# taz.de -- Kultur und Demokratie schützen: Eine von vielen Ratlosen | |
> Der Verein „Die Vielen“ hat zur Konferenz gerufen. Beim „Ratschlag der | |
> Vielen“ sollen Kulturschaffende Handlungskonzepte gegen rechts | |
> entwickeln. | |
Bild: Alle machen ähnliche Erfahrungen: lebhafte Diskussion beim „Ratschlag … | |
Berlin taz | Der Tag beginnt mit einer interaktiven Performance des | |
[1][Kollektives Turbo Pascal]: Bei weichen Bassklängen sollen rund 250 | |
Menschen aufschreiben, was sie zu der Konferenz „Ratschlag der Vielen – | |
Handeln gegen Rechtsextremismus“ geführt hat. Auch ich bin am Donnerstag | |
letzter Woche der Einladung des [2][Vereins „Die Vielen“] gefolgt, um in | |
der Akademie der Künste mit anderen Kulturschaffenden zu beratschlagen, wie | |
man „die Demokratie aktiv schützen“ kann. | |
Kunst sei „ein wichtiger Resonanzraum“, in dem unterschiedliche | |
Perspektiven zur Sprache kämen, schreibt uns Claudia Roth (Grüne) in einem | |
Grußwort, um dann hinterherzuschieben: „Wir müssen aber über alle | |
Instrumente der wehrhaften Demokratie reden, wenn sie in Gefahr ist.“ | |
Will heißen: Kunst- und Kulturschaffen ist wichtig, reicht aber nicht. Für | |
den Schutz unserer Demokratie muss mehr getan werden. Dass uns das die | |
Kulturstaatsministerin des Bundes sagt, ist eigentlich gar nicht nötig. | |
Deswegen sind wir ja alle hier. | |
Glücklicherweise gehöre ich nicht zu denjenigen, die den Satz „Zurzeit | |
fühle ich mich …“ ergänzen sollen. Wahrscheinlich hätte ich ähnliche | |
Antworten gegeben wie die, die nun an die Wand projiziert werden: | |
„erschöpft“, „ohnmächtig“, „überfordert“. Im Januar haben viele … | |
diesem Gebäude auf dem Pariser Platz gestanden, um unsere Empörung | |
angesichts der Correctiv-Enthüllungen rund um die „Remigrations“-Fantasien | |
der AfD und ihrer Freund:innen kundzutun. Zehn Monate später kann man in | |
vielen Kommunen beobachten, dass sich die AfD um Brandmauern nicht scheren | |
muss. | |
## Jagoda Marinić hält einen Impulsvortrag | |
Zwar ist der Partei der Sprung in eine Landesregierung nicht gelungen – die | |
Themen der AfD bestimmen jedoch längst die Agenda aller Parteien. „Es ist | |
unangenehm, das zu sagen“, so die Publizistin Jagoda Marinić bei einem | |
Impulsvortrag. „Aber der Feind ist längst unter uns.“ | |
Ich verstehe, was sie meint. Zwar gehöre ich nicht zu den Berliner | |
Kulturschaffenden, die wegen der rabiaten Kürzungen der schwarz-roten | |
Koalition nun um ihre Existenz fürchten müssen. Als Drehbuchautorin arbeite | |
ich jedoch für die Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Und die | |
wollen – zumindest im fiktionalen Hauptprogramm – lieber nichts von den | |
drängenden Themen dieser Zeit wissen. | |
Schon auf der diesjährigen Berlinale, also wenige Wochen nach dem Potsdamer | |
AfD-Treffen, sagte man mir von Produktionsseite, dass sich die | |
Fernsehsender nur für „leichte“ Stoffe gewinnen ließen, also für | |
Geschichten, die mit dem Hier und Heute nichts zu tun haben. Eskapismus ist | |
das Gebot der Stunde. | |
Angesichts des Fernsehprogramms von ARD und ZDF scheint das nicht | |
sonderlich erstaunlich – alarmierend ist es dennoch. Dass der Hamburger | |
Kultursenator und Vorsitzende des [3][Deutschen Bühnenvereins], Carsten | |
Brosda (SPD), an diesem Vormittag – den deutschen Philosophen [4][Ernst | |
Cassirer] zitierend – für die Produktion von Bildern eines demokratischen | |
Miteinanders plädiert, ist mehr als naheliegend. Sollte es den Sendern | |
nicht gerade jetzt ein dringendes Anliegen sein, alternative Erzählungen | |
zum Status quo in die Welt zu bringen, statt sie einer Partei zu | |
überlassen, die das Wort „Alternative“ im Namen trägt? | |
## „Polarisierende Themen unbedingt vermeiden“ | |
Mir und anderen aus meiner Zunft ist dieser Gedanke natürlich längst | |
gekommen. Aber nicht mal in den nachgefragten, vermeintlich | |
unterhaltsameren Genres Komödie, Science Fiction und Thriller soll sich | |
unsere Wirklichkeit spiegeln, ja selbst im Krimi sollen wir „polarisierende | |
Themen unbedingt vermeiden“. Die Leute vor dem Fernseher sind müde vom Hier | |
und Jetzt, wird mir gesagt. | |
Die Leute, das sind die Menschen mit den ollen Quotenzählautomaten auf der | |
Glotze. Von ihnen wird nicht nur angenommen, dass sie die | |
Zuschauer:innenschaft repräsentieren. Sie sollen auch zu der | |
„Mehrheitsgesellschaft“ zählen, auf die in den politischen Diskursen jetzt | |
immer so viel Rücksicht genommen wird, wie Jagoda Marinić zu Recht | |
kritisiert – und auf die auch die Sender reagieren. Sicher auch, weil sie | |
wissen, dass so manche:r das öffentlich-rechtliche Fernsehen am liebsten | |
ganz abschaffen würde. | |
Wer das öffentlich finanzierte Fernsehen einschaltet, der darf abschalten, | |
so also das Versprechen der Sender – deren Rundfunkräte von allen Parteien | |
besetzt sind. Mit ihrem Programm gehorchen sie auf vorauseilende Weise | |
denen, die sie am meisten fürchten. | |
Wir sind am Donnerstag aber nicht da, um abzuschalten, wir sind voll bereit | |
für das, was diese Zeit uns abverlangt. Oder? „Die Kultur kann sich nicht | |
um alles kümmern“, heißt es häufig. Es wird darüber geklagt, dass immer | |
mehr Förderinstitutionen vorschreiben, was die Kultur leisten soll. Wenn | |
der Staat nicht für Präventionsarbeit und Demokratiebildung sorgt, müssen | |
sich andere darum kümmern, die Kultur etwa. Und wie man angesichts dieser | |
Tagung erleben kann, sind Kulturschaffende leicht für diese Aufgaben zu | |
begeistern. | |
## Immer weniger Geld | |
[5][Jagoda Marinić] fragt sich in ihrem Vortrag, ob die Kulturszene nicht | |
zu „compliant“ war, sich zu viel hat vorgeben und aufdrücken lassen. Sie | |
hat recht, finde ich, zumal für diese kulturelle Bildungs- und | |
Präventionsarbeit ja auch immer weniger Geld vorhanden ist. | |
Aber obwohl die Politik an vielen Orten dieser Republik drauf und dran ist, | |
uns Kulturschaffenden die Existenzgrundlage zu nehmen, zerbrechen wir uns | |
weiter bereitwillig den Kopf über Probleme, die eigentlich von ihr gelöst | |
werden müssten … Durch die gläserne Front des Plenarsaals der Akademie hat | |
man übrigens einen ausgezeichneten Blick auf den Reichstag. | |
Nach den Impulsvorträgen und Panels geht es in die Arbeitsgruppen. Hier | |
sollen nun konkrete Handlungsoptionen gesammelt werden. Klingt großartig, | |
nach der bisherigen Diskussion frage ich mich jedoch: Ist das nicht zu viel | |
verlangt? | |
Tatsächlich erweist sich die Arbeit in der Gruppe „Kunst der Demokratie“ | |
als wenig fruchtbar. Es mag daran liegen, dass die Vielen in dieser Gruppe | |
zu viele sind, als dass alle zu Wort kommen könnten. Auch sind die | |
Problemlagen der aus der ganzen Republik angereisten Kulturleute so | |
komplex, dass man nur schwerlich über eine Beschreibung hinauskommt, | |
geschweige denn eine griffige Antwort darauf findet. Klar ist es wichtig, | |
Kultur in ländliche Gebiete zu bringen – aber wovon soll die bezahlt | |
werden, wenn ein AfD-dominierter Kulturausschuss alle Gelder streicht? Wie | |
kulturelle Bildungsarbeit in Schulen machen, wenn der AfD-wählende Direktor | |
einen nicht reinlässt? | |
## Nur mit einem festen Etat | |
Selbst die Politiker:innen unter uns scheinen angesichts solcher Lagen | |
ziemlich ratlos. „Wir bräuchten eine Streikkasse für Kulturschaffende“, | |
sagt ein SPD-Politiker aus Bochum und rät zur Mitgliedschaft in einer | |
Gewerkschaft. Ein Filmemacher wirbt dafür, bei der nächsten Wahl zu | |
kandidieren. | |
Noch deutlicher als am Vormittag wird klar: Die Probleme, um die es geht, | |
müssen im Kern gelöst werden, also in der Politik. Hier müssen die | |
Entscheidungen getroffen werden, von denen wir den ganzen Tag lang | |
sprechen, wie etwa das AfD-Verbotsverfahren oder die Erklärung der Kultur | |
zum Staatszweck. Nur mit einem festen Etat kann eine pluralistische | |
Kunstszene lebendig gehalten und Kulturprojekte auch in Regionen gesichert | |
werden, in denen die AfD Kulturschaffenden den Hahn abdreht. | |
Und es braucht dringend eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks | |
samt dem Programm, über das nicht die Quoten, sondern die Macher:innen | |
auf demokratische Weise entscheiden. Erst wenn der öffentlich-rechtliche | |
Rundfunk aufhört, nach der Quote zu schielen und seinem Auftrag gerecht | |
wird, ist die Frage nach seiner Notwendigkeit obsolet. | |
Die meisten Ratschläge, die wir am Ende des Tages vergeben können, sind | |
also alles andere als neu. Viele Vorschläge betreffen die Kulturszene | |
selbst, da geht es um die Verbesserung der Vernetzung und gegenseitigen | |
Unterstützung, etwa in Form eines Rechtsbeistands bei Klagen der AfD. „Gut, | |
dass ich nicht allein bin“, höre ich oft. Angesichts des Titels „Ratschlag | |
der Vielen“ scheint das insgesamt etwas wenig, denke ich, als ich abends | |
die Akademie der Künste verlasse. Aber vielleicht ist diese Form des | |
Austauschs und Zusammenhalts das Einzige, was ein solches Netzwerk in der | |
derzeitigen Situation leisten kann – und auch leisten sollte. | |
2 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.turbopascal.info/ | |
[2] https://dievielen.de/ | |
[3] https://www.buehnenverein.de/de/1.html | |
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Cassirer | |
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Jagoda_Marini%C4%87 | |
## AUTOREN | |
Karlotta Ehrenberg | |
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