# taz.de -- Hype um Super Recognizer: Die Menschen mit dem Superblick | |
> Großes erwarten Polizei, Politik und Medien von „Super Recognizern“, | |
> die besonders gut Gesichter wiedererkennen. Begründet ist das nur zum | |
> Teil. | |
Ein diffuses Unwohlsein beschleicht die sächsische Landtagsabgeordnete | |
Juliane Nagel, wenn sie über sogenannte [1][„Super Recognizer“ bei der | |
Polizei] liest. Das sind Menschen, die ein besonderes Gespür für Gesichter | |
haben: Sie können sich sehr lange an sie erinnern, auch nach flüchtigem | |
Kontakt. Oder wissen sofort, ob es sich um ein- und dieselbe Person | |
handelt, von der sie vielleicht nur ein unscharfes Foto gesehen haben, und | |
die sich stark verändert hat. | |
Super Recognizer hatten in den vergangenen Monaten Hochkonjunktur, unter | |
anderem wegen eines [2][Fernseh-„Tatort“ im April], in dem eine Super | |
Recognizerin einen Mörder finden sollte. Zudem haben mehrere Bundesländer | |
angekündigt, verstärkt auf dieses Fahndungstool setzen zu wollen, darunter | |
Sachsen. | |
Wie das funktioniert, bleibt in den Medienberichten oft nebulös. Manchmal | |
klingt es, als hätten sich die Journalist:innen [3][in eine Comic-Welt | |
verirrt]: Da ist die Rede von Menschen mit [4][„übernatürlichen | |
Fähigkeiten“], die „Verbrecherjagd per Superkraft“ betreiben – weil sie | |
„Augen haben, die nicht vergessen“. | |
Angesichts solcher Schlagzeilen ist es nicht verwunderlich, dass die | |
Linken-Abgeordnete Nagel Sachsens CDU-Landesregierung auffordert, | |
aufzuklären über den Einsatz dieser „menschlichen ‚Speichermedien‘“, … | |
sie es nennt. Verwunderlich ist eher, dass sie damit die einzige | |
Parlamentarierin ist: Es gibt zwar eine Handvoll Anfragen, aber die zielen | |
darauf, wann überall Super Recognizer eingesetzt werden. | |
## Innenminister verweigert Auskunft | |
Dabei ist es dringend geboten, genauer hinzuschauen. Allerdings geht es | |
dabei weniger um Bedenken, wie Juliane Nagel sie hegt: dass sich die Super | |
Recognizer „präventiv“ jede Person merken könnten, die ihnen auf Demos | |
begegnet. Die Sorge ist unbegründet. Selbst wenn sie das könnten, hätte das | |
alleine keine Folgen. Das hätte ihr auch Innenminister Armin Schuster im | |
Juni auf ihre Anfrage im Landtag erklären können. [5][Aber er verweigerte | |
die Auskunft.] | |
Problematisch ist vielmehr: Mit Ausnahme von Berlin und Rheinland-Pfalz | |
haben fünf von sieben Innenministerien sowie die Bundespolizei keine | |
Ahnung, ob ihre Super Recognizer für die ihnen zugedachten Aufgaben | |
geeignet sind – und was das Verfahren taugt, mit dem sie gesucht werden. | |
Das zeigen Antworten auf Fragen der wochentaz, die alle Bundesländer sowie | |
die Bundespolizei angeschrieben hat. | |
Zunächst zu dem, was die Behörden wissen: Abgesehen von Nordrhein-Westfalen | |
können sie sagen, wie viele Super Recognizer sie beschäftigen. Das reicht | |
von drei in Berlin bis zu 400 in Baden-Württemberg. Bei der Bundespolizei | |
sind es 113. In Hessen hatten landesweit 3.104 Polizeibedienstete eine | |
computergestützte Testreihe absolviert, 237 Kandidat:innen bestanden | |
alle Stufen. | |
In Bayern identifizierte das Polizeipräsidium München 23 Super Recognizer | |
in seinen Reihen, genauso viele gibt es im sächsischen Chemnitz. Und in | |
Rheinland-Pfalz waren im Polizeipräsidium Koblenz sechs im Einsatz. Die | |
anderen Bundesländer setzen derzeit keine ein – teils mit der Begründung, | |
es gebe kein wissenschaftlich gesichertes Auswahlverfahren. | |
Die wochentaz hat mehrere Polizeipräsidien gefragt, ob sie mit einem Super | |
Recognizer sprechen kann. Alle sagten mit der Begründung ab, die | |
Betroffenen seien den Medienrummel leid. Ihre Tätigkeit ist dabei weniger | |
glamourös als es manche Berichte erscheinen lassen. Darin gestehen | |
Verdächtige ihre Taten auf der Stelle, weil sie so perplex sind, aufgespürt | |
worden zu sein. Dass Super Recognizer dabei helfen, Kapitalverbrechen | |
aufzuklären, ist die Ausnahme. | |
## Einsatz auf Großveranstaltungen | |
Oft geht es darum, Videoaufnahmen von Straftaten auszuwerten und bekannte | |
Personen zu identifizieren – meistens Wiederholungstäter. Oder zu | |
entdecken, dass es sich bei unterschiedlichen Taten um dieselbe Person | |
handelt. Zudem können Super Recognizer auf Großveranstaltungen nach | |
bekannten Gewalttätern Ausschau halten, die einen bestimmten Ort nicht | |
betreten dürfen oder die die Polizei im Auge behalten möchte. | |
Dazu muss man kein Super Recognizer sein. So sagte eine:r der drei | |
Polizist:innen, die nach den Attacken auf Frauen in der Kölner | |
Silvesternacht 2015 viele Verdächtige auf Videoaufnahmen identifiziert | |
hatten, über sich, er sei ein sehr erfahrener Fahnder. Sein | |
Wiedererkennungsvermögen war tatsächlich nur durchschnittlich ausgeprägt, | |
[6][wie Meike Ramon bei einem Test entdeckte]. | |
Die Professorin für kognitive Neurowissenschaften forscht [7][im | |
schweizerischen Lausanne] zur Super Recognition und hat mit der Berliner | |
Polizei eigens ein Verfahren entwickelt, Super Recognizer auszuwählen. Auch | |
in Rheinland-Pfalz hat sie bei der Identifizierung geholfen. | |
Zurück zu den Antworten der Behörden: Danach gefragt, wie sie den Erfolg | |
der Super Recognizer messen, nennen einige Pressestellen Zahlen, ohne sie | |
ins Verhältnis zu setzen. „Im Zeitraum Mai 2021 bis März 2023 konnten die | |
Frankfurter Super-Recognizer in über 1.400 Fällen Personen wiedererkennen, | |
Taten zusammenführen und Ersuchen anderer Dienststellen erfolgreich | |
bearbeiten“, schreibt das hessische Innenministerium. Wie viele | |
Identifizierungen wären es ohne Super Recognizer gewesen? Unbekannt. | |
## Polizei verweist auf Anekdoten | |
Andere stellen Beispielhaftes heraus: Bei der Aufarbeitung von | |
Ausschreitungen in Stuttgart im Juni 2020 hätten Super Recognizer | |
„wesentlich zur Identifizierung von rund 60 Tatverdächtigen beigetragen“, | |
heißt es aus Baden-Württemberg. Nordrhein-Westfalen verweist auf einen | |
Artikel, in dem die Polizei Anekdoten erzählt: „Bei einem Fußballspiel der | |
Borussia identifizierte eine Super-Recognizerin nach wenigen Minuten einen | |
Tatverdächtigen unter 20.000 Zuschauern.“ | |
Das bayerische Innenministerium sagt, die Erfolge seien schwer zu messen, | |
zumal die Identifizierung nicht zwangsläufig zur Aufklärung führe. | |
„Jedoch“, schreibt der Sprecher, sei „das generelle Feedback durchweg | |
positiv“. Überhaupt keine Daten gibt es zu Verurteilungsquoten, was | |
folgerichtig ist: Das Wiedererkennen alleine stellt keinen Beweis dar. | |
Müssen die Aussagen von Super Recognizern vor Gericht anders bewertet | |
werden als die ihrer Kolleg:innen? [8][Meike Ramon, die seit 17 Jahren zur | |
Gesichtserkennung forscht], hält das für nicht ausgeschlossen: wenn klar | |
sei, wie anders die Gehirne von Super Recognizern arbeiten. | |
Wie wenig durchdacht deren Einsatz in Deutschland ist, wie sehr sich | |
Verantwortliche von einem „positiven“ Grundgefühl leiten lassen, zeigen | |
weitere Antworten. So gibt es wissenschaftliche Belege, dass Super | |
Recognizer genau wie Normal-Betrachter:innen Menschen unterschiedlich gut | |
auseinanderhalten können, je nachdem, wie vertraut ihnen die Gesichtszüge | |
sind: Weiße erkennen am besten andere Weiße wieder. | |
## Behörden denken nicht nach | |
Innenministerien und Bundespolizei negieren diesen [9][„Other-Ethnicity | |
Effect“]. Bayerns Innenministerium behauptet gar, das Beispiel der | |
Metropolitan Police London beweise das Gegenteil. Dort war 2015 die | |
weltweit erste Super-Recognizer-Einheit eingerichtet worden – ihr | |
[10][Gründer selbst hatte stets öffentlich bedauert], dass seine Leute in | |
dieser Hinsicht eine Schwäche hätten. | |
Und ob sie wirklich ein Verfahren haben, die richtigen Leute zu finden: | |
Darüber denkt man in den Behörden offenbar nicht nach. Als „erprobt und | |
praktikabel“ bezeichnet eine Sprecherin aus Sachsen die Massentestung, die | |
an der Londoner University of Greenwich konzipiert worden ist, der | |
Marktführerin in diesem Bereich, im Internet leicht zu finden. | |
[11][Deutsche Polizeidienststellen sind ihre Hauptkunden]. | |
Hessen, Baden-Württemberg und Bayern wollen an dieser Methode festhalten, | |
einzig Nordrhein-Westfalen arbeitet an einer neuen. Auch die Bundespolizei | |
hat sich laut einer Sprecherin wiederholt für Greenwich entschieden | |
„aufgrund dortiger Studienlagen und Untersuchungsmethoden“. Diese hätten | |
„die derzeit größtmögliche Evidenz“. Auf die Frage nach Belegen verweist | |
die Sprecherin auf eine online veröffentlichte Publikationsliste des | |
Test-Instituts – ohne sagen zu können, wo sich die Evidenz verbirgt. | |
Die kann es gar nicht geben: Der Psychologie-Professor Josh Davis, der die | |
Testreihe seit dem Jahr 2011 entwickelt hat, veröffentlicht deren | |
wissenschaftliche Auswertung nicht. Seine Konkurrentin Meike Ramon macht | |
ihm dies zum Vorwurf: „Wissenschaft bedeutet, dass Untersuchungen | |
wiederholbar und damit überprüfbar sind.“ | |
## Sorge um Vertrauen in Behörden | |
Dabei geht es ihr nicht einfach um die Wissenschafts-Ehre: Sie fürchtet um | |
das Vertrauen in deutsche Behörden, wenn solche Prozesse intransparent | |
sind. Keine aus der Luft gegriffene Sorge, wie das Beispiel der sächsischen | |
Abgeordneten Juliane Nagel zeigt, der die Super Recognizer suspekt sind. | |
Im Gespräch erklärt Josh Davis, welche Testmethoden er bei der | |
Super-Recognizer-Suche verwendet. Zehn bis elf seien es, sagt er, die | |
meisten davon seine eigenen. Da müssen die Proband:innen anhand von | |
Bildmaterial erkennen, ob sie Gesichter schon einmal gesehen haben, oder ob | |
es sich um ein und dieselbe Person handelt. | |
Meike Ramon [12][kritisiert die fehlende Praxisnähe seiner Testreihe], | |
genauso wie [13][die britische Psychologie-Professorin Sarah Bate] von der | |
University of Bournemouth. Beide sagen auch, dass einige der verwendeten | |
Tests nicht sensitiv genug seien – sogar Gesichtsblinde könnten dabei gut | |
abschneiden. Beide fordern verbindliche Definitionen und Diagnosekriterien | |
für die Identifizierung von Super Recognizern. | |
Bei der Entwicklung ihres Tests für die Berliner Polizei haben Ramon und | |
ihr Team Interviews mit Polizist:innen in verschiedenen Abteilungen | |
geführt, um zu verstehen, wo Super-Recognizer hilfreich sein können. | |
Anschließend nutzten sie keine Bilder von gestellten Situationen wie Davis, | |
sondern authentisches Material: Bilder also, mit denen die Super Recognizer | |
später auch arbeiten würden, etwa Videoaufnahmen von Straftaten. „Wir | |
wollten nicht die suchen, die im Labor gut abschneiden“, so Ramon, „sondern | |
in der Praxis.“ | |
## Erster empirischer Effizienz-Nachweis | |
Ob das funktioniert, untersucht sie jetzt begleitend zum Einsatz der drei | |
Super Recognizer in einem einjährigen Modellprojekt des Berliner | |
Landeskriminalamts. Ihr zuvor über fünf Jahre entwickelter Test „beSure“ | |
wäre damit weltweit der erste wissenschaftlich validierte zur | |
Identifizierung von Super Recognizern bei der Polizei. Ende des Jahres soll | |
in einer Pressekonferenz eine Halbzeitbilanz gezogen werden. | |
Dass es sinnvoll ist, Super Recognizer bei der Polizei einzusetzen, konnte | |
Ramon [14][in diesem Jahr als Erste nachweisen]. Sie fand auch den ersten | |
empirischen Beweis dafür, dass die von ihr identifizierten | |
Polizist:innen für eine Effizienzsteigerung sorgen. Dabei vermutet sie, | |
dass Menschen in der Gesichtserkennung immer besser sein werden als | |
Computer, weil diese manche Aufnahmen von Gesichtern gar nicht als solche | |
klassifizieren können und extrem große Trainingsdatensätze brauchen. | |
Anders als Josh Davis würde sie aber nie fordern, jede Polizei müsse Super | |
Recognizer einsetzen: „Die Bedarfe einer Behörde können individuell | |
variieren“, sagt Ramon. Sollte aber der oder die Richtige an der richtigen | |
Stelle landen, könne das enorm motivieren: „Es ist toll, wenn man seine | |
Fähigkeiten gut nutzen kann.“ | |
Die Wissenschaftlerin findet Super Recognizer interessant, weil diese ihr | |
Einblicke ermöglichen in die Arbeitsweise menschlicher Gehirne, genauer: in | |
deren Variabilität. Das sei Grundlagenforschung, sagt sie, die dabei helfe, | |
individualisierte Ansätze etwa in der Medizin voranzubringen: Also nicht | |
mehr alle gleich zu behandeln, ohne zu wissen, wie gut eine Therapie | |
jeweils wirkt. | |
## Test ist kostenpflichtig | |
Bezahlt hat die Berliner Polizei Meike Ramon als Beraterin während der | |
Entwicklungsphase. Ihre Tests sind kostenlos, anders als die aus England: | |
Was die Greenwich-Testreihe kostet, verrät nur Sachsens Innenministerium. | |
Demnach hat die Polizeidirektion Chemnitz 4.800 Euro gezahlt. Eigentlich | |
müsste er noch mehr verlangen, sagt Davis, weil er keine finanzielle | |
Förderung für seine Super-Recognizer-Arbeit bekommen habe. | |
Daher untersuche er auch nicht, wie sich die von ihm identifizierten | |
Deutschen entwickeln. „Ich habe das den Polizeibehörden angeboten, aber sie | |
wollten dafür leider kein Geld ausgeben.“ Dass er so wenig veröffentliche, | |
liege an zu wenig Zeit. Auf die Bedenken, seine Tests seien nicht geeignet, | |
die Richtigen auszuwählen, [15][entgegnete er 2020 in einem Aufsatz]: „Ich | |
bin pragmatisch: Kriminelle warten nicht, und Organisationen brauchen jetzt | |
Super Recognizer“. | |
Diese Überzeugung teilt Davis mit Mike „Mick“ Neville, dem Gründer der | |
ersten Super-Recognizer-Einheit bei der Metropolitan Police London. Sie | |
arbeiten seit 2011 eng zusammen. Wer sich mit der Verbindung von Davis und | |
Neville beschäftigt, kommt nicht umhin zu fragen, ob die deutschen | |
Polizeibehörden mit dem richtigen Institut kooperieren. Ganz unabhängig vom | |
wissenschaftlichen Wettstreit um die besten Tests. | |
So ist in Deutschland weitgehend unbekannt, dass die Londoner Einheit schon | |
2017 wieder aufgelöst wurde. Das hängt mit dem Ende von Mike Nevilles | |
Polizeikarriere zusammen: Im Januar 2017 beschwerte er sich [16][in der | |
Boulevardzeitung Daily Mail] darüber, wegen seiner politischen Ansichten | |
aus dem Job gedrängt worden zu sein. Laut Medienberichten hatte Neville | |
sich in sozialen Medien als Anhänger [17][der rechtspopulistischen | |
Ukip-Partei] geoutet, gegen die Homosexuellen-Ehe und Sozialleistungen für | |
Migrant:innen ausgesprochen sowie gegen die „trendy metropolitan Elite“ | |
gehetzt. | |
## Mit dem Militär vernetzt | |
Seitdem konzentriert sich Neville auf [18][sein Unternehmen Super | |
Recognisers International Ltd], kurz SRI. Laut Website vermittelt es Super | |
Recognizer für die Überwachung von Personen und die Auswertung von | |
Videoaufnahmen. SRI sei weltweit mit „militärischen Streitkräften“ | |
vernetzt, heißt es auf der Seite, und dass britische Polizeibehörden ihre | |
Dienste nutzten bei Ermittlungen in „Mordfällen und anderen schwerwiegenden | |
Verbrechen“. | |
Eine Sprecherin der Thames Valley Police, die als Referenz genannt wird, | |
bestätigt die Zusammenarbeit. Die ebenfalls aufgeführte Metropolitan Police | |
London hingegen sagt, sie arbeite weder mit Neville noch mit Davis | |
zusammen. | |
Josh Davis wiederum hat einen Beratervertrag mit SRI, ein Hinweis findet | |
sich auf seiner Website. Nicht ersichtlich ist dort, dass die Firma seine | |
Arbeit sponsert – und Davis im Gegenzug Werbung für sie macht. Diese | |
erhält, wer eine im Internet offen zugängliche Testreihe absolviert. | |
„Aufgrund außergewöhnlich guter Ergebnisse“ habe sie sich „als eine der | |
wenigen Personen qualifiziert, die eine Einladung zur Teilnahme an einer | |
fortgeschritteneren Testreihe für Super-Recognisers International und die | |
Association of Super-Recognisers erhalten“, erfuhr die Autorin dieses | |
Texts. | |
Ebenso, was ihr winke, wenn sie sich weiter testen ließe: SRI habe „in | |
verschiedenen Teilen der Welt Voll- und Teilzeitarbeitsplätze für Super | |
Recognizer gefunden“. Doch wer für SRI arbeiten will, muss erst mal die | |
Testergebnisse bezahlen: 30 britische Pfund, etwa 35 Euro; wer nicht über | |
die University of Greenwich kommt, zahlt doppelt so viel. Anschließend | |
werden mindestens 240 Pfund fällig für einen „Trainings-Kurs“ – | |
Voraussetzung für eine von SRI vermittelte Tätigkeit. | |
## Geist des Geheimbündlerischen | |
Der Abstand zu seriöser Wissenschaft wird noch etwas größer: Zertifiziert | |
werden Test und Kurse von der – ebenfalls durch Davis beworbenen – | |
„Association of Super Recognisers“. Das ist laut eigener Homepage ein | |
„Fachverband“ und eine der „selektivsten und exklusivsten Organisationen | |
der Welt“. Vorausgesetzt, man zahlt für Tests und Kurse, kann man dort über | |
vier Stufen bis zum „Honorary Fellow“ aufsteigen, von „Chairman and | |
Executive“ ausgewählt. Wer das ist? Auf der Seite fehlt jeglicher Hinweis, | |
wer den Verband repräsentiert. | |
Den Geist des Geheimbündlerischen atmet auch die Verleihung der „Lizenzen“ | |
durch die Association: Auf seiner Homepage verlinkt Josh Davis [19][einen | |
Artikel über eine solche „Zeremonie“], bei der er selbst einen Gastvortrag | |
hielt: In den Londoner Räumen einer Freimaurerloge habe Schirmherr „Lord | |
Lingfield“ die Urkunden überreicht. Der 80-Jährige engagiert sich [20][im | |
britischen Oberhaus] gegen die Benachteiligung von Jungen. | |
Davis erklärt der wochentaz, warum Proband:innen seiner Tests Werbung | |
für SRI erhalten: Das Unternehmen finanziere die Auswertung der Tests durch | |
seine Mitarbeiter:innen und kümmere sich zudem um den E-Mail-Verkehr. | |
„Das würden wir sonst nicht schaffen“. Sollte sich jemand stören an der | |
Verquickung von Wissenschaft und Geschäftsinteresse, täte ihm das leid. | |
Mit fünf Prozent schnitten ohnehin nur wenige so gut ab, dass sie die | |
Einladung bekämen. Wer die Tests auf Englisch absolviere, bekomme | |
neuerdings per Mail erklärt, wie selten Menschen aufgrund ihrer Super | |
Recognition eingestellt werden, sagt er. Die meisten würden dort | |
rekrutiert, wo sie arbeiten, etwa bei der Polizei. | |
## Menschen hoffen auf Jobs | |
Dennoch machen sich Menschen Hoffnung, aufgrund ihrer Gabe eingestellt zu | |
werden oder in Kriminalfällen helfen zu können. Immer wieder bekäme sie | |
Anfragen, ob sie dazu raten könne, sich von SRI „ausbilden“ zu lassen, | |
erzählt Meike Ramon. Ihr seien keine Möglichkeiten bekannt, als | |
Zivilist:in wegen einer Begabung als Super Recognizer eingestellt zu | |
werden. „Es wäre verwerflich, fehlgeleitete Hoffnungen zu wecken.“ | |
Josh Davis bescheinigt seinen Kritikeri:nnen „eine Obsession mit der | |
Test-Qualität“. Und zu skeptischen Äußerungen einer | |
Linken-Bundestagsabgeordneten im August 2021 [21][merkt er auf seiner | |
Website an], dahinter stecke die Absicht, „die Öffentlichkeit zu | |
verunsichern“. | |
Fraglich ist, ob nicht eher eine Melange aus Intransparenz und | |
Auserwählten-Fantasien für Verunsicherung sorgt. Deutsche Behörden tragen | |
dazu bei, wenn sie Fragen nicht beantworten können oder wollen, ebenso wie | |
Medien, wenn sie Super Recognizer in die Nähe von Superheld:innen | |
rücken, die außerhalb des Gesetzes agieren. | |
Die sächsische Linken-Politikerin Juliane Nagel will unterdessen eine Idee | |
aus [22][Rheinland-Pfalz] aufgreifen: Dort soll in einer der nächsten | |
Sitzungen des Innenausschusses ein Super Recognizer seine Arbeit erklären. | |
Ein Ausschussmitglied erzählt, das sei dem Innenminister im Juli nicht | |
gelungen. Die Super Recognizer habe der aber super gefunden. | |
29 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Sexuelle-Uebergriffe-von-Koeln/!5317184 | |
[2] /Neuordnung-im-Dortmund--Tatort/!5926497 | |
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Top_10_(comics) | |
[4] https://www.newyorker.com/magazine/2016/08/22/londons-super-recognizer-poli… | |
[5] https://www.linksfraktionsachsen.de/presse/detail/juliane-nagel-klarheit-ue… | |
[6] https://www.institut-police.ch/06-wissen/06-04-format-magazine/2020-10/Inha… | |
[7] https://afclab.org/team | |
[8] https://afclab.org/team | |
[9] https://eprints.bournemouth.ac.uk/31749/1/The%20limits%20of%20super%20recog… | |
[10] https://www.youtube.com/watch?v=TPGf6kDnYeM | |
[11] https://www.superrecognisers.com/_files/ugd/9bb3fa_336e8ae5d9c946159cc2439… | |
[12] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33662395/ | |
[13] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34110226/ | |
[14] https://psyarxiv.com/9zq7j/ | |
[15] https://www.researchgate.net/publication/343799207_CCTV_and_the_super-reco… | |
[16] https://www.dailymail.co.uk/news/article-4165194/Met-detective-says-Scotla… | |
[17] /Ukip/!t5008991 | |
[18] https://find-and-update.company-information.service.gov.uk/company/10210697 | |
[19] https://www.superrecognisers.com/post/lord-lingfield-certifies-police-and-… | |
[20] https://hansard.parliament.uk/search/MemberContributions?house=Lords&m… | |
[21] https://www.superrecognisers.com/post/super-recogniser-police-assist-in-st… | |
[22] /Rheinland-Pfalz/!t5021919 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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