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# taz.de -- Punk Soul Brothers gegen Menschmaschine: Da hilft nur Hubschraubere…
> Wer bringt die Masse zur Ekstase? Im Hamburger Bahnhof traten die
> Brüderpaare Nicolai und Lippok zu ihrem traditionellen DJ-Battle an.
Bild: Die Brüder Robert und Ronald Lippok beim DJ-Battle im Hamburger Bahnhof
Das Bier schmeckt wie Gemüsebrühe (Craft Beer, soll so sein) und kostet
vier Euro. Die Bassdrum verwummert sich. Klingt, als trage man ein Aquarium
auf dem Kopf. Eine Bahnhofshalle als Austragungsort für ein DJ-Battle zu
wählen, ist nicht optimal, die Leute vom Biertrinken abzuhalten auch nicht.
Der Berichterstatter hat dezent schlechte Laune.
Es ist Samstagabend, zur Feier von 20 Jahre „Musikwerke Bildender Künstler“
wurde in den Hamburger Bahnhof eingeladen, um der Serie Lippok Bros. versus
Nicolai Bros. eine weitere Episode hinzuzufügen. Das letzte Battle zwischen
den Brüderpaaren fand im Festsaal Kreuzberg statt, noch vor dem Brand.
Und wie ich so darüber nachsinne, wie das ausgegangen war, fällt mir ein,
dass ich bei der Jury einspringen musste, weil ein Juror wegen Trunkenheit
mittendrin ausgefallen war. Damals trank man nicht Craft, sondern Bier.
Oder gleich Wodka. Auch einer der DJs nahm, gestresst von der Crowd, deren
Urteil für den DJ wichtiger ist als das der Jury, im Laufe des Abends einen
derart kräftigen Schluck aus der Pulle, dass er seinen Plattenspieler nicht
mehr bedienen konnte.
Meike Jansen hatte mich also flugs als Ersatzjuror vereidigt, schon saß ich
oben auf der Balustrade und konnte beobachten, welcher Track von den Leuten
gefeiert wurde.
Die Bahnhofsjury hat Tafeln wie beim Eiskunstlauf, mit schwarzen Ziffern
von 1 bis 6 auf weißem Grund. Jedes Team spielt abwechselnd zwei Stücke,
dann kann man sehen, wie hinter dem Jurytisch, von dem wir Energiebällchen
klauen, die Tafeln nach oben gehen. Meist mit Noten zwischen 4 und 6, weil
sich die Brothers Mühe geben.
## Machine versus Soul
Bei den Nicolaibrüdern handelt es sich um die Künstler Olaf und Carsten aus
Karl-Marx-Stadt. Letzterer produziert auch strenge elektronische Musik,
seine Bahnhofstracks mischt er digital. Olaf versucht Vinyl aufzulegen,
kann sich meist aber nicht durchsetzen. Dafür tanzt er zur Musik der
Lippoks, wofür er von mir Bonuspunkte bekommt.
Ronald und Robert Lippok kommen aus der Hauptstadt der DDR, vom
Zionskirchplatz. [1][Sie spielten in Bands wie Ornament & Verbrechen,
Tarwater und To Rococo Rot.] Sie kämpfen gegen die Nicolais vor der
massiven Soundinstallation „Bergama Stereo“ von Cevdet Erek, dessen
grandiose Band Nekropsi ich kürzlich in Istanbul gesehen habe, aber das ist
eine andere Geschichte.
„What we see here“, sagt meine Begleiterin, „is a fight of Machine vs.
Soul.“ Korrekt, die Menschmaschine Nicolai spielt meist ordentlichen, aber
undramatischen Techno, der gut abgeht. Einmal trauen sie sich was, als sie
„Hubschraubereinsatz“ von Foyer des Arts zum Besten geben:
„Scheinasylanten, Scheinasylanten, überall, überall Scheinasylanten. Da
hilft nur noch Hubschraubereinsatz!“
Die Laune wird deutlich besser. Inzwischen ist die Lautstärke hochgedreht
worden; wenn man vor der Bühne steht, kann man sogar tanzen. Das machen nun
fast alle. Die Punk Soul Brothers Lippok bringen nicht nur Blumfeld zu
Gehör, sondern auch „I am the fly“ von Wire. Dazwischen droppt Robert
Lippok R&B und Grime, und Ronald scratcht, was die internationalen Kids
zum Durchdrehen bringt.
In den Tanzpausen stellt sich heraus, dass selbst eine Virusepidemie den
Impfgegner nicht vom Egoismus kuriert, es wird mit Juroren gestritten und
Monika Döring zum Rauchen trotz Verbots beglückwünscht. Wir haben Spaß,
craftless.
Wer hat gewonnen? Die Stimme von Referee Max Dax verhallt überm Bahnsteig.
Ich vermute, alle Züge verkehren heute in umgekehrter Wagenreihung.
6 Mar 2020
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## AUTOREN
Ulrich Gutmair
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Planningtorock
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