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# taz.de -- Todesgefahr durch „Kugelbomben“: Bombenstimmung nach Silvester
> Nach Explosionen mit Todesopfern reden alle von Kugelbomben. Doch die
> seien nichts Neues, sagt ein Experte. Das Problem: ihre leichte
> Verfügbarkeit.
Bild: Durch die Explosion einer mutmaßlichen „Kugelbombe“ sind Fenstersche…
Berlin taz | Kleinbusse von Glaserfirmen sind an der Hauptstraße, Ecke
Vorbergstraße aufgereiht, auf dem Boden glitzern Scherben. Es ist der 2.
Januar. Im Minutentakt schleppen Handwerker kaputte Fensterflügel aus den
Häusern zu den Fahrzeugen. Gleich an Ort und Stelle wird entglast, neu
verglast, Kitt in die Ritzen, fertig und zurück ins Haus. Wie viele Hundert
Scheiben erneuert werden müssten, wisse er noch nicht, sagt ein Vorarbeiter
mit einem Klemmblock unter dem Arm. Ein alter Hausbewohner habe ihm
erzählt, dass er geschlafen habe, als die Explosion erfolgte. „Seine
Bettdecke war mit Scherben übersät.“
Die Kugelbombe, die in der Silvesternacht in Schöneberg gegen zwei Uhr in
der Belziger Straße 1 gezündet worden war, hat eine ungeheure Sprengkraft
entfaltet. Sieben Wohnhäuser im Umkreis von fast 100 Metern waren
betroffen, 36 Wohnungen zunächst unbewohnbar. Fünf Menschen wurden
verletzt, zwei davon mussten zur Behandlung ins Krankenhaus.
Das geschäftige Treiben der Handwerker mischte sich am Donnerstag mit
Sensationstourismus. Fotos und Filme von den Häusern wurden gemacht. Ein
Passant zeigte auf seinem Handy ein bei Tiktok gefundenes Video vom Moment
der Detonation. Es sei ein Wunder, dass es keine Schwerverletzten oder
Toten gebe, ist er sich mit den Umstehenden einig.
„Total verrückt“, sagt ein Mann im roten Anorak, der mit einem Fahrrad
ankommt. „Da oben im ersten Stock ist mein Zahnarzt, ich wollte gerade
einen Termin machen.“ In der Praxis ist kein Fenster heil geblieben. „Aber
jetzt müssen sie es verbieten“, bricht es aus einer älteren Frau mit
Wollmütze heraus. Sie meint das Silvesterfeuerwerk.
## „Für den professionellen Einsatz“
„Der Begriff Kugelbombe ist veraltet“, sagt Felix Martens, „man spricht
heute von Feuerwerkskugel.“ Der 36-Jährige ist Soziologe und staatlich
geprüfter Pyrotechniker sowie Mitglied im [1][Bundesverband für Pyrotechnik
und Kunstfeuerwerk e.V.] „Das Phänomen ist nicht neu, sagt Martens der taz,
„es erfährt allerdings eine hohe Aufmerksamkeit.“ Auch, so vermutet er,
weil der Begriff „Kugelbombe“ medial sehr gut funktioniere.
Feuerwerkskugeln sind „pyrotechnische Gegenstände für den professionellen
Einsatz“ und „in Deutschland auf legalem Wege für Laien aus sehr guten
Gründen nicht erhältlich“, erklärt der Fachmann. Gedacht sind sie als
Höhenfeuerwerk, um in 100 Metern in alle Richtungen zu explodieren.
Explodieren sie am Boden besteht eine besondere Gefahr.
Neben dem Vorfall in Schöneberg kam es nach Angaben der Polizei zu mehreren
Vorfällen mit Feuerwerkskugeln. Im Bottroper Weg in Tegel erhielt ein
Siebenjähriger bei einer Explosion lebensgefährliche Verletzungen und
musste notoperiert werden. Sieben weitere Personen wurden ebenfalls
verletzt. Schwere Beinverletzungen erlitt zudem ein Polizeibeamter bei
einer Kugelbombendetonation an der Prenzlauer Allee. Gleich mehrere
Explosionen gab es in der Neuköllner Schillerpromenade; dabei wurden
Hausfassaden und zwei Wagen beschädigt.
Der bislang schwerste Vorfall in Berlin ereignete sich in der
Silvesternacht 2021/22 in Friedrichshagen. Dabei wurden 16 Menschen zum
Teil schwer verletzt. Zwar wurde damals ein Abschussgestell für die illegal
in Polen erworbene Pyrotechnik verwendet, doch dieses kippte um, die
Kugelbombe detonierte in der Menschenmenge. Das Landgericht verurteilte den
Haupttäter dieses Jahr wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer
Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten.
## „Da reicht ein halbes Gramm“
Relativ glimpflich kam ein 21-jähriger Berliner davon, der eine Kugelbombe
verkaufte, bei deren Zündung 2023 ein Mann in Hennef ums Leben kam. Die
Staatsanwaltschaft hatte ihn wegen fahrlässiger Tötung angeklagt, das
Gericht folgte der Argumentation aber nicht. Für den illegalen Handel und
einige weitere Delikte erhielt der Jugendliche vor einem Jahr letztlich
eine Gesamtstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.
Das Problem ist laut Martens die Verfügbarkeit. „Im Prinzip kann man sie
mit ein paar Klicks übers Internet aus dem europäischen Ausland bestellen.“
Sie kommen über den normalen Postweg hier her oder werden über die Grenze
geschmuggelt.
Das gelte auch für hierzulande illegale Blitzknallböller: Das sind
Knallkörper mit einer pyrotechnischen Mischung, die viel stärker als
herkömmliches Schwarzpulver ist. „Da reicht im Prinzip ein halbes Gramm, um
sich eine Hand wegzufetzen.“ Martens glaubt, dass etliche Fälle mit
Verletzten und Toten, die der „Kugelbombe“ zugeschrieben werden, eher auf
das Konto von Blitzknallböllern gehen. Zu Schöneberg sagt er: „Das ist sehr
sicher das Ergebnis eines Selbstbaus und keines einer Kugelbombe, sondern
etwas viel Stärkeres und Fieseres. Das ist Sprengstoffkriminalität.“
Generell gelte, dass Feuerwerkskugeln der Kategorie F4 nicht vergleichbar
mit dem Kleinfeuerwerk der Kategorie F2 ist, das es legal zu Silvester zu
kaufen gibt. Das sind Feuerwerkskörper, die für den Laien bestimmt auch
ohne jegliche Fachkenntnisse benutzt werden können. Bei pyrotechnischen
Gegenständen, die schwere Verletzungen oder sogar Todesfälle verursachen,
die eine 100- oder bis zu 1.000-fache Explosivkraft haben, herrschen ganz
andere Bedingungen. Sie setzen Fachkenntnisse voraus, um sicher verwendet
zu werden.
## Illegalen Handel eindämmen
Martens sieht ein politisches Problem: Es gab zwar gerade eine
Strafrechtsverschärfung auf Bundesebene, doch von den Landeskriminalämtern
sei zu hören, dass es im Prinzip eine zahnlose Verschärfung ist, weil kaum
Ressourcen da sind, um auch grenzüberschreitend zu ermitteln, um diesen
illegalen Handel einzudämmen.
Der innenpolitische Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus, Burkhard Dregger,
forderte am Donnerstag schärfere Grenzkontrollen, um die Einfuhr von
Kugelbomben zu verhindern. Bürgermeister Kai Wegner (CDU) verwies auf die
Zuständigkeit von Bundesregierung und Bundespolizei und sprach sich zudem
für eine Verschärfung des Waffenrechts aus. Ein generelles Böllerverbot
lehne er dagegen ab.
Martens plädiert für „den richtigen kriminalistischen Ansatz, um den
illegalen Handel trockenzulegen. Das wäre besser, als 3.000 Polizisten auf
die Straße zu schicken“. Und besser als Böllerverbotszonen.
Noch besser wäre Prävention. Solange der Staat nicht in der Lage sei, die
Bevölkerung in der Form zu schützen, die nötig wäre, sollte man zumindest
sensibilisieren. Die Berliner Feuerwehr etwa macht das mit einem
Präventionsprojekt, das auch Felix Martens unterstützt. Doch davon müsste
es viel mehr geben.
2 Jan 2025
## LINKS
[1] https://bvpk.org/
## AUTOREN
Andreas Hergeth
Erik Peter
Plutonia Plarre
## TAGS
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Handel
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