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# taz.de -- Rückgabe von Kunst aus der Nazizeit: Sie warten schon so lange
> Strittige Fälle von NS-Raubkunst sollen ab 2025 durch ein Schiedsgericht
> entschieden werden. Doch an dem neuen Gremium entzündet sich harte
> Kritik.
Bild: Der deutsch-jüdische Kunstsammler Alfred Flechtheim um 1928 in seiner Be…
Berlin taz | Michael Hulton ist nicht gut auf Bayern zu sprechen. „Ich
möchte, dass die bayerische Regierung ihre Unehrlichkeit gegenüber mir und
den Familien vieler anderer Opfer eingesteht, und ich möchte, dass sie dies
jetzt tut“, sagte er Mitte Dezember (19.12.) dem britischen Guardian. Der
Grund für die Verärgerung des 78-Jährigen liegt in drei Kunstwerken
begründet, die einst dem deutsch-jüdischen Kunsthändler Alfred Flechtheim
gehörten, aber während der Nazi-Zeit aus dem Besitz des Verfolgten
verschwanden: eine Bronze-Skulptur Pablo Picassos namens „Beatrice“ sowie
zwei Gemälde von Paul Klee.
Flechtheim starb 1937 elend im Londoner Exil. Die drei Kunstwerke befinden
sich heute im Besitz des Freistaats Bayern. Der dortige Kunst- und
Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) hat eine Restitution an
Flechtheims Großneffen Hulton abgelehnt und verweist in einem Schreiben an
den von diesem beauftragten Rechtsanwalt Markus Stötzel darauf, dass „das
Eigentum Alfred Flechtheims an den drei Kunstwerken nicht zweifelsfrei
belegt werden“ könne.
Allerdings war Bernhard Maaz, Generaldirektor der Bayerischen
Staatsgemäldesammlung in einem der taz vorliegenden Schreiben an das
Ministerium zuvor zu einem ganz anderen Urteil gekommen: Er empfahl die
Restitution der Bronze. Auch beim Klee-Bild „Grenzen des Verstandes“ sei
ein „Entgegenkommen des bayerischen Freistaats“ anzuraten, der zweite Klee
solle auf Besitzansprüche überprüft werden.
Weil Blume aber darauf beharrt, dass die Provenienz der Kunstwerke strittig
ist, sollen diese nun zu den ersten Fällen für das neue Schiedsgericht
werden, die künftig über die Restitution von NS-Raubkunst in öffentlichem
Besitz entscheiden soll. Gleiches gilt für das [1][Picasso-Gemälde] „Madame
Soler“, bei dem Bayern bisher die Prüfung einer Rückgabe an die Erben der
von den Nazis verfolgten jüdischen Besitzers abgelehnt hat.
Der Freistaat steht mit seiner Verweigerung einer Restitution nicht alleine
da. Auch Nordrhein-Westfallen lehnt die Rückgabe eines Gemäldes aus der
Flechtheim-Sammlung ab. „Die Nacht“ von Max Beckmann befindet sich in der
landeseigenen Kunstsammlung NRW. Doch das Land wartet lieber auf das
projektierte Schiedsgericht, anstatt das Verfahren zu beschleunigen. Ob ein
kurz vor Weihnachten (20.12.) gestarteter Appell von Hultons Anwalt an
Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) daran etwas ändern wird, darf
bezweifelt werden.
Die Gründung dieses Schiedsgerichts steht kurz bevor. Ein Teil der
Länder-Kabinette hat dem Verwaltungsabkommen zwischen Bund, Ländern und
Kommunen, das als Grundlage für das Gremium dient, bereits zugestimmt.
Anfang 2025 will das Bundeskabinett die Angelegenheit durchwinken, danach
wäre der Weg für dieses neue Instrument für die Entschädigung von durch die
Nazis gestohlener Kunst bald frei.
Bis das Schiedsgericht arbeitsfähig ist, dürfte nach der Schätzung von
Experten nahezu das ganze Jahr 2025 vergehen. Das bedeutet auch, dass der
78-jährige Michael Hulton noch einmal lange auf eine Entscheidung warten
soll – mindestens bis 2026. Schon seit 2008 streitet er um die Rückgabe der
Kunstgegenstände. Nun bittet Minister Blume noch „um ein wenig mehr
Geduld“. Mit-Erbin Penny Hulton hat davon nichts mehr. Sie war im Sommer im
Alter von 96 Jahren verstorben.
## Folgt jetzt eine Verschlimmbesserung?
Eigentlich könnte die Beratende Kommission sofort darüber entscheiden, wem
die Kunstwerke gehören, solange das Schiedsgericht noch nicht arbeitsfähig
ist. Doch Blume hat offenbar jedes Vertrauen in das bisher zuständige
Gremium für die Rückgabe von NS-Raubkunst verloren, dessen Entscheidungen
von Kritikern als zugunsten der Verfolgten bewertet wurden. Die Kommission
sei personell und strukturell nicht gut aufgestellt gewesen, sagte Blume
Anfang Dezember (4.12.) vor dem Haushalts- und Kulturausschuss des
Bayerischen Landtags. Beim Schiedsgericht, das die Kommission ersetzen
soll, bestehen solche Vorbehalte offenbar nicht.
Nun wird jedoch Protest gegen diese Schiedsgerichts-Regelung laut, die
eigentlich von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) als Verbesserung
für die Nachfahren der Opfer verstanden wird. Denn erstmals können diese
auch dann ein Verfahren anstrengen, wenn die von einer möglichen Rückgabe
betroffene Institution das ablehnt. „Mit der Reform wird es endlich die
Möglichkeit einer einseitigen Anrufbarkeit geben und zudem wird die
Einbindung der Opfer und ihrer Nachfahren in das Entscheidungsgremium
gestärkt“, lobt Roth.
Doch Vertreter von Nachfahren in Fällen von NS-Raubkunst äußern erhebliche
Zweifel daran, dass das Schiedsgericht tatsächlich einen Vorteil für die
Bestohlenen bringt. Sie fürchten eher das Gegenteil. „Das Schiedsgericht
und sein Bewertungsrahmen sind an Zynismus kaum zu überbieten. Der Zugang
zu Restitutionen wird in Zukunft tatsächlich massiv erschwert“, äußert sich
Rechtsanwalt Markus Stötzel dazu gegenüber der taz.
Der Jurist und Provenienzforscher Willi Korte recherchiert für die Erben
des jüdischen Düsseldorfer Kunsthändlers Max Stern. Der Kunst-Detektiv hat
schon den Quedlinburger Domschatz aufgespürt. Die Schiedskommission habe
„große Verärgerung und Unsicherheit“ ausgelöst, sagt er der taz. Die
Beratende Kommission habe in jüngster Zeit nicht nur juristisch
argumentiert, sondern „den Kontext der Verantwortung für NS-Verbrechen“
berücksichtigt. Schließlich, so der in Washington DC lebende Korte, „geht
es hier nicht einfach um Kulturgut, sondern um Verfolgung und Ermordung
während der Nazi-Zeit“.
## Kritik am Schiedsgericht
Die Kritik entzündet sich an dem Bewertungsrahmen, dem das künftige
Schiedsgericht unterliegt. Der blieb lange geheim, bis ihn der
Bundestagsabgeordnete Jan Korte (Linke) vor kurzem auf seiner Homepage
öffentlich machte. In dem Papier heißt es unter anderem, dass ein Fall von
NS-Raubkunst „nicht vermutet“ wird, wenn eine aus dem Nazi-Reich geflohene
Person einen Kunstgegenstand dort verkauft. Kritiker interpretieren die
Bestimmung so, dass ein ins Exil gezwungener Jude, der im Ausland ein Bild
verkaufen musste, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, keinerlei
Anspruch auf eine Restitution hat.
Aus einen der beteiligten Landes-Ministerien heißt es dazu, die
Restitutionsverweigerung gelte keineswegs „absolut“ und Betroffene hätten
die Möglichkeit, einen Gegenbeweis anzutreten. Das Haus von
Kulturstaatsministerin Roth erklärt, bei der Regelung handele es sich in
Wahrheit um einen „Fortschritt, denn erstmals werden überhaupt solche
Fluchtgutfälle in den Blick genommen“. Das ist zwar richtig, war aber, so
Kritiker der Neuregelung, bisher kein Hindernis für eine Entscheidung
zugunsten von exilierten Juden.
So urteilte die [2][Beratende Kommission] 2019, dass der Bund zwei Gemälde
Bernado Bellottos an die Erben von Max Emden zurückgeben müsse. Emden
musste die Bilder im Exil aus Not heraus verkaufen. Weiter heißt es aus
Roths Ministerium zu der Frage, das Schiedsgerichts könne prüfen, ob der
Verkäufer eine „freie Verfügbarkeit“ über den erzielten Preis besessen
habe. Wenn dies nicht der Fall gewesen sein, könne die Kommission den Fall
entsprechend bewerten. Auch dies stimmt, allerdings bestimmt die Vorgabe,
dass im Regelfall davon auszugehen sei, dass es sich eben nicht um
NS-Raubhut handelt. Anders ausgedrückt: Der Ermessensspielraum verengt
sich.
Es sei das Kleingedruckte, dass die Neuregelung der Restitution bei
NS-Raubkunst zum Problemfall macht, sagt einer der mit der Materie
Betrauten. Der Guardian schreibt, dass aus Claudia Roths beabsichtiger
Verbesserung eine „Verschlimmbesserung“ geworden sei.
Auf rund 600.000 wird die Zahl der Kunstgegenstände geschätzt, die die
Nazis zwischen 1933 und 1945 gestohlen haben. Gemäß den Washingtoner
Prinzipien sollen für diese Kulturgüter gerechte und faire Lösungen
gefunden werden. Einige Kritiker der Neuregelung bezweifeln, dass die
Schiedsgerichte in ihrer jetzigen Form diesem Prinzip entsprechen.
Bayern zählte zu den ersten Ländern, deren Ministerrat sich mit dem neuen
Schiedsgericht befasste. „Bayern macht Tempo“, nannte Minister Blume das in
einer Pressemitteilung und sprach von der „schnellstmöglichen Einführung
der Schiedsgerichtsbarkeit“. Dass dies zugleich für Michael Hulton zu einer
erneuten Verzögerung führt, ließ er unerwähnt. Hulton sagte dem Guardian:
Nach dem er 15 Jahre lang versucht habe, die bayerische Regierung dazu zu
bringen, „die Verfolgung, das Leid und die Ausplünderung meiner jüdischen
Familie während des Holocaust anzuerkennen, stoße ich an eine Wand“.
27 Dec 2024
## LINKS
[1] /Umgang-mit-NS-Raubkunst/!6041996
[2] /Politik-zu-NS-Raubkunst/!6024791
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
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