# taz.de -- Zivilklauseln unter Druck: Das Militär drängt an die Unis | |
> Vor der Bundestagswahl wird der Ruf nach mehr militärischer Forschung | |
> lauter. In Bayern müssen Hochschulen bereits mit der Bundeswehr | |
> kooperieren. | |
Bild: Seit 2013 verpflichtet sich das Hamburger Forschungszentrum Desy, nur zu … | |
Berlin taz | Für Studierende der Technischen Universität München (TUM) hat | |
das Wintersemester bedrohlich begonnen. Beim Forschungsreaktor der Uni in | |
Garching fielen an einem Mittwoch Mitte Oktober Schüsse, Soldaten | |
patrouillierten über den Campus, mehrere Personen wurden überwältigt. | |
Eine Übung der Bundeswehr, auf die die TUM vorab per Mail hingewiesen hat: | |
„Seien Sie bitte nicht überrascht, wenn in dieser Zeit Soldatinnen und | |
Soldaten verstärkt im Straßenbild präsent sein werden“, heißt es darin. | |
Ziel des Manövers: einen Angriff auf kritische Infrastruktur zu simulieren | |
und abzuwehren. Auf Fotos im Netz ist zu sehen, wie Bundeswehr-Jeeps mit | |
montierten Maschinengewehren neben Unigebäuden stehen. | |
Militär auf dem Campus – noch ist das ein seltener Anblick. Doch das könnte | |
sich ändern. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine im Februar 2022 und | |
die danach von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufene Zeitenwende | |
haben eine jahrzehntealte Debatte an Hochschulen neu entfacht: Und zwar | |
darüber, ob sich Unis für militärische Interessen öffnen – und ihre | |
Forschungsergebnisse für entsprechende Zwecke freigeben sollten. Rund 70 | |
Hochschulen bundesweit – also knapp jede fünfte – lehnen dies grundsätzli… | |
ab. | |
In sogenannten Zivilklauseln verpflichten sie sich dazu, Forschung nur für | |
friedliche Ziele zu betreiben. In wenigen Bundesländern wie Hessen, Bremen | |
und Thüringen sind [1][diese sogar gesetzlich festgeschrieben]. In anderen | |
wie Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen gab es sie mal – bis die | |
Landesregierungen sie wieder gestrichen haben. | |
## Habeck stellt Zivilklauseln in Frage | |
Mit der Bedrohung Europas durch Putins Imperialismus ist das politische | |
Lager, das Zivilklauseln für nicht mehr zeitgemäß hält, größer geworden. | |
Der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck findet, man müsse „die strikte | |
Trennung von militärischer und ziviler Nutzung und Entwicklung überdenken“ | |
– auch wenn das für die Partei so heikle Thema im Entwurf des grünen | |
Programms zur Bundestagswahl ebenso ausgespart wird wie im Programm der | |
SPD. | |
Anders ist das bei Union und FDP: Sie fordern in ihren Programmentwürfen | |
eine hochschulpolitische Neuausrichtung. Die Union verspricht, die | |
„Einschränkungen für militärische Forschung“ aufzuheben und unter anderem | |
eine Drohnenarmee aufzubauen – inklusive Investitionen „in die | |
Drohnenforschung“. | |
Die Liberalen wollen neben der „Streichung der Zivilklauseln aus den | |
Landeshochschulgesetzen“ eine „agile Verteidigungsforschungsanstalt nach | |
amerikanischem Vorbild, die sich auf den Technologietransfer zwischen | |
Militär und Wissenschaft sowie auf die Förderung von Forschungsprojekten | |
mit militärischen oder Dual-Use-Anwendungen konzentriert“. Also Forschung, | |
die sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich eingesetzt werden | |
kann. | |
In diesem Punkt macht auch die EU-Kommission Druck: Im Januar 2024 schlug | |
sie [2][in einem Weißbuch] vor, das europaweite Forschungsprogramm „Horizon | |
Europe“ nach 2027 für Dual-Use-Projekte zu öffnen oder alternativ mit einem | |
eigenen Förderinstrument auszustatten. Ähnliche Ideen hat kurz darauf das | |
Bildungsministerium von Bettina Stark-Watzinger (FDP) veröffentlicht. | |
## Streit am Hamburger Desy | |
Auch in den Forschungseinrichtungen wird intensiv debattiert. Zum Beispiel | |
am Deutschen Elektronen-Synchrotron in Hamburg, kurz: Desy. Das 1959 | |
gegründete Forschungszentrum ist renommiert für seine Arbeit zu | |
Elementarteilchen. Seit 2013 hat es sich in seinem Leitbild dazu | |
verpflichtet, nur zu „zivilen und friedlichen Zwecken“ zu forschen. | |
In der Vergangenheit hat das Desy deshalb Anfragen von Rüstungskonzernen | |
abgelehnt. Etwa für die Testung eines Materials, das auch für Atomwaffen | |
verwendet wird. Doch nun möchte das Direktorium auch solche Aufträge | |
zulassen. Laut eines Rundbriefs an die 3.000 Beschäftigen soll sich das | |
Labor „für Zwecke im Rahmen der Sicherheit, Wehrhaftigkeit und | |
Verteidigungsbereitschaft“ öffnen. | |
Für den langjährigen Desy-Mitarbeiter Hannes Jung wäre das fatal. Seit 1985 | |
forscht der mittlerweile emeritierte Experimentalphysiker am Zentrum, an | |
dem Leitbild für zivile Forschung hat er mitgeschrieben. „Viele von uns | |
arbeiten hier, weil das Desy militärische Forschung ausschließt“, erzählt | |
Jung am Telefon. Er und viele andere Mitarbeiter:innen sehen die | |
Wissenschaftsfreiheit in Gefahr und fürchten eine Umverteilung von | |
Ressourcen. Eine Petition, die sich gegen Pläne des Direktoriums stemmt, | |
haben rund 300 Desy-Angestellte unterschrieben. | |
Wohin der Kriegs-Zeitgeist führen kann, lässt sich in Bayern beobachten. | |
Dort hat der Landtag im Juli 2024 mit den Stimmen von CSU und Freien | |
Wählern das „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr“ verabschiedet. Durch ei… | |
Änderung im Bayerischen Hochschulinnovationsgesetz müssen die Hochschulen | |
ab sofort mit der Bundeswehr zusammenarbeiten, „wenn und soweit das | |
Staatsministerium auf Antrag der Bundeswehr feststellt, dass dies im | |
Interesse der nationalen Sicherheit erforderlich ist“. Zivilklauseln sind | |
den Unis damit ausdrücklich untersagt. | |
## In Bayern gilt die Kooperationspflicht | |
Bayern hat so den Spieß umgedreht: Nicht die Hochschulen im Land | |
entscheiden mehr darüber, ob und in welchen Fällen sie Rüstungsforschung | |
zulassen – sondern Militär und Politik. Ob dieser Fall bereits eingetreten | |
ist, ließen Bundeswehr und Bayerische Staatskanzlei auf Anfrage der taz bis | |
Redaktionsschluss unbeantwortet. Auch die beiden großen bayerischen | |
Universitäten – TUM und LMU – wollten sich zum „Bundeswehrgesetz“ nicht | |
äußern. | |
Aus Sicht von Gewerkschaften verstößt die Regelung gegen die | |
Hochschulautonomie und die Freiheit von Forschung und Lehre. Die | |
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat deshalb im Dezember | |
[3][Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgericht] eingereicht. | |
Selbst die bayerischen Hochschulen, die in einer gemeinsamen Stellungnahme | |
vor Verabschiedung des Gesetzes dem akuten „Bedarf zur Steigerung der | |
Verteidigungsfähigkeit“ sowie einer „kooperativen Haltung der Hochschulen | |
zur Bundeswehr“ beigepflichtet haben, betonen: „Die Universitäten beharren | |
darauf, dass jegliche Kooperation mit der Bundeswehr die grundgesetzlich | |
verankerte Wissenschaftsfreiheit nicht untergraben darf.“ Es dürfte keine | |
Verpflichtung eingeführt werden, die individuelle Forscher:innnen in | |
ihrer Freiheit beschränke. | |
Studierende wie Luisa Haas befürchten jedoch genau das. Die 25-Jährige | |
studiert Elektrotechnik an der Ostbayerischen Technischen Hochschule | |
Regensburg und überlegt, später weiter an der Uni zu forschen. Aber das | |
neue bayerische Gesetz schreckt sie ab: „Für mich ist es komplett | |
inakzeptabel, dass Forschung, an der ich beteiligt bin, zur Entwicklung von | |
Waffensystemen beiträgt“, sagt Haas, die auch in der DGB-Hochschulgruppe | |
aktiv ist. Dass die Hochschulen in Bayern nicht stärker gegen die Pläne der | |
Landesregierung protestiert haben, sieht sie kritisch. Sie hofft nun | |
darauf, dass das Bayerische Verfassungsgericht das „Bundeswehrgesetz“ | |
stoppt. | |
Ob Bayern mit dem Gesetz andere Länder und den Bund inspiriert wie bei den | |
[4][weitgehenden Polizeibefugnissen], ist offen. Der Präsident der | |
Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Walter Rosenthal, jedenfalls sähe das | |
kritisch: „Eine politisch gewünschte Stärkung explizit militärischer oder | |
sogenannter Dual-Use-Forschung kann im Sinne der Wissenschaftsfreiheit auch | |
nicht mit einer Verpflichtung zu militärischer Forschung einhergehen.“ | |
23 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Hochschule-Bremen-und-Zivilklausel/!5331942 | |
[2] https://research-and-innovation.ec.europa.eu/system/files/2024-01/ec_rtd_wh… | |
[3] https://www.gew-bayern.de/presse/detailseite/gew-grosse-unterstuetzung-der-… | |
[4] /Verschaerfung-der-Polizeigesetze/!5503486 | |
## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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