# taz.de -- Tarwater-Konzert in Berlin: Ständig in Bewegung | |
> Das Duo Tarwater und das Quartett The Morning Stars brachten im | |
> Hebbel-Theater Hits und ließen es knistern und knacken. Genaues Hinhören | |
> war angesagt. | |
Bild: Ronald Lippok (links) und Bernd Jestram sind als „Tarwater“ ständig … | |
Zu erzählen ist von einem Abend der Detailfreude. Im Foyer des | |
Hebbel-Theaters, zwischen der Traditionskneipe „Zum Frosch“ und dem eher | |
ausdrucksschwachen Potsdamer Platz, erinnert eine Wand an den Architekten | |
Oskar Kaufmann und den Regisseur Eugen Robert, unter denen das Haus 1907/08 | |
erbaut wurde. Darunter eröffnet ein Guckkasten den Blick auf ein Modell des | |
Theaters. Hineinschauen empfiehlt sich, nicht zuletzt, wenn der Weg über | |
steile Treppen auf den zweiten Rang führt, von dem sich ein | |
schwindelerregender Blick in den Theatertrichter bietet. Der Klang dort | |
oben ist exzellent. Das sollte vergangenen Freitag wichtig werden. | |
Das Duo Tarwater und das Quartett The Morning Stars hatten in das | |
Jugendstilgebäude zu einem Wochenausklang eingeladen. In Varieté-Tradition | |
hätten sich die Morning Stars auch Die Luzifers nennen können. Es handelt | |
sich bei ihnen um eine vergleichsweise junge Band bekannter Berliner Namen: | |
Sebastian Vogel (Schlagzeug), Alex Paulicks (Bass), Felix Müller-Wrobel | |
(Gitarre) und [1][Barbara Morgenstern] (Keyboard). | |
Die Morning Stars, Visualisierungen ihres Namens leuchten auf dem violett | |
getönten Bühnenhintergrund, eröffnen das Konzert abendlich-sachte gestimmt, | |
doch nach zwei Songs wird sich das ändern. Am Ende des Auftritts wird man | |
Paulicks, Wrobel und Morgenstern singen gehört haben. „Trap“, das vorletzte | |
Stück, ist kantig und vertrackt. Die Gitarre schreddert die Woche, das | |
Keyboard bricht aus. Vogel macht einen Rockstar-Salto und wirft die | |
Drumsticks himmelwärts. Mehr davon! | |
## Auf der Bühne geht es luftig zu | |
In der Umbaupause lässt sich das Theaterlabyrinth erkunden. Das Haus | |
erinnert an eine altehrwürdige Bibliothek: Eichenholz und Nussbaum, | |
Birnbaum, Rosenholz und Perlmutt. Hinter den Glastüren des Treppenhauses | |
wird der Schnee zur Pfütze. Tarwater, das Duo Bernd Jestram und [2][Ronald | |
Lippok,] haben es 2008 in der Volksbühne in einer „Tosca“-Inszenierung | |
schneien lassen. Im Hebbel-Theater steigen sie mit „On Waves and Years“ vom | |
neuen, 13. Album „Nuts of Ay“ ein. Auf der Platte ist das ein von Carsten | |
Nicolai alias Alva Noto, mit Schneider TM, Lars Rudolph und [3][Masha | |
Qrella] einer von vier Gästen des Albums, elektronisch minimalistisch | |
grundierter Song. Live kommt das um einiges geräuschafter, perkussiver | |
daher. Genaues Hinhören ist angesagt. | |
Dabei geht es auf der Bühne ausgesprochen luftig zu. Zwei Keyboards auf | |
zwei Tischen, wesentlich mehr scheinen Sänger Lippok und Bassist Jestram | |
nicht zu brauchen. Der Tarwater-Sound beruht auf dem Kniff, singbare, | |
folkhafte Melodien und hypnotische Rhythmen mit Sprechgesang und einer | |
Vielzahl frappierender Klangpartikel zu kombinieren. Einige Songs nur, und | |
Lippok greift zur Triola. Bei Tarwater knackt und knistert es, es dreht und | |
bewegt sich. Gast des Konzerts ist der Videokünstler Lillevan, bekannt aus | |
dem Hörkino-Ensemble Rechenzentrum. | |
Lillevan hinterlegt Lippok und Jestrams Musik mit improvisierten | |
Projektionen. Farben, Formen, ständig in Bewegung, wüstengelb, feuerrot. Es | |
gibt Momente, in denen das bestürzend heutig wird: „When Love Was The Law | |
In Los Angeles“ vom Album „Spider Smile“ ist ein nicht ganz harmloser | |
Tarwater-Hit, in dem das große Tier Aleister Crowley nach Hollywood kommt | |
und die Traumfabrik brennt. | |
## Vier Zugaben | |
Tarwater sind modern und geschichtsbewusst: Der Name des Duos referiert die | |
Credits auf einer LP der US-amerikanischen Pyschedelic-Band Love, einer von | |
vielen, bei denen Einfluss und Einkommen nicht kongruent waren. Tarwater | |
bringen Coverversionen von Geistesverwandten in das Hebbel-Theater: Da ist | |
„Babylonian Tower“, ein Lied aus den Achtzigerjahren von der israelischen | |
Post-Punk-Band Minimal Compact, „Everybody Had A Hard Year“ von John | |
Lennon, oder „USA“, ein Song, den Shane MacGowan (1957–2023) für die Pog… | |
geschrieben hat. Bei der Irish-Punk-Band ist das ein Tresentosen, bei | |
Tarwater eine elegische Elektro-Miniatur. | |
Zweimal kommen Tarwater zu insgesamt vier Zugaben auf die Bühne. Eine | |
davon, „Dogs and light tents“, ist auf dem Album „Dwellers on the | |
Treshhold“ ein bündiges, instrumentales Intermezzo. Im Konzert entfalten | |
Tarwater daraus einen Strauß an Ideen und Motiven. Sie spielen am Vorabend | |
des Geburtstags von Bert Papenfuß (1956–2023). Der Dichter war mit Bernd | |
Jestram und Ronald Lippok lang befreundet und hat mit ihnen | |
zusammengearbeitet. Papenfuß hat Tarwater einmal eine „People’s Band“ f�… | |
die „Beautiful People“ genannt. Sie gehen in die Nacht, aber sie gehen | |
nicht fort. | |
12 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
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