Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Deutsch-polnische Beziehungen: „Man erwartet von einer deutschen …
> Es fehle das Verständnis füreinander, sagt Krzysztof Ruchniewicz, Polens
> Beauftragter für die deutsch-polnischen Beziehungen. Dabei stünden die
> beiden Länder vor großen Herausforderungen.
Bild: Strammstehen in Krakau: Polnischer Soldat beim Gedenken zum 85. Jahrestag…
taz: Herr Ruchniewicz, Sie sind seit Juni in Polen für die
deutsch-polnische Beziehungen zuständig. Löschen Sie da überall Feuer? Ruft
Premier Donald Tusk Sie an und bittet darum, dass Sie den Streit mit
Kanzler Olaf Scholz schlichten?
Krzysztof Ruchniewicz: Nein, ich bin zwar sehr nah am politischen
Geschehen, aber was Kanzler Scholz und Premier Tusk am Telefon besprechen,
etwa nach dem Anruf von Scholz beim russischen Diktator Wladimir Putin,
weiß ich natürlich auch nicht. Für uns ist es unverständlich, dass Scholz
sich vor seinem Gespräch über den russischen Vernichtungskrieg in der
Ukraine mit Verbündeten im Westen berät, Tusk aber erst im Nachhinein
informiert. Wir sind Nachbarn der Ukraine. Hier sind schon mehrere
fehlgeleitete Raketen reingeflogen. Wir sind Frontstaat.
taz: Dafür giftete Tusk nach der verheerenden Attacke auf ukrainische
Strom- und Heizkraftwerke nur einen Tag nach dem
[1][Scholz-Putin-Gespräch], dass Telefondiplomatie Putin nicht stoppen
werde.
Ruchnieiwicz: Ja, und dass Telefondiplomatie die tatsächliche Unterstützung
der Ukraine durch den ganzen Westen nicht ersetzen könne. Aber da hat er
doch recht, oder?
taz: Ja, natürlich. Aber der Ton macht den Unterschied. Tusk hat ja schon
mehrere solcher Tweets auf der Plattform „X“ gepostet. Besser werden die
deutsch-polnischen Beziehungen dadurch nicht.
Ruchniewicz: Das Problem liegt tiefer. Wir haben in den letzten acht
Jahren, als die Nationalpopulisten in Polen regierten, unsere gemeinsame
Sprache verloren. Wir reden aneinander vorbei und verstehen uns nicht mehr.
taz: Als Ende letzten Jahres die liberal-konservative Tusk-Koalition an die
Macht kam, hofften viele auf einen Neustart in den Beziehungen der beiden
Nachbarländer. Warum hat das nicht geklappt?
Ruchniewicz: Acht Jahre [2][antideutsche Hetze] in Polen hinterlassen ihre
Spuren. Zumal auch Tusk immer wieder als angeblicher Verräter oder Nazi
diffamiert wurde. Erst vor Kurzem hat PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński
Premier Tusk wieder als „deutschen Agenten“ verleumdet. Zudem haben wir
eine völlig neue Weltlage. Russland hat die Ukraine überfallen. Die sehr
lange polnische Ostgrenze ist zugleich die Außengrenze von EU und Nato im
Osten. Wir Polen müssen diese Grenze verteidigen. Das ist unsere
Verantwortung als Nato-Staat. Denn es geht nicht mehr nur um unsere
Sicherheit, sondern auch um die unserer Verbündeten im Westen. Eine
Rückkehr zur deutsch-polnischen Diplomatie der Jahre 2007 bis 2015, als
Tusk schon einmal Premier Polens war, ist unmöglich. Diese Zeit ist
endgültig vorbei.
taz: Aber beide Seiten wollen doch den Neuanfang. Schon im Juli wurden die
deutsch-polnischen Regierungskonsultationen mit fast allen deutschen und
polnischen Ministern in Warschau abgehalten. Und dann?
Ruchniewicz: Zunächst sah alles gut aus. Der deutsch-polnische
Aktionsplan, der da verabschiedet wurde, ist eine Art „To-do-Liste“ für
die nächsten Jahre. Wir wollen vor allem in den Bereichen Sicherheit und
Verteidigung enger zusammenarbeiten, aber auch in der Wirtschaft, der
Klimapolitik und im grenzüberschreitenden Verkehr. Außerdem sollen die
letzten noch lebenden Opfer des NS-Terrors eine symbolische Entschädigung
erhalten. Da waren sich alle einig. Aber dann scheiterte das Ganze am Geld.
taz: Den angeblich 200 Millionen Euro für die polnischen Opfer?
Ruchniewicz: Genau. Einen Tag vor dem Besuch der deutschen Regierung in
Warschau publizierte eine deutsche Tageszeitung den Betrag. In Polen war
man wie vor den Kopf gestoßen. Das war nicht miteinander abgesprochen. Die
Summe war wohl von den Deutschen in den Vorgesprächen mal genannt worden,
aber wir hatten sie nicht bestätigt.
taz: Weil sie zu klein ist?
Ruchniewicz: Es leben noch rund 60.000 polnische NS-Verfolgte. Das sind
alles hochbetagte Menschen um die 90 Jahre. Diesen Menschen ist nicht zu
vermitteln, wieso sie eine sehr viel niedrigere humanitäre Hilfe oder Rente
bekommen sollen als die deutschen NS-Verfolgten. Polen sind keine Opfer
zweiter Klasse.
taz: Was wäre denn aus polnischer Sicht eine akzeptable Summe?
Ruchniewicz: Ich bin kein Verhandlungsführer. Ich werde keine Zahlen
nennen. Aber es wäre viel geholfen, wenn die Deutschen in größeren
Zusammenhängen und möglichst konkreter denken würden.
taz: Können Sie ein Beispiel nennen?
Ruchniewicz: Ja: Wie viel wollen die Deutschen in welchem Zeitraum in die
deutsch-polnische Sicherheit investieren? Wie viel Geld ist den Deutschen
der Schutz der polnischen und damit der EU- und Nato-Ostgrenze wert?
Welcher Betrag kann im Bundeshaushalt für die deutsch-polnische Energie-
und Klimapolitik reserviert werden? Und sollte es nicht so sein, dass alle
NS-Opfer – egal ob deutsche oder polnische – eine gleich hohe Opferrente
erhalten?
taz: Da kommt ein sehr hoher Betrag zusammen. Ist das realistisch?
Ruchniewicz: Ja, aber wenn das auf EU-Ebene geht, dann erst recht
bilateral. Nur müssten die Deutschen ein bisschen Tempo machen. Immerhin
würde mit diesem großen Finanzpaket auch das leidige Reparations- und
Entschädigungsthema abgeschlossen. Durch die langfristig angelegten
Investitionen in die Sicherheit Polens und Deutschlands – ich meine jetzt
Energie und Militär – kommt eine hohe Summe zusammen, die wir psychologisch
brauchen. Nur eine hohe Summe ist in der Lage, die Bevölkerung auf beiden
Seiten davon zu überzeugen, dass das Thema Reparationen und Entschädigungen
über 80 Jahre nach Kriegsende endlich abgeschlossen ist.
taz: Aber ob das in Deutschland zu vermitteln ist? Was hat Energie- und
Sicherheitspolitik mit Renten für NS-Opfer zu tun?
Ruchniewicz: Das große Finanzpaket würde Vergangenheit und Zukunft der
deutsch-polnischen Beziehungen miteinander verschnüren. Man darf nicht
vergessen, dass in Polen die von der PiS geforderte Reparationssumme in
Höhe von 1,3 Billionen Euro sehr präsent ist. Auch die Mär von den Schecks
in Höhe von jeweils 43.000 Euro, die der Bundeskanzler an jeden Polen und
jede Polin verschicken würde (verbreitet in sozialen Medien in Polen; Anm.
d.Red.), kursiert noch immer in der Gesellschaft. Was wir brauchen, ist
nicht nur die Lösung dieses alten Konflikts, sondern auch ein neues
Narrativ.
taz: Wie würde denn ein Narrativ für die Zukunft lauten?
Ruchniewicz: Wenn sich die Überzeugung durchsetzen würde, dass die
Deutschen zwar nicht die von der PiS geforderten 1,3 Billionen Euro an
Reparationen gezahlt haben, aber doch den noch lebenden NS-Opfern in Polen
einen guten Lebensabend sichern und sehr viel in unsere gemeinsame
Sicherheit investieren, hätten wir den Durchbruch geschafft. Dann könnten
die Polen erneut Vertrauen zu den Deutschen fassen. Die hohe Summe würde
zeigen, dass es den Deutschen wirklich ernst ist.
taz: Das klingt einleuchtend, aber genau dieser Neuanfang ist ja im Juli
gescheitert. Und im Februar stehen in Deutschland Neuwahlen an. Macht es
überhaupt Sinn, die Gespräche jetzt fortzusetzen?
Ruchniewicz: Ja, denn die Aufgaben, denen die Politiker sich stellen
müssen, bleiben ja die gleichen. In den Ministerien befassen sich Beamte
mit dem deutsch-polnischen Aktionsplan. Die können auch in der Zeit des
Wahlkampfes konkrete Maßnahmen vorbereiten, die dann die neuen Minister
umsetzen können. Der Neuanfang in den deutsch-polnischen Beziehungen muss
kommen, egal ob das eine SPD- oder CDU-geführte Regierung sein wird. Die
polnischen NS-Opfer sind hochbetagt. Sie können nicht länger warten.
taz: Was belastet die deutsch-polnischen Beziehungen derzeit am meisten?
Ruchniewicz: Die Sicherheit, auch gerade im Zusammenhang mit dem russischen
Krieg in der Ukraine. Da hat Deutschland durch seine zögerliche Haltung
seit 2022 sehr viel Vertrauen verspielt. Auch wenn Kanzler Scholz immer
wieder behauptet, dass Deutschland nach den USA an zweiter Stelle unter den
Ukraine-Unterstützern steht, erwartet man von einer deutschen Regierung
doch mehr. Da bricht mitten in Europa ein Krieg aus, und Berlin will 3.000
Helme schicken. Gut, da sind wir inzwischen weiter. Aber nur eine deutsche
Brigade in Litauen aufzubauen ist für unsere Region zu wenig.
taz: Was ist mit der Asyl- und Migrationspolitik? Dass [3][Tusk den
EU-Migrationspakt] unterlaufen will, hat in Berlin für ziemliche Aufregung
gesorgt.
Ruchniewicz: Das stimmt. Das ist ein weiteres schwieriges Thema zwischen
unseren Ländern. Allerdings war es Deutschland, das als Erstes Kontrollen
an den EU-Binnengrenzen eingeführt und damit einseitig das EU-Grundrecht
auf Freizügigkeit für polnische Bürger eingeschränkt hat. Das dauert nun
schon über ein Jahr.
taz: Was hat in dieser verfahrenen Situation Priorität für die
deutsch-polnischen Beziehungen?
Ruchniewicz: Es wird an allen Themen gleichzeitig gearbeitet – zumindest
unterhalb der Ministerebene. Aber für mich persönlich hat die humanitäre
Hilfe für die letzten noch lebenden NS-Opfer Priorität. Die könnte auch
eine deutsche Minderheitsregierung mit den Stimmen der CDU/CSU durch den
Bundestag bringen. Außerdem sollte das „Polen-Denkmal“ im Zentrum von
Berlin, also das Denkmal für die im Zweiten Weltkriegs von NS-Deutschland
ermordeten polnischen Staatsbürger, so schnell wie möglich fertig werden.
Dann könnten dort noch einige polnische Zeitzeugen einen Kranz für ihre
Angehörigen niederlegen, bevor die nächste Generation das Gedenken
übernimmt.
11 Jan 2025
## LINKS
[1] /Telefonat-mit-Putin/!6046957
[2] /Antideutsche-Kampagne-in-Polen/!5448243
[3] /Polen-uebernimmt-EU-Ratspraesidentschaft/!6059478
## AUTOREN
Gabriele Lesser
## TAGS
Polen
Donald Tusk
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
NS-Opfer
Social-Auswahl
Polen
Polen
Israel
Polen
Polen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gedenken an polnische NS-Opfer: Wir brauchen bessere Gedenkarbeit
Das Gedenken an die polnischen Opfer des Zweiten Weltkrieges schreitet im
Deutschlandtempo voran. Ein provisorisches Denkmal kann nur ein Anfang
sein.
Merz`Antrittsbesuch in Polen: Erleichterte Glückwünsche aus Warschau
Die Kanzerlerwahl wurde auch von Polens Regierung mit Spannung verfolgt.
Aus gutem Grund. An diesem Mittwoch macht Merz dort seine Aufwartung.
Feier zur Befreiung von Auschwitz: Netanjahu wird in Polen nicht verhaftet werd…
Polens Regierung will den Haftbefehl gegen Netanjahu ignorieren. Bei einer
Einreise zum Auschwitz-Gedenken drohen ihm wohl keine Konsequenzen.
Präsidentschaftswahl in Polen: Wegweiser für Polens zukünftige Politik
Im Mai 2025 wird Polens neuer Präsident gewählt. Der Ausgang der Wahl
entscheidet auch über den Handlungsspielraum der aktuellen Regierung unter
Tusk.
Jahresbilanz Tusk-Regierung: Re-Demokratisierung Polens schwieriger als gedacht
Die erste Bilanz der polnischen Regierung nach einem Jahr fällt
durchwachsen aus. Vor allem Frauen sind enttäuscht. Außenpolitisch jedoch
gibt es Erfolge.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.