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# taz.de -- Kunsthistoriker über Restitution: „Woher kommt die Anmaßung geg…
> Die Rückgabe von Raubgut geht manchmal mit der Projektion eigener
> moralischer Probleme auf die Interessen der anderen einher, sagt Gilbert
> Lupfer.
Bild: Der Tänzerinnen-Brunnen war einst in Besitz des jüdischen Sammlerpaars …
taz: Herr Lupfer, kürzlich wurde die Eröffnung des Museum of West African
Art (MoWAA) in Benin-City von Protestierenden verhindert. Das MoWAA war
ursprünglich auch als Aufbewahrungsort für restituierte Kulturgüter
geplant, unter anderem für die Benin-Bronzen. Die Bronzen waren von
britischen Kolonialtruppen 1897 aus dem Palast des Oba, des damaligen
Königs von Benin, geraubt worden und unrechtmäßig in europäische Museen
gelangt. Ihre Rückgabe löste in Nigeria aber einen Konflikt darüber aus,
unter wessen Obhut sie stehen sollen. Hätte man die Rückgabe an Bedingungen
knüpfen sollen?
Gilbert Lupfer: Wenn man etwas zurückgibt, dann muss man es ohne Wenn und
Aber tun. Man kann die Hoffnung haben, dass die Objekte angemessen
behandelt werden, aber Rückgabe ist Rückgabe. Gerade im kolonialen Kontext
hat man immer wieder mit vielen Interessengruppen zu tun, die
unterschiedliche Ziele verfolgen. [1][Was sich jetzt in Nigeria ereignet,]
ist nigerianische Politik, die man nur zum Teil versteht. Ich fand die
hiesige Empörung, als der nigerianische Staat 2023 die restituierten
Benin-Bronzen an den Oba übereignete, scheinheilig. In Deutschland wurden
auch bis vor Kurzem noch Kunstwerke an ehemalige Königshäuser
zurückgegeben.
taz: Es ist nicht lange her, [2][dass die Hohenzollern unter anderem
kostbare Tabakdosen] aus Berliner Museumsbeständen zurückerhielten, was
auch auf Kritik stößt: [3][Die Hohenzollern hatten historisch einen Anteil
am Aufstieg des NS.] Das [4][Königshaus in Benin wiederum profitierte einst
vom Sklavenhandel.] Kann man wirklich bedingungslos restituieren?
Lupfer: Wenn man Restitutionen im kolonialen Kontext für angemessen und
richtig befindet, dann darf das kein Hindernis sein. An Nigeria aber
stellte man aus meiner Sicht sehr hohe und unrealistische Ansprüche. Ich
war bei der Zeremonie im Auswärtigen Amt dabei, als 2022 die ersten Objekte
aus der Stiftung Preußischer Kulturbesitz an den Staat Nigeria
zurückgegeben wurden. Dessen Vertreter wurden vollkommen überhöht begrüßt,
als verfolgten sie ausschließlich höhere Interessen. Dass auch in Nigeria
die Politiker einfach Politiker sind, damit müssen wir klarkommen.
taz: Das neue 36-köpfige Schiedsgericht für Fälle von NS-Raubkunst beginnt
jetzt seine Arbeit. Erben können sich fortan direkt an das Gericht wenden.
[5][Formal wird so der Rückgabeprozess] verbessert, ethisches Ziel ist eine
nachträgliche Gerechtigkeit. Ist Restitution immer an moralische Ansprüche
geknüpft?
Lupfer: Ja, zweifellos, es geht nie nur um juristische Erwägungen. Dass
Deutschland seine Verantwortung wahrnehmen muss und dafür faire Verfahren
braucht, steht völlig außer Frage. Das neue Schiedsgericht kann bei
strittigen Fällen verbindliche, transparente Entscheidungen treffen, nicht
mehr nur Empfehlungen aussprechen wie davor die Beratende Kommission. Die
Träger öffentlicher Sammlungen müssen sich dem Schiedsgerichtsverfahren
stellen, was bisher nicht der Fall war. Dem Ziel Gerechtigkeit kommt man
damit näher, selbst wenn es noch kein Restitutionsgesetz gibt, das auch
NS-Raubgut in privatem Besitz berühren würde.
taz: Sie scheinen jedoch Einwände beim Schlagwort Moral zu haben.
Lupfer: Aber in der Diskussion kann sich auch eine Projektion eigener
moralischer Probleme auf die Interessen der anderen entwickeln. Wenn ich an
die Empörung vor wenigen Jahren über die vermeintlich geldgierigen Erben
von NS-Raubkunst denke, die zurückgegebene Objekte zu Sotheby’s schleppen
würden, dann war das völlig daneben. Und völlig an der Realität vorbei.
Häufig sind die Erbengemeinschaften nämlich über die Welt verstreut, 40, 50
Leute. Manchmal können sie gar nicht anders, als die Werke zu veräußern. Da
wird die hiesige, moralisch geführte Diskussion auf die Erben übertragen
und gesagt: „Wir haben die Sachen bewahrt, du solltest das auch tun. Am
besten gibst du es gleich dem Museum zurück. Und du solltest dafür sorgen,
dass das öffentlich zugänglich bleibt.“ [6][Woher nimmt man diese Anmaßung
gegenüber den Nachfahren], solche Forderungen aufzustellen? Zumal sich da
auch bei NS-Raubgut ein vollkommen falsches Bild eingeprägt hat. Als ob es
sich bei den Rückgaben immer um einen Kirchner oder Schiele handelte, der
zig Millionen Euro einbringt. Manchmal sind es auch banale, einfache Dinge,
wie Bestecke oder Bücher, die zurückgegeben werden.
taz: Nehmen wir einmal den Fall des Tänzerinnen-Brunnens im Berliner Georg
Kolbe Museum, der vor einigen Monaten in den Medien kursierte. Der Brunnen
von Bildhauer Kolbe war einst in Besitz des jüdischen Sammlerpaars Heinrich
und Jenny Stahl, das während des NS zu seinem Verkauf gezwungen war,
Heinrich Stahl wurde 1942 im KZ Theresienstadt ermordet. Bei der
Erforschung der Objektgeschichte hatte das Museum auch auf Kolbes
diskriminierende Darstellung Schwarzer Menschen hingewiesen. Dass sich
dabei zwei Bereiche – Aufarbeitung des Kolonialismus und Aufarbeitung von
NS-Verbrechen – überschneiden, ist ethisch kompliziert. Können in der
Provenienzforschung diese Bereiche in Konflikt miteinander geraten?
Lupfer: In der Provenienzforschung gibt es solch potenzielle Bruchstellen.
Zum Beispiel die jüdischen Sammler und Sammlerinnen aus dem
Bildungsbürgertum, die in den 1920er Jahren Kunst aus Afrika sammelten.
Damals war es ausgesprochen progressiv, diese Werke in der Sphäre der Kunst
anzusiedeln. Über die Herkunft und die kolonialen Hintergründe hatte man
sich aber keine Gedanken gemacht. Es gibt große jüdische Kunstsammler, die
auch Ausgrabungen finanziert haben.
taz: Wie der jüdische Unternehmer James Simon die [7][Ausgrabung der
Nofrete] mitfinanzierte.
Lupfer: Oder diejenigen, die während der deutschen Kolonialherrschaft in
Tansania naturhistorische Fundstücke, etwa Dinosaurierfunde, nach
Deutschland bringen ließen. Wenn es Objekte gibt, die man heute als
koloniales Raubgut anerkennen würde und die dann in eine jüdische Sammlung
kamen, die ihrerseits NS-bedingt enteignet wurde, womöglich danach sogar in
der DDR in unrechtmäßigen Besitz gelangte, da gäbe es ziemliche
Interessenskonflikte. Es könnte sehr schmutzig und unappetitlich werden,
anhand solcher Objekte genau durchzudeklinieren, welches Unrecht zuerst
kommt, welches mehr Gewicht hätte als das andere.
taz: Was passiert, wenn solch ein Einzelfall eintritt, wenn ein Objekt etwa
koloniales Raubgut ist und NS-bedingt entzogen wurde, vielleicht sogar von
beiden Seiten Rückgabegesuche kommen? Dann müsste doch ein Museumsträger
diese Wertung vornehmen?
Lupfer: Theoretisch ja. Meines Wissens nach ist so ein Fall noch nicht
eingetreten. Aber wenn, dann müssten rechtliche und moralische Aspekte
abgewogen werden. Ich vermute, dass die Entscheidung dann zugunsten einer
Rückgabe an die Nachfahren eines NS-Entzugs erfolgen würde.
taz: Warum?
Lupfer: Das würde wahrscheinlich aufgrund der nicht zur Disposition
stehenden moralischen Verpflichtung Deutschlands geschehen, die aus der
Einzigartigkeit des Holocaust resultiert.
taz: In Kairo wurde das Neue Große Ägyptische Museum eröffnet. Ein
überwältigender Bau, nur fehle ihm die Nofretete, beklagen viele. Die Büste
kam 1913 auf juristisch sauberem Weg in Besitz der Berliner Museen, wenn
auch aus einem kolonialen Zusammenhang heraus. Was bräuchte es für eine
Rückgabe an Ägypten?
Lupfer: Das müsste eine politische Entscheidung sein. Aber ich glaube, das
entspricht nicht der aktuellen politischen Konjunktur. Und eine Rückgabe
durchzufechten, wäre schwierig: Obwohl man rechtlich auf der sicheren Seite
ist, setzt man sich für einen politischen Akt darüber hinweg? Jeder
Politiker, der eine Rückgabe der Nofretete fordert, würde sich damit
Probleme bereiten.
taz: Was ist aus dem Gedanken vom Museum als internationale
Museumskooperation geworden? Kulturgüter sind darin von universellem
Besitz, nicht von nationalem, sie wandern von Museum zu Museum, von Land zu
Land.
Lupfer: Das ist leider nur eine schöne Idee, die den Realitätscheck nicht
aushält. Was passiert, wenn jemand sagt: ‚Ich habe jetzt diese Leihgabe,
aber nach meinem Rechtsempfinden gehört sie hierher und ich gebe sie nicht
wieder zurück‘? Und bei fragilen Objekten kommt irgendwann die Frage auf,
ob sie wirklich ein Jahr in Berlin, ein Jahr in Kairo, ein Jahr in
Johannesburg gezeigt werden können. Ist das dem Objekt gegenüber
verantwortbar?
26 Nov 2025
## LINKS
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[5] /NS-Raubkunst/!6057304
[6] /Umgang-mit-NS-Raubkunst/!6064243
[7] /Wandel-der-Berliner-Museen/!5885648
## AUTOREN
Sophie Jung
## TAGS
Kunst und Abstraktion
Raubgut
Kunstbetrieb
Ägypten
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