalz gab es in der Vergangenheit eine | |
Kooperation mit der Wissenschaftlerin. | |
Unterdessen sei weitere Forschung zu den Fähigkeiten und Grenzen von Super | |
Recognizern notwendig, betont Ramon. Wenig bekannt ist etwa über den | |
sogenannten Other-Ethnicity-Effekt. Demnach funktioniert die Erkennung | |
besser, je vertrauter Gesichtszüge sind: Weiße erkennen am besten Weiße. | |
Doch dazu gibt es bislang erst zwei Studien, deren Ergebnisse sich | |
widersprechen. | |
Mitarbeit: Katharina Andresen | |
18 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Hype-um-Super-Recognizer/!5948941 | |
[2] https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-19… | |
[3] /Berlin-nutzt-Gesichtserkennungssoftware/!6028107 | |
[4] /Hype-um-Super-Recognizer/!5948941 | |
## AUTOREN | |
Hanno Fleckenstein | |
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