# taz.de -- Raus aus Social Media: Offline am Acker | |
> Der Abschied von Facebook, Instagram und so weiter fällt unserem | |
> Kolumnisten nicht leicht. Zumal er damit den letzten Rest urbanen Lebens | |
> abserviert. | |
Bild: Weg ist weg, doch auch nach der Löschung sucht man noch eine Weile nach … | |
Die Sache mit den Amputations- und Phantomschmerzen war am Ende dann doch | |
nicht so schlimm. Auch wenn die Finger manchmal doch noch geistlos nach dem | |
Ding tasten, wenn man zum Beispiel auf dem Klo sitzt, oder abends am | |
Rechner. Aber weg ist weg – und so langsam rafft das auch der unbewusste | |
Teil meiner Motorik. Insgesamt mildernd wirkt sich zudem aus, dass hier ja | |
kein Körperteil verloren ging, sondern nur ein Haufen im Grunde ohnehin | |
eher lästigen Datenmülls: Meine Social-Media-Accounts habe ich gelöscht. | |
Alle, auch die harmlosen. | |
„Ach je, schon wieder einer“, darf man mit Recht sagen. Ich bin damit ja | |
wirklich nicht allein und war schon gar nicht der Erste. Die | |
Offline-Schickeria ist lang genug unterwegs, um inzwischen wirklich jede:n | |
genervt zu haben. | |
Und zumindest in meiner Bubble scheint die aktuelle Austrittswelle sogar | |
den großen Twitter-Exodus von 2022 zu überbieten, als Elon Musk den Laden | |
kaufte und in ein menschenfeindliches Drecksloch transformierte. Heute | |
[1][ist es eben Zuckerberg], der mit dem Schlussstrich unter Faktenchecks | |
und Diversity-Programm die Restvernunft vor die Tür setzt. | |
Dass mein Abgang überhaupt so lange gedauert hat, liegt ganz wesentlich am | |
[2][Umzug aufs Land], um den es hier an dieser Stelle in der Regel geht. | |
Ist ja klar: Man lässt nicht nur konkrete Menschen zurück, sondern auch ein | |
urbanes Grundrauschen aus bestimmten Haltungen und Themen, die zwischen | |
Kneipe, Vortragsrunde, Konzert besprochen werden und im Netz eben irgendwie | |
noch da waren – hier draußen aber nicht. | |
## Abschied von der Bubble | |
Neben globalen Angelegenheiten wie einem antifaschistischen Grundkonsens | |
oder der Veggie-Quote über 50 Prozent gehören dazu vor allem diverse | |
Nischendinge, die einem offline am Acker wie vom anderen Planeten | |
vorkommen: von queeren Old-School-Dungeoncrawls über Sauerbiertastings bis | |
zum poststrukturalismuskritischen Freud-Lesekreis ist alles erst einmal | |
weg. Und ich finde das – von wegen Amputationswunde – ganz wirklich sehr | |
schade. | |
Ein anderes Argument gegen den Ausstieg hab ich kurz vor Schluss bei einem | |
Facebook-Exfreund gelesen. Der sieht den Massenabgang gerade als | |
kollektiven „Rückzug in die innere Emigration“ und meint wohl, man solle | |
diese virtuellen Räume nicht aufgeben, „jetzt, wo es auf jeden Einzelnen | |
ankommt“. | |
Ich glaube das nicht. Es kommt nämlich einen Scheiß auf irgendwen an in | |
diesen virtuellen Hexenkesseln. Und dass der Algorithmus die Regeln dieses | |
Miteinanders bestimmt, ist nicht einmal das Hauptproblem. Viel schlimmer | |
finde ich die aufmerksamkeitsökonomische Selbstzurichtung derer, die es | |
eigentlich besser wissen müssten: meiner friends, follower und gefollowten | |
nämlich. Na ja, und meine eigene. | |
## Konkret nur im Notfall | |
Es ist scheinbar unvermeidbar: Zwei-, dreimal schreibt man ironisch „Link | |
im ersten comment“ irgendwo hin – und plötzlich meint man’s ernst; macht | |
sich über die eigene Reichweite Gedanken, entwickelt Strategien, spricht in | |
Clickbait-Rätseln und postet pointierte Spitzen an die richtigen Stellen. | |
Konkret wird man nur in Notfällen, wenn es sich nicht vermeiden lässt oder | |
man sich wirklich richtig sicher ist. Besser ist, vage und spöttisch eine | |
Haltung zu suggerieren, die von jenen Leuten verstanden wird, die einem | |
sympathisch sind und die einem vielleicht mal was zuschustern können. | |
Vielleicht ja irgendwann sogar Aufträge im Mediendings. | |
Sie merken vielleicht: Es regt mich immer noch auf, was dann wohl diese | |
Phantomschmerzen wären, von denen ich oben sprach. | |
Weg sein, ist jedenfalls gut – für mich wie für die anderen. Die Frage ist | |
nur, wie’s jetzt weitergeht. Ich überlege fast, wieder mit dem Bloggen | |
anzufangen oder Newsletter aufzusetzen. Um mich jetzt nämlich so richtig | |
ins Offline-Dorfleben zu stürzen – dafür hab ich dann doch noch zu viel von | |
der Realität mitbekommen in den letzten Jahren. | |
19 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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