# taz.de -- Fragestunde mit Wladimir Putin: Ein Krieg aus Langeweile? | |
> Russlands Präsident zeigt sich selbstbewusst und hält an seiner Position | |
> zur Vernichtung der Ukraine fest. Nordkorea oder Verluste in Kursk | |
> bleiben unerwähnt. | |
Bild: Besucher*innen lauschen im Kulturzentrum von Donezk Russlands Präsidente… | |
Moskau taz | Nach etwa 40 Minuten seiner „Bilanz des Jahres“ sagt Wladimir | |
Putin – fast schon gut gelaunt –, was er von der Ukraine hält. Es ist eine | |
Mischung aus einer Pressekonferenz des russischen Präsidenten und dem | |
Format „Direkter Draht“, bei dem ausgesuchte Russinnen und Russen den | |
Kremlherrscher am Telefon, per Video oder mittels SMS um die Lösung ihrer | |
Probleme bitten. | |
Eine alljährliche, bestens inszenierte Psychotherapiesitzung in einem hell | |
ausgeleuchteten Moskauer Konferenzsaal. Der Präsident lehnt sich zurück, | |
räuspert sich und schlägt ein „Experiment“ vor: Der Westen, so der | |
russische Oberzyniker, solle doch einfach ein „Objekt mitten in Kyjiw“ | |
aussuchen, dieses „mit allen ihm zur Verfügung stehenden Abwehrsystemen“ | |
ausstatten, und „Russland haut mit dem,Oreschnik' drauf“, der | |
Mittelstreckenrakete, die Moskau als „sehr neue Waffe“ verkauft. „Dann | |
sehen wir ja, was passiert. Wir sind bereit.“ | |
Die Ukraine als Schießübungsplatz Russlands also. Ein Land, das in Putins | |
Augen nicht existiert, das weder einen legitimen Präsidenten habe noch | |
weitere legitime Machtstrukturen außer dem ukrainischen Parlament. | |
Verhandlungen könne er dort mit „jedem Beliebigen“ führen, sagt Putin, | |
Wolodymyr Selenskyj aber dürfe – weil eben illegitim – keine Unterschrift | |
unter irgendwelche Verträge setzen. | |
Gerade am Anfang des viereinhalbstündigen, quer durch Russland und auch in | |
den besetzen Gebieten der Ukraine übertragenen Auftritts Putins, geht es | |
immer wieder um die „militärische Spezialoperation“, wie der Krieg in der | |
Ukraine in Russland immer noch genannt werden muss, abgekürzt als „SWO“. | |
## Zehnmal weniger Geld | |
Es sind Fragen zu den Vergünstigungen für „SWO“-Teilnehmer, zur | |
Rehabilitation der Soldaten, zum Gang der „Militäroperation“ überhaupt. | |
Auch geht es um den Sold für die Soldaten in der Region Kursk, die – „oh, | |
das war mir nicht bekannt“, sagt Putin – nicht als „SWO“-Teilnehmer gel… | |
und dementsprechend zehnmal weniger Geld erhalten. | |
Sogar nach der Kompromissbereitschaft Russlands wird gefragt. „Natürlich“ | |
sei Russland immer bereit zu verhandeln, „ohne Vorbedingungen“, bekräftigt | |
Putin, um gleich darauf auf seine Rede vom Juni 2024 zu verweisen, in der | |
er klare Vorbedingungen formuliert hatte: Die Nato solle sich aus Osteuropa | |
zurückziehen, die USA nur unter Beschränkungen ihre Waffensysteme in Europa | |
stationieren, für Sicherheitsgarantien in der Ukraine sorge derweil | |
Russland selbst. Befolge Kyjiw diese Ausführungen – den faktischen Aufruf | |
zur Kapitulation – verhandle Russland „immer gern“. [1][Eine Bewegung | |
Moskaus ist damit nicht in Sicht.] | |
Bei unangenehmen Fragen weicht Putin aus. [2][Syrien]? „Eine russische | |
Niederlage, sagt man uns. Dem ist nicht so. Wir haben dort alle Ziele | |
erreicht“, meint er. [3][Kursk]? „Es gibt gar keinen Zweifel, wir werden | |
alles befreien“, versucht er eine Anruferin, die aus ihrem Dorf in der | |
Kursker Region flüchten musste, zu beruhigen. | |
Nordkoreanische Soldaten oder die Höhe russischer Verlust in der Region | |
kommen nicht zur Sprache. Stattdessen sagt Putin: „In Kursk haben wir einen | |
ganzen Friedhof an zusammgengehämmerter Nato-Technik.“ Ohnehin spricht er | |
lieber über neue Straßen, neue Krankenhäuser, neue Sporthallen in Russland | |
– und auch in den besetzten Gebieten. „Es geht voran“, sagt er immer | |
wieder. „Wir haben die Souveränität im Herzen, im Westen dagegen sind sie | |
gottlos.“ | |
## Flapsiger Ton | |
Von Anfang an gibt sich Putin flapsig: „Bei uns ist es immer so: Wenn es | |
ruhig ist, ist uns langweilig. Man will mehr Action. Wenn dann die Kugeln | |
pfeifen, fürchten wir uns. Aber ich sage Ihnen: Russland macht | |
Fortschritte.“ Ein Krieg aus Langeweile? „Ich habe Russland vor dem Abgrund | |
gerettet“, sagt Putin selbstbewusst. | |
Kinder in Kindergärten, Ärzt*innen in Kliniken, Zuschauer*innen in | |
Kulturzentren in den besetzen Gebieten sind da gezwungen, der Übertragung | |
zu folgen. „Würden Sie Ihre Entscheidung ändern, könnten wir in den Februar | |
2022 zurückkehren?“, fragt eine russische Journalistin gegen Ende. Putin | |
entgegnet gewohnt selbstsicher: „Wir hätten all das früher beginnen sollen | |
und hätten uns besser auf die,Militäroperation' vorbereiten sollen.“ | |
19 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Inna Hartwich | |
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