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# taz.de -- Schiedsmann Martin Sorgatz über Streit: „Das größte Problem is…
> Bei Auseinandersetzungen unter Nachbarn und anderen Konflikten, kann ein
> Schiedsverfahren den Gang vor das Gericht ersetzen, sagt Martin Sorgatz.
Bild: Martin Sorgatz in seiner Küche, die zugleich sein Arbeitsort ist
„Schiedsamt“ steht auf einem kleinen Schild vor dem schmucken Altbau in
Treptow-Köpenick. Hier wohnt Martin Sorgatz, einer von [1][drei
Schiedsleuten im Bezirk], der Bürger:innen bei der Streitschlichtung
hilft. Sorgatz führt in seine aufgeräumte und weihnachtlich geschmückte
Küche. Ein mobiler Drucker, ein Laptop und Schreibzeug fallen auf sowie
eine Sammlung altmodischer Kaffeemaschinen. Statt einer Einkaufsliste
prangt eine Frage an der Wandtafel: „Gibt es einen Weg?“
taz: Herr Sorgatz, würden Sie mich hier genauso empfangen, wenn ich für
eine Streitschlichtung käme?
Martin Sorgatz: Nee, Plätzchen würde es keine geben. Den Streitparteien
biete ich nur Wasser an.
taz: Das Schiedsamt ist die kleinste Behörde einer Kommune, Sie alle
arbeiten ehrenamtlich, erhalten also kein Geld. Aber eine Amtstube könnte
es doch geben?
Sorgatz: Wenn ich wollte, könnte ich einen Raum im Bezirksamt benutzen.
Dass wir uns hier treffen, ist meine persönliche Entscheidung. Erstens habe
ich hier die ganze Technik. Außerdem benehmen sich viele Menschen in
Amtsräumen nicht anständig. Hier befinden sie sich auf fremdem Territorium,
ich bin es, der hier die Regeln macht.
taz: Die da wären?
Sorgatz: Jeder lässt den anderen aussprechen. Beleidigt wird nicht. Wer
sich nicht daran hält, muss gehen – das funktioniert. Außerdem trägt meine
Sammlung dazu bei, dass man gleich ins Gespräch kommt. Die Leute wollen
wissen, was das ist, und ich zeige ihnen eine der Maschinen. Das trägt zur
Auflockerung bei.
taz: Denn wenn die Leute zu Ihnen kommen, ist Stress angesagt …
Sorgatz: Das stimmt. Die Polizeiwache ist hier aber ganz in der Nähe.
(lacht) Bisher musste ich sie aber nicht rufen.
taz: Mit welchen Streitigkeiten kommen die Leute zu Ihnen?
Sorgatz: Das geht von Kneipenschlägerei über Beleidigungen bis hin zu
Hausfriedensbruch. Wir helfen aber auch, wenn einer ein Problem mit einem
Handwerker hat, es also Streit um Geld gibt. Und natürlich bei klassischen
Nachbarschaftsstreitereien.
taz: Die berühmte Hecke …
Sorgatz: Genau. Wobei die Hecke ein Synonym für viele Probleme ist. Da geht
es um Wegerechte, um störenden Lärm oder Lichteinfall, ballspielende Kinder
und Kameras, die die Privatsphäre beeinträchtigen. Im Prinzip verhandeln
wir alles, was sich im Bereich des bürgerlichen Gesetzbuches bewegt, nur
Streitigkeiten im Arbeits- und Familienrecht können wir nicht schlichten.
Auch im Bereich des einfachen Strafrechts sind wir zuständig, also bei
einfacher Körperverletzung, übler Nachrede, Verletzung des
Briefgeheimnisses und ähnlichen einfachen Straftaten.
taz: Ach. Ich dachte, mit so was muss man vor Gericht.
Sorgatz: Das größte Problem ist, dass uns kaum einer kennt. Leider wissen
viele Menschen nicht, dass sie es erst mit einem Schiedsverfahren versuchen
können, ehe sie viel Geld, Zeit und Lebensqualität für Anwälte und
Gerichtsprozesse aufwenden. Und dabei auch noch riskieren, dass ihnen das
Urteil nicht gefällt. Hier beim Schiedsamt können dagegen beide Parteien
frei entscheiden, wie man mit der Streitsache verfährt.
taz: Was ist Ihre Rolle?
Sorgatz: Viele Leute denken, dass ich so was wie ein Richter bin, manche
sagen auch „Schiedsgericht“ – das ist falsch. Wir Schiedsleute sagen nich…
wer recht hat oder schuldig ist. Wir sind auch keine Dienstleister, die mit
fertigen Lösungen kommen. Wir sind neutrale Moderatoren, unser Ziel ist,
dass die Parteien im Gespräch selbst auf eine Lösung kommen. Da muss man
genau zuhören und im rechten Moment einhaken: „Haben Sie gerade gehört? Das
war doch vielleicht ein Lösungsansatz!“ Wenn darüber dann eine Einigung
gelingt, wird ein sogenannter Vergleich geschlossen. Das alles kostet den
Antragsteller höchstens 60 Euro, bei mir liegt es meistens drunter.
taz: Das ist auch viel günstiger als eine Mediation bei einem privaten
Anbieter.
Sorgatz: Genau. Zudem sind Vergleiche des Schiedsamts 30 Jahre lang
rechtsgültig. Wenn eine Partei den Vertrag bricht, entscheidet das
Amtsgericht, gegebenenfalls wird ein Gerichtsvollzieher beauftragt.
taz: Natürlich wäre ich neugierig zu erfahren, was für Fälle Ihnen konkret
begegnen …
Sorgatz: Darüber muss ich schweigen. Bei den 8 bis 15 Fällen, die ich im
Jahr verhandele, lässt sich aber manches verallgemeinern. Platzhirsche
begegnen mir zum Beispiel häufiger. Also Leute, die sagen, ich wohne schon
50 Jahre hier, und den neu Zugezogenen sage ich mal, wie es hier läuft.
Tja, aber auch wenn Sie Ihr Auto jahrzehntelang auf einem Parkplatz
abgestellt haben, heißt das nicht, dass Sie ein Anrecht darauf haben.
Überhaupt sind Veränderungen oft Auslöser für einen Konflikt. „Das war
schon immer so“ reicht aber nicht als Argument. Wenn mich etwa eine üppige
Weihnachtsbeleuchtung in meinem Wohlbefinden stört, darf ich auch nicht
einfach das Kabel durchschneiden. So etwas in der Art kommt mir immer
häufiger unter. Die Leute denken, dass alles erlaubt ist, wenn Sie im Recht
sind.
taz: Auch zeigt sich hier, dass ein Dialog nicht für nötig befunden wird.
Sorgatz: „Hier geht es um mich und mein Recht, der andere ist mir egal“ –
Diese Haltung zeigt sich mir immer öfter. Es gibt Leute, die ihren Nachbarn
Gesetzestexte kommentarlos vorhalten, bringen tut das natürlich nichts. Um
den Konflikt zu lösen, müssen die Parteien erst mal an den Tisch kommen,
und der Mensch verstehen, wie das ankommt, wenn auf diese Weise
kommuniziert wird.
taz: Wenn ich Sie beauftragen will, muss ich einen Antrag stellen.
Sorgatz: Richtig. Ich informiere dann den Antragsgegner und lade zum
Schlichtungstermin. Das geht per Amtspost, mit Postzustellungsurkunde. Der
Termin ist verpflichtend.
taz: So ein gelber Brief kommt aber sicher auch nicht gut an …
Sorgatz: Das mag sein. Ich gebe dem Antragsgegner aber immer die
Möglichkeit, mir im Vorfeld seine Position darzustellen. Wenn ein wichtiger
Grund vorliegt, kann der Termin auch verschoben werden. Nur wenn jemand
ohne triftigen Grund fernbleibt, kann ein Ordnungsgeld bis zu 75 Euro
fällig werden. In so einem Fall geht der Gesetzgeber davon aus, dass kein
Interesse an einer Schlichtung besteht, das Verfahren ist damit
abgeschlossen.
taz: Wie viele Streitigkeiten gelingt es Ihnen zu schlichten?
Sorgatz: Ich führe darüber keine Statistik, aber ich nehmen an, dass die
Zahl bei etwa 60 Prozent liegt, wie sonst in Berlin auch.
taz: Ist es frustrierend, wenn eine Streitsache ungelöst bleibt?
Sorgatz: Nein. Wenn Menschen mit einem Problem hierher kommen, hat das
meist eine Geschichte. Die zu ergründen und die Leute wieder zueinander zu
bringen, ist für mich der wichtigste Teil meiner Tätigkeit. Gerade bei
Nachbarschaftsstreitigkeiten ist es ja meist so, dass die Menschen vorher
gut miteinander bekannt gewesen sind. Wenn ich es schaffe, dass sie wieder
ins Gespräch kommen, sich zumindest einmal richtig zuhören, dann ist schon
viel erreicht.
taz: Ist das die Motivation, warum Sie dieses Ehrenamt nun schon im achten
Jahr ausführen?
Sorgatz: Ich hatte schon immer den Anspruch, etwas an die Gesellschaft zu
geben, mein Grundsatz ist der von John F. Kennedy: Frage nicht, was kann
der Staat für dich tun, sondern frage, was kannst du für den Staat tun.
taz: Das ist in Zeiten, in denen die demokratischen Institutionen bröckeln,
weil sich keiner mehr für sie verantwortlich fühlt, ein bemerkenswerter
Standpunkt. Was hat Sie dazu gebracht?
Sorgatz: Ich habe bei der BVG gearbeitet, 47 Jahre lang, und bin da in die
Gewerkschaftsarbeit gegangen. Und auch sonst habe ich in meinem Leben immer
nach gesellschaftlichen Aufgaben gesucht, war in der Schule Elternvertreter
und auch mal Schöffe. Nach meinem Arbeitsleben habe ich was Neues gesucht.
Ja, und dann stand in der Zeitung, dass das Bezirksamt jemanden für das
Schiedsamt sucht. Ich dachte: Das trau ich mir zu. Da bewirbst du dich
jetzt mal.
taz: Wie, man muss sich bewerben?
Sorgatz: Ja, die Bezirksverordnetenversammlung stimmt über die Kandidaturen
ab. Im Prinzip kann in Berlin jeder im Bezirk wohnende deutsche Bürger
zwischen 25 und 70 Jahren Schiedsperson werden. Aber natürlich ist es
sinnvoll, von den Erfahrungen zu schreiben, die einen für dieses Amt
qualifizieren. Bei mir war es so, dass ich bei der BVG in der Wendezeit als
Personalrat tätig war. Im Zuge der Zusammenführung der beiden Betriebsteile
BVB und BVG war es ganz wichtig, die Menschen zueinander zu bringen. Es
wurde ja viel gestritten zwischen Ost und West. Da galt es viel
auszuhandeln und auch auszusöhnen.
taz: Ist es nicht auf Dauer unangenehm, mit dem Ärger anderer Leute
konfrontiert zu werden, noch dazu in den eigenen vier Wänden?
Sorgatz: Ich sag immer: Nichts Menschliches ist mir fremd. Ich kann mir das
anhören, kann auch empathisch sein, aber ich weiß: Das ist nicht meins.
taz: Was wünschen Sie sich für den Rest Ihrer Amtszeit?
Sorgatz: Eine Reform des Berliner Schiedsrechts. Anders als in anderen
Bundesländern muss man hier bei zivilrechtlichen Sachen ja nicht zwingend
zum Schiedsamt. Das Schiedsverfahren obligatorisch zu machen, würde die
Berliner Gerichte entlasten und vielen Bürgern helfen. Denn auf diese Weise
erfahren Sie ganz sicher von uns und den Vorteilen eines Schiedsverfahrens.
Ja, und dann würde ich mich freuen, wenn sie die Altersbegrenzung aufheben,
ich könnte mir eine weitere Amtsperiode gut vorstellen.
27 Dec 2024
## LINKS
[1] https://www.berlin.de/ba-treptow-koepenick/politik-und-verwaltung/aemter/am…
## AUTOREN
Karlotta Ehrenberg
## TAGS
Schiedsgericht
Streit
Schlichtung
Gerichtsentscheid
Theater
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