| # taz.de -- Ökonom zu Habecks Sozialabgaben-Vorstoß: „Die Idee scheint mir … | |
| > Die Grünen wollen auch Kapitalgewinne mit Sozialabgaben belegen. Das löse | |
| > jedoch nicht das Finanzierungsproblem der Krankenkassen, sagt Ökonom | |
| > Friedrich Breyer. | |
| Bild: Visite im Krankenhaus: Wer zahlt wie viel fürs Gesundheitssystem? | |
| taz: Herr Breyer, wie steht es um die Finanzierung unseres | |
| Gesundheitssystems derzeit? | |
| Friedrich Breyer: Die Krankenkassen haben einen größeren Finanzbedarf als | |
| von der Bundesregierung vorhergesehen, die Beitragssätze sind [1][in diesem | |
| Jahr besonders stark gestiegen]. Wir haben ein Ausgabenproblem in der | |
| gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Alterung der Gesellschaft und | |
| vor allen Dingen der medizinische Fortschritt schlägt sich jetzt nieder. | |
| Gleichzeitig hat Deutschland eine stagnierende Wirtschaft, in der Industrie | |
| gibt es Arbeitsplatzabbau, die Einkommen und damit die Basis für die | |
| Beiträge wachsen nicht stark. Und damit werden die Beitragserhöhungen bei | |
| der Kranken- und [2][Pflegeversicherung] zum Problem. | |
| taz: Wie kann das weitergehen? | |
| Breyer: Es kommt darauf an, wie viel die jüngere Generation bereit ist von | |
| ihrem Einkommen für ständig steigende Beitragssätze auszugeben. 2019 hatte | |
| der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) versprochen, der | |
| Gesamtbeitrag zur Sozialversicherung werde nicht über 40 Prozent steigen. | |
| Inzwischen sind wir im Durchschnitt bei 42,3. Irgendwann wird eine Grenze | |
| erreicht sein. | |
| taz: Robert Habeck hat als Lösung vorgeschlagen, [3][Sozialabgaben nicht | |
| nur auf Lohneinkommen, sondern auch auf Kapitalgewinne] zu erheben. Wie | |
| finden Sie das? | |
| Breyer: Die Idee von Habeck scheint mir im Moment ziemlich unausgegoren. | |
| Denn solange man nicht den Kreis der Versicherten ändert, belastet man nur | |
| jene gesetzlich Versicherten stärker, die zusätzliches Kapitaleinkommen | |
| haben. Bleibt die Beitragsbemessungsgrenze auf der Höhe, auf der sie ist, | |
| wird sich nicht viel ändern. Die Frage ist doch: Wie schafft man es, | |
| [4][die Privatversicherten an der Umverteilung innerhalb der gesetzlichen | |
| Krankenversicherung zu beteiligen]? | |
| taz: Wieso wird Kapital anders behandelt als Lohn? | |
| Breyer: Dafür muss man ausholen. Als die gesetzliche Krankenversicherung | |
| Ende des 19. Jahrhunderts gegründet wurde, war ihr hauptsächlicher Zweck | |
| die Lohnfortzahlung, das heutige Krankengeld. Wenn die hauptsächliche | |
| Leistung das Krankengeld ist, dann ist natürlich auch die Bemessung an den | |
| Löhnen die richtige Finanzierung. Eine Person mit höherem Lohn erhält im | |
| Krankheitsfall auch eine höhere Lohnfortzahlung. Inzwischen ist die | |
| Lohnfortzahlung aber nur noch etwas über 6 Prozent der | |
| Krankenkassenausgaben. Jetzt wirkt der Beitrag wie eine Steuer, weil die | |
| Leistung völlig unabhängig ist von dem, was man an Beiträgen gezahlt hat. | |
| Und da könnte man sich grundsätzlich auch andere Bemessungsgrundlagen | |
| vorstellen. | |
| taz: Die Grünen und auch die SPD fordern in ihren Wahlprogrammen eine | |
| Bürgerversicherung. Meinen Sie, Herr Habeck will darauf hinaus? | |
| Breyer: Seit der Rürup-Kommission, seit 20 Jahren kämpfen die linken | |
| Parteien – die SPD und mit ihr auch die Grünen und die Linkspartei – für | |
| eine Bürgerversicherung. Es kommt bei jedem Wahlkampf wieder. Unter einem | |
| Gerechtigkeitsgesichtspunkt wäre das auch völlig richtig. Doch per Gesetz | |
| alle Bürger in die GKV zu zwingen wäre eindeutig verfassungswidrig. Das | |
| gilt mit Sicherheit für die Bestandsversicherten bei den privaten | |
| Krankenversicherungen (PKV). Und selbst wenn man nur den Zugang neuer | |
| Versicherter zur PKV sperren wollte, wäre Artikel 12 Grundgesetz (Freiheit | |
| der Berufsausübung) berührt. Was Habeck praktisch will, ist also eine | |
| Bürgerversicherung, ohne es Bürgerversicherung zu nennen. Weil er | |
| eigentlich weiß oder seine Berater wissen, dass die Bürgerversicherung | |
| jetzt nicht so Knall auf Fall eingeführt werden kann. | |
| taz: Welche anderen Optionen gäbe es denn, um die gesetzliche | |
| Krankenversicherung zu finanzieren? | |
| Breyer: Man kann eine Kopfpauschale einführen in der GKV. Dann wäre der | |
| Kassenbeitrag für alle Erwachsenen gleich hoch, und dazu käme ein | |
| steuerfinanzierter Sozialausgleich. | |
| taz: Pauschalen belasten aber kleine und mittlere Einkommen | |
| überdurchschnittlich stark. | |
| Breyer: Keiner zahlt mehr als einen bestimmten Prozentsatz, zum Beispiel 17 | |
| Prozent seines Einkommens, so wie es heute auch der Fall ist. Alle Leute | |
| mit unterdurchschnittlichem Einkommen bekommen etwas vom Finanzamt zurück, | |
| nämlich beim Lohnsteuerjahresausgleich. Und wer gar nichts verdient, der | |
| bekommt den gesamten Beitrag erstattet, und zwar den durchschnittlichen | |
| Beitrag aller Kassen, in Form einer Steuerrückzahlung. Damit wären auch | |
| Privatversicherte an den Kosten der GKV beteiligt. | |
| taz: Es scheint verhakt zu sein. Was wäre denn aus Ihrer Sicht ein erster | |
| Schritt hin zu einer Finanzierungsreform des Gesundheitssystems? | |
| Breyer: Unser Sozialsystem ist kompliziert und es gibt keine Stellschraube, | |
| die man mal eben so drehen kann, und schon ist der Beitragssatz um ein | |
| halbes Prozent geringer. Das geht nicht. Was hilft, sind große Reformen. | |
| Neben der Beitragsfinanzierung wird man auch über Leistungseinschränkungen | |
| diskutieren müssen. Das kann man nicht in einem ersten Schritt mal machen, | |
| dazu braucht es eine Kommission; dann wird wahrscheinlich im Bundestag | |
| Jahre darüber gestritten werden müssen. | |
| 15 Jan 2025 | |
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