# taz.de -- Jahresbilanz Tusk-Regierung: Re-Demokratisierung Polens schwieriger… | |
> Die erste Bilanz der polnischen Regierung nach einem Jahr fällt | |
> durchwachsen aus. Vor allem Frauen sind enttäuscht. Außenpolitisch jedoch | |
> gibt es Erfolge. | |
Bild: Innenpolitisch ist die Regierung Tusk nach einem Jahr noch nicht so weit,… | |
Warschau taz | Der liberalkonservative Donald Tusk wusste, worauf er sich | |
einließ, als er Mitte Dezember 2023 erneut den Amtseid als Premier Polens | |
ablegte. Anders als zwischen 2007 und 2014 wartete dieses Mal eine | |
Herkulesaufgabe auf ihn. Denn nach acht Jahren PiS-Herrschaft gab es in | |
Polen keine Gewaltenteilung mehr, das eigentlich unpolitische | |
Verfassungsgericht war zu einem Herrschaftsinstrument der | |
nationalpopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) verkommen, und | |
der einst öffentlich-rechtliche Rundfunk sendete fast nur noch | |
PiS-Parteipropaganda. | |
Tusk schrieb sich die Re-Demokratisierung seines Heimatlandes auf die | |
Fahnen, die Wiederherstellung von Pressefreiheit, Rechtsstaat und Polens | |
gutem Ruf in der Welt. Nach einem Jahr ist es Zeit für eine erste Bilanz. | |
Natürlich war Tusk klar, dass es nicht leicht würde. Dennoch hatten er und | |
seine Anhänger die Schwierigkeiten unterschätzt. | |
Nicht nur Polens Präsident Andrzej Duda – er hatte viele die Demokratie | |
zerstörende PiS-Gesetze durch seine Unterschrift erst möglich gemacht – | |
sträubt sich gegen die Re-Demokratisierung seines Landes. Auch das | |
Verfassungsgericht spricht seine Urteile fast ausschließlich im Sinne der | |
PiS-Partei. Immerhin senden die [1][Öffentlich-Rechtlichen – TVP, Radio | |
Polskie und die 16 Regionalsender – wieder objektive Nachrichten]. | |
Oppositionelle sind keine Vaterlandsverräter mehr, Geflüchtete nicht | |
durchweg Kriminelle und auch der LGBT-Community wird nicht mehr ihr | |
Menschsein abgesprochen. Die PiS, die sich vehement gegen den Verlust ihres | |
mächtigen Propagandaapparates wehrte, behauptete dreist, dass die | |
Abschaltung ihres Senders illegal sei, doch [2][die renommierten | |
Verfassungsrechtler Ewa Łetowska] und Andrzej Zoll machten schnell klar, | |
dass die Tusk-Koalition die Verfassung und damit das Recht auf ihrer Seite | |
hatte. | |
## Wahlversprechen zu Frauenrechten nicht gehalten | |
Enttäuscht von der neuen Mitte-links-Regierung sind die Frauen. Sie hatten | |
sich eine [3][schnelle Liberalisierung des strikten Abtreibungsrechts] und | |
eine Wiederherstellung der Frauenrechte erhofft. Noch nie zuvor hatten so | |
viele Polinnen – rund 74 Prozent aller Wahlberechtigten – ihre Stimme | |
abgegeben. Doch hier scheiterte die Koalition an sich selbst. | |
Dabei sind es weniger politische Überzeugungen, die Tusks | |
liberalkonservative Bürgerkoalition (KO), das christlich-agrarische | |
Wahlbündnis Dritter Weg (Polska 2050 und Bauernpartei PSL) und die Neue | |
Linke (NL) auseinander treiben, als Machtkalkül und öffentlichkeitswirksame | |
Profilierungsversuche auf Kosten der anderen Koalitionspartner. | |
Insbesondere die Bauernpartei PSL hofft mit ihrer schroffen Ablehnung einer | |
Liberalisierung des Abtreibungsrechts bei Polens immer noch mächtiger | |
katholischer Kirche zu punkten. Wenn Hunderte Priester von den Dorfkanzeln | |
das Hohelied der PSL singen, zeigt sich das umgehend an den | |
Wahlergebnissen. So musste Tusk nach Monaten interner Verhandlungen | |
eingestehen, dass sein Wahlversprechen zur Wiederherstellung der | |
Frauenrechte mit dieser Koalition nicht zu realisieren sei. Immerhin die | |
künstliche Befruchtung (in vitro) ist wieder zugänglich und die „Pille | |
danach“ in vielen Apotheken wieder rezeptfrei erhältlich. | |
## Außenpolitische Erfolge | |
Wesentlich besser sieht Tusks Erfolgsbilanz in der Außenpolitik aus. Die | |
EU-Kommission hat das gegen Polen angestrengte | |
Rechtsstaatlichkeitsverfahren eingestellt und Milliarden Euro bislang | |
gesperrter Zuschüsse aus dem Coronawiederaufbaufonds freigegeben. | |
Mit der Übernahme des EU-Ratsvorsitzes am 1. Januar will Polen möglichst | |
viele Entscheidungen zur „Sicherheit aller EU-Staaten“ herbeiführen. Das | |
Land strebt eine führende Rolle in der EU an, initiiert neue Formen der | |
Zusammenarbeit wie zuletzt mit den skandinavischen und baltischen Staaten. | |
Der Neustart in den deutsch-polnischen Beziehungen, der [4][mit den | |
deutsch-polnischen Regierungskonsultationen im Juli 2024 Fahrt aufnehmen | |
sollte], ist allerdings über ein Paket freundlich formulierter | |
Absichtserklärungen noch nicht hinausgekommen. | |
[5][Krzysztof Ruchniewicz], der neu ernannte Regierungskoordinator für die | |
deutsch-polnischen Beziehungen, ist allerdings zuversichtlich: „Noch | |
sprechen wir keine gemeinsame Sprache. Aber das ist nach acht Jahren PiS | |
auch nicht zu erwarten. Wichtig ist, dass wir nun wieder zusammenarbeiten | |
wollen.“ | |
1 Jan 2025 | |
## LINKS | |
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[4] /Deutsch-polnische-Gespraeche/!6021291 | |
[5] /Historiker-Ruchniewicz-ueber-Vertriebene/!5256667 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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